Wohnungsnot: Immer mehr Kündigungen wegen Eigenbedarf
Der Mieterbund Schleswig-Holstein schlägt Alarm. Zahlen aus den Beratungen zeigen: Mietern wird immer häufiger gekündigt, weil die Vermieter Eigenbedarf anmelden. Auch in Hamburg und MV ist der Wohnungsmarkt angespannt.
Besonders in Städten wie Flensburg, Kiel oder Lübeck, aber auch in den Urlaubsregionen an der Küste: Überall ist Wohnraum knapp. Aber damit nicht genug. Der Mieterbund Schleswig-Holstein berichtet auf NDR Nachfrage, dass Vermieter immer häufiger Eigenbedarf anmelden und ihren Mietern kündigen. Demnach ist die Zahl der Betroffenen, die in die Beratungen kommen, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
Der Mieterbund registriert landesweit aktuell etwa 600 Fälle pro Jahr. Doch das sei nur ein kleiner Ausschnitt, sagt Carsten Wendt vom Mieterbund Schleswig-Holstein. Die Dunkelziffer sei immens. Denn Wendt weiß, dass "die überwiegende Anzahl der Mieter keine rechtliche Beratung in Anspruch nimmt."
Wohnungsmarkt in MV bereits seit vielen Jahren angespannt
Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es viele Eigenbedarfskündigungen, sagt Kai-Uwe Glause, Geschäftsführer vom dortigen Landesverband des Mieterbunds. Einen stetigen Anstieg beobachtet er allerdings nicht. Bereits seit fünf bis zehn Jahren sei der Wohnungsmarkt sehr angespannt, selbst in kleineren Städten wie Neubrandenburg. Während der Leerstand früher bei sieben bis zehn Prozent lag, liege die Quote heute in fast allen Städten in Mecklenburg-Vorpommern unter fünf Prozent. Und wenn der Wohnungsmarkt angespannt ist, steigen die Eigenbedarfskündigungen in der Regel an. In Mecklenburg-Vorpommern seien diese dementsprechend konstant hoch.
Dunkelziffer in Hamburg vermutlich besonders hoch
Beim Mieterverein Hamburg kommen aktuell rund vier Kündigungen wegen Eigenbedarfs pro Woche auf den Tisch. Auf ein Jahr gerechnet wären das mehr als 200 Fälle. Die tatsächliche Zahl der Eigenbedarfskündigungen dürfte in Deutschlands zweitgrößter Stadt jedoch deutlich höher sein. Nur jeder zehnte Haushalt in Hamburg wendet sich in solch einem Fall an den Mieterverein.
Täuschen einige Vermieter Eigenbedarf nur vor?
Die Welle an Eigenbedarfskündigungen erklärt sich auch der Mieterbund in Schleswig-Holstein mit dem angespannten Wohnungsmarkt. Offenbar wollen deshalb immer mehr Eigentümer die Wohnungen, die sie vermietet haben, nun für sich oder ihre Verwandten nutzen. Aber: Als offenes Geheimnis gilt nach Angaben von Immobilienexperten auch, dass einige Vermieter den Eigenbedarf nur vortäuschen, um alte Verträge auflösen zu können. Die Wohnungen werden dann renoviert und teurer neu vermietet. Damit kann der Vermieter zur Zeit Höchstpreise erzielen.
Eine ähnliche Vermutung hat auch Marielle Eifler, die stellvertretende Vorsitzende des Mietervereins in Hamburg. "Anstelle von 'Lieschen Müller', die immer regelmäßig die Miete gezahlt hat mit acht Euro netto kalt in begehrter Lage, kann man natürlich auch einen Studenten reinsetzen für zwölf Euro pro Quadratmeter." Der Student hinterfrage dann auch nicht die Preise, sondern sei froh, eine Wohnung in der Nähe der Uni gefunden zu haben. Die Vermutung bestehe immer, dass wegen Eigenbedarfs gekündigt werde, um die Wohnung frei zu machen und dann höherpreisig weiterzuvermieten, sagt Eifler.
Gekündigte Mieter stehen vor großen Problemen
Eine solche Kündigung ist für die Betroffenen oft eine Hiobsbotschaft. "Der Mieter verliert im Zweifel seinen Lebensmittelpunkt", betont Carsten Wendt vom Mieterbund in Schleswig-Holstein. Nicht nur sei es eine große psychische Belastung, auch kämen auf die Mieter hohe Kosten für Umzug und Renovierung zu. Ganz abgesehen davon, dass es sehr schwierig sei, "im Moment überhaupt eine Ersatzwohnung zu finden", so Wendt. Der Jurist empfiehlt daher dringend, sich im Fall einer Kündigung rechtlich beraten zu lassen. Aber leicht haben es Mieter vor Gericht nicht, berichten Juristen.
Forderung nach Gesetzesänderung
Der Mieterbund kritisiert, dass die Gesetze aus seiner Sicht zu vermieterfreundlich seien. Carsten Wendt fordert daher eine Gesetzesänderung: "Es muss festgelegt werden, dass Eigenbedarf nur zu Wohnzwecken geltend gemacht werden darf." Laut Wendt ist das derzeit nicht so. Es gebe Urteile, in denen die Richter auch für Gewerbe, Hobbys oder die sporadische Nutzung als Ferienwohnung Eigenbedarf zugelassen hätten.
Direkt an die Gerichte appelliert der Mieterbund Schleswig-Holstein außerdem, dass sie bei Eigenbedarfskündigungen die Interessen der Mieter stärker berücksichtigen müssten als bisher. Erst recht in Zeiten, in denen es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gebe.