Wohnungsnot in SH: Wie alte Industriebrachen helfen könnten
Der Wohnungsmarkt ist vielerorts leergefegt, selbst Normalverdiener finden kaum passenden Wohnraum. Doch für neue Wohnungen fehlen oft geeignete Flächen. Alte Industriebrachen könnten eine Lösung sein.
Der Blick auf die einschlägigen Immobilenportale ist für Thomas Klempau vom Lübecker Mieterverein immer wieder erschreckend - es gibt kaum Angebote. "Den allergrößten Bedarf gibt es im mittelpreisigen Segment", so Klempau. Insgesamt fehlen aus seiner Sicht 8.000 Wohnungen in Lübeck.
Hunderte Wohnungen entstehen auf altem Güterbahnhof
Helfen könnten Projekte wie dieses: Auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs entsteht gerade ein neues Quartier mit etwa 340 Wohnungen, rund ein Drittel davon öffentlich gefördert. Laut Projektentwickler kommen dazu ein Studentenwohnheim, eine Kita, Gewerbe und ein Hotel. Alte Güterhallen sollen wiederaufgebaut werden, der denkmalgeschützte Wasserturm bleibt erhalten.
Alte Industrieareale oft in guter Lage
Besonders an dem Projekt ist auch die Lage. Das Areal liegt direkt neben dem Hauptbahnhof. Zu Fuß sind es nur fünf Minuten bis zum Holstentor. "Das ist eine relativ einzigartige Lage", meint Projektleiter Nils Böttcher. Alte Industriebrachen haben oft solch einen Vorteil, meint Karsten Schröder, Leiter der Lübecker Stadtplanung. "Man hat Lagen am Stadtteil, stärkt die lokale Infrastruktur, indem man hier baut und nicht am Rand."
Kein zusätzlicher Flächenverbrauch
Um hier Wohnungen zu bauen, mussten die Verantwortlichen außerdem keine Natur zerstören, keine zusätzlichen Flächen versiegeln oder aufwendig Straßen zum Wohngebiet bauen. "Alte Industrieareale sind ja in der Regel erschlossene Bereiche. Dort ist alles vorhanden", meint Klempau. Diese Flächen müssten nun möglichst schnell reaktiviert werden. Der Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen fordert vom Land, die brachliegenden Industrieflächen in Schleswig-Holstein systematisch zu erfassen. "Dann bedarf es einer Prüfung, ob es Altlasten gibt und ob die Genehmigungsverfahren dazu passen", so Direktor Andreas Breitner.
Städte sehen Potential
Insbesondere die großen Städte in Schleswig-Holstein wollen Industriebrachen für den Wohnungsbau nutzen. Neumünster etwa plant in den kommenden zehn Jahren 1.700 Wohnungen auf alten Industrie- und Militärgeländen. Auch die Stadt Kiel möchte solche Areale entwickeln, rechnet dort aktuell mit rund 1.500 neuen Wohnungen, zum Beispiel auf dem ehemaligen Postfuhrhof im Stadtteil Gaarden. In Flensburg sollen laut Stadtverwaltung auf Industriebrachen 2.700 neuen Wohnungen entstehen, unter anderem am Hafen-Ost. Und auch Lübeck will auf diesen Flächen in den kommenden zehn Jahren 2.700 Wohnungen schaffen.
Bis Wohnungen entstehen, kann es lange dauern
Zurück nach Lübeck: Ein weiteres Areal, auf dem sich die Stadt Wohnungen wünscht, ist der ehemalige Schlachthof - nur 500 Meter Luftlinie von der Innenstadt entfernt. Seit der Betrieb 2006 eingestellt wurde, ist auf dem Gelände nichts passiert. Die Gebäude verfallen immer weiter. "In der Rückschau ist es dann schon immer erschreckend, wie lange solche Prozesse auch dauern können", räumt Lübecks Chefplaner Karsten Schröder ein.
Viele Interessen, langer Stillstand
Aber wie bei vielen anderen Industriebrachen mit attraktivem Standort, ist die Gemengelage auch hier kompliziert: Eigentümer ist inzwischen die Supermarktkette Kaufland. Sie will hier eine Filiale bauen. Die Stadt möchte das nicht, fürchtet zu viel Verkehr für die Anwohner. Sie hätte gerne so viele Wohnungen wie möglich. Und dann stehen die Gebäude aus den 1920er Jahren auch noch unter Denkmalschutz. Investoren, Stadtverwaltung, Politiker und Denkmalschützer - sie alle wollen ihre Interessen durchsetzen. Eine Pattsituation.
Mieterverein fordert mehr Kompromisse
Thomas Klempau vom Mieterverein fordert mehr Kompromisse bei der Entwicklung solcher Flächen. "Man muss hier und da auch mal Abstriche machen, damit es vorangeht." Das sieht Karsten Schröder anders. Er möchte vor allem gründlich planen - auch wenn es etwas länger dauert. "Wenn hier etwas steht, dann bleibt es auch für mehrere Jahrzehnte. In der Nachschau lohnt es sich meistens, ein bisschen sorgfältiger zu sein." Inzwischen wird aber immerhin wieder verhandelt. Im kommenden Jahr wollen Stadt und Kaufland ein gemeinsames Konzept für das Filetstück vorlegen. Dann könnte in Lübeck aus der nächsten Industriebrache ein Wohnquartier werden.