Wahl des Jungen Rats in Kiel: Es geht um mehr als den Sieg

Stand: 19.11.2023 00:02 Uhr

von Stella Kennedy

Jan Youssef hat es sich auf dem Sofa im Jugendcafé Mitte in Kiel, ganz in der Nähe des Rathauses, bequem gemacht. Wenn für ihn alles gut läuft, wird er sich hier in Zukunft häufiger aufhalten. Das Café ist der Treffpunkt der 16 Kieler Kinder und Jugendlichen im Alter von 12 bis 19, die den Jungen Rat bilden. Jan hat sich beworben. Er ist einer von zehn Bewerbern aus dem Bezirk Ost. "Ich interessiere mich schon lange für die Politik und habe im Internet geguckt, was man als Jugendlicher in Kiel machen kann. Und dann hab ich den Jungen Rat entdeckt." Der 16-Jährige ist in Syrien geboren. Seit elf Jahren lebt er in Deutschland, gerade macht er seinen Realschulabschluss. Er liebt Astronomie und Radfahren, aber seine große Leidenschaft ist die Politik.

Mitreden, mitmachen, mitbestimmen

Der jugendliche Syrer Jan Youssef. © NDR
Jan Youssef wurde in Syrien geboren. Jetzt will er sich unter anderem für die Kinder und Jugendlichen am Kieler Ostufer stark machen.

Wird er gewählt, ist Jan einer der 16 Kinder und Jugendlichen, die auf die Kieler Politik und die Stadtverwaltung Einfluss nehmen können. Die Aufgabe des Jungen Rats ist es, die Belange und Interessen der Kinder und Jugendlichen gegenüber der Öffentlichkeit und der Kieler Politik zu vertreten. Der Junge Rat führt eigenständig Projekte durch und bearbeitet Themen in Arbeitsgruppen. Klima- und Umweltschutz, aber auch Bildung und Sport genauso wie Verkehr und Demokratie sind wichtige Themen in den Arbeitsgruppen.

Für Jan sollte darüber hinaus auch mehr über Digitalisierung und soziale Gerechtigkeit gesprochen werden: Die Kinder am Ostufer hätten oftmals ganz andere Herausforderungen, argumentiert er: "Die haben weniger Bildung, weniger Geld zur Verfügung, weniger Möglichkeiten in der Freizeit. Das möchte ich ändern, indem ich die Interessen der Kinder, die am Ostufer wohnen, im Rathaus anspreche und vielleicht kann ich dann auch etwas umsetzen."

Vielfalt der Bewerber als Spiegel einer vielfältigen Gesellschaft

Anne Kolling. © NDR
Anne Kolling, die Geschäftsführerin des Jungen Rats in Kiel, ist begeistert von den Kids, die sich engagieren.

Anne Kolling ist Geschäftsführerin des Jungen Rats Kiel. Für sie ist gerade die Vielfalt der jungen Bewerbenden und Mitglieder des Jugendbeirats bezeichnend: "Wenn Jugendliche auch anders groß geworden sind in einem anderen Land, in einer anderen Struktur, bringen sie auch noch mal ganz andere Überlegungen mit." Das gilt für die politischen Entscheidungsprozesse, aber auch für die Repräsentation nach außen.

Jan Youssef weiß genau, was Kinder und Jugendliche brauchen, die wie er im Elternhaus oftmals kein Deutsch sprechen und auch in der Schule ganz anderen Hindernissen begegnen. Die Digitalisierung sollte in den Schulen viel mehr gefördert werden, sagt er. Damit würde vielen Kindern das Lernen erleichtert werden. Denn das beweisen etliche Studien: Soziale Herkunft entscheidet noch immer über den Bildungserfolg von Kindern und Jugendlichen. Die Aufgabe der Schule sei also umso wichtiger. Auch findet Jan es ungerecht, dass die Radwege am Westufer so viel besser seien - der Fahrrad-Fan verbringt seine Freizeit darum gern dort und nicht in seinem Viertel Gaarden/Wellingdorf.

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Schleswig-Holstein ganz vorn, was Jugendlichen-Partizipation angeht

Knapp 30 Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohner Kiels haben einen Migrationshintergrund. Für eine sozial gerechte Teilhabe sollten also auch diese Stimmen gehört werden, findet der Schüler. Sein Wahlbezirk Ost, für den er kandidiert, besteht aus den Stadtteilen Neumühlen-Dietrichsdorf/Oppendorf, Ellerbek/Wellingdorf, Gaarden, Elmschenhagen/Kroog. Die Zahl der Mitglieder des Jungen Rates für einen Bezirk ergibt sich aus der Zahl der in dem Bezirk lebenden Wahlberechtigten, im Wahlbezirk Ost sind diesfünf. Neben dem Wahlbezirk Ost ist Kiel für die Wahl in die drei weiteren Bezirke Nord, Süd und Mitte eingeteilt.

Abgesehen von Kiel finden gerade in ganz Schleswig-Holstein die landesweiten Wahlen der kommunalen Kinder- und Jugendvertretungen statt. Die zentrale Wahlwoche ist vom 20. bis 26. November 2023. Silke Löbbers, zuständig für die Kinder- und Jugendbeteiligung in Schleswig-Holstein, ordnet diese auf Anfrage des NDR ein: "Wir haben seit drei Jahren insgesamt plus minus 70 Jugendvertretungen im Land. Damit stehen wir bundesweit ganz vorne, was die Partizipation von Kindern und Jugendlichen angeht", sagt sie. "Wir waren auch die ersten, die die parlamentarische Form der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Gesetz für die Gemeinden vorgeschrieben haben", so Löbbers.

Für Jan sind die nächsten Tage vor allem eines: aufregend. In der vergangenen Woche haben die Kieler Jugendlichen per Briefwahl abgestimmt, noch bis Montag gehen die Wahlzettel ein und am Sonnabend, den 25.11 ist es soweit und die Wahlergebnisse werden verkündet. Was Jan macht, wenn er es nicht in den Jungen Rat schafft? Der 16-Jährige grinst: "Dann mache ich trotzdem weiter. Mein Traum ist die Politik, den gebe ich so schnell nicht auf."

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 18.11.2023 | 19:30 Uhr

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