Wege aus der Einsamkeit - gemeinsam statt einsam
Studien belegen: Die Zahl der Menschen, die sich einsam fühlen, steigt. Und sie belegen auch: Einsamkeit kann krank machen. Eine Initiative aus Norderstedt geht das Probleme aktiv und erfolgreich an.
Sie sitzen an einem U-förmigen Tisch und unterhalten sich bei Kaffee, Keksen und Kerzen. Alle hier sind über 80 Jahre alt. Viele sehen jünger aus. Einmal im Monat kommen um die 14 Männer in den Räumen des Seniorentreff Garstedt in Norderstedt (Kreis Segeberg) zusammen, um aus einem "Einsam" ein "Gemeinsam" zu machen. Ludo Uhrig ist einer von ihnen. Vor vier Jahren verstarb seine Frau - nach 59 Jahren Ehe. "Das war eine sehr schlechte Zeit für mich. 59 Jahre sind eine lange Zeit. Wenn dann der Partner stirbt, ist das schon ein Absturz", sagt der 85-Jährige. Das "Fehlen" sei ihm erst gar nicht so bewusst gewesen. "Es war eben ein: Jetzt bist du allein."
Das Gefühl der Einsamkeit nimmt zu
So wie Ludo Uhrig geht es vielen Menschen: Sie fühlen sich einsam. Und Studien belegen das auch: Ergebnisse des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zeigten an, dass sich im Jahr 2017 insgesamt 14,2 Prozent der Deutschen manchmal einsam fühlten. Im Jahr 2021 gaben sogar 42 Prozent an, sich einsam zu fühlen. Auch in einer nicht repräsentativen NDR Umfrage wurde deutlich: Einsamkeit ist unter den rund 11.000 Norddeutschen, die an der Umfrage teilnahmen, weit verbreitet. 60 Prozent gaben an, das Gefühl der Einsamkeit hin und wieder zu empfinden. Unabhängig davon, ob sie in einer Beziehung oder einer Familie leben oder andere Menschen und Freunde treffen. 16 Prozent gaben an, sich oft oder immer einsam zu fühlen.
Nachbarschafts-Gruppen bieten Halt und Gemeinschaft
Ludo Uhrig wurde sich irgendwann bewusst, dass sein Zustand kein Dauerzustand werden darf. Er suchte Anschluss und fand ihn im "Netzwerk-Norderstedt - Nachbarn für Nachbarn". Das Netzwerk soll Senioren ab 60 unterstützen und fördern. "Die Menschen, die hier leben, sollen dadurch einfach auch ihre Nachbarn besser kennenlernen, so dass man eine nachbarschaftliche Gemeinschaft hat, in der man sich auch mal hilft", erklärt Bärbel Joppien, die Koordinatorin des Netzwerks.
17 Gruppen sind dafür in den letzten zehn Jahren in der Stadt gegründet worden. Nur eine ist für männliche Senioren. Mitbegründer war Ludo Uhrig. "Ich kann hier mit den Anderen über Gott und die Welt sprechen. Man trifft sich und dann ist man nicht mehr alleine", sagt der Witwer. Das sieht sein Gruppen-Freund Klaus-Dieter Winkler genauso. Der ledige 79-Jährige leidet sehr unter Einsamkeit, hat stark mit ihr zu kämpfen, wie er erzählt. "Ich bekam in diesem Jahr die Diagnose Lungenkrebs. Ich musste alles mit mir selber ausmachen, hatte niemanden, mit dem ich darüber hätte sprechen können. Das hat mich zutiefst runtergezogen", erklärt er. In der Gruppe finde er Verbindung und Gleichgesinnte.
Einsamkeit macht krank
Einsamkeit fühlt sich nicht nur schlimm an, Einsamkeit kann auch ernste Auswirkungen haben. Studien belegen, dass Einsamkeit Krankheiten wie Schlaganfall, Depressionen, Herzinfarkt oder Demenz begünstigt. Auch das Sterberisiko steigt. Die Bundesregierung will nun mehr gegen Einsamkeit tun. Dazu wurde eine Strategie beschlossen. Sie umfasst mehr als einhundert Maßnahmen. So soll etwa die Wartezeit auf einen Therapieplatz verringert und das Unterstützungsangebot für einsame Menschen ausgebaut werden. Nach wie vor ist Einsamkeit ein Tabuthema, schambehaftet, unangenehm. Auch das soll mit der Strategie geändert werden: das Bewusstsein für Einsamkeit schärfen.
Hilfsangebote für die Feiertage
Männergruppen wie die in Norderstedt wirken aktiv der Einsamkeit entgegen. Zweimal die Woche begegnen sich die Männer hier; es sind auch schon Freundschaften entstanden, die abseits der Gruppe stattfinden. Insbesondere zur Weihnachtszeit drückt bei vielen Menschen die Einsamkeit aufs Gemüt, schleicht sich an, macht sich breit. Hilfsangebote gibt es zum Beispiel vom Kompetenznetz Einsamkeit. Menschen, die generell oder auch zu den Feiertagen Unterstützung brauchen, wird hier geholfen. Ludo Uhrig blickt recht zuversichtlich in die Zukunft: "Wenn man alleine in ein Lokal geht, ist man in der Tat ganz einsam. Das ist schrecklich", sagt er. Aber in der Gruppe sei das anders: "Man trifft sich und ist eben nicht mehr alleine. Zumindest für eine Zeit. So einfach ist das."