Urteil im Stutthof-Prozess: Zwei Jahre auf Bewährung
Am Dienstag ist am Itzehoer Landgericht ein historischer Prozess zu Ende gegangen. Die ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof Irmgard F. wurde zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft zur Bewährung verurteilt. Der Vorwurf lautete: Beihilfe zum Mord in Tausenden Fällen.
Nach insgesamt 40 Verhandlungstagen am Itzehoer Landgericht wurde die Angeklagte Irmgard F., ehemalige Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof, schuldig gesprochen. Der Richter hat die 97 Jahre alte Frau zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt - wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen sowie Beihilfe zum versuchten Mord in fünf Fällen.
Verurteilung nach Jugendstrafrecht
Da Irmgard F. zum Zeitpunkt der Tat zwischen 18 und 19 Jahren alt war, wurde gegen sie eine Jugendstrafe verhängt. Von 1943 bis 1945 hatte die heute 97-Jährige im KZ Stutthof bei Danzig als Schreibkraft gearbeitet. Dort soll die Sekretärin in der Kommandantur von den Vorgängen im Lager gewusst haben.
Keine Zweifel an der Schuld
Für die Kammer ist ausgeschlossen, dass die Angeklagte währenddessen nichts von den systematischen Morden gewusst haben soll. Da die Tötungen in Konzentrationslagern systematisch waren, hätten sie viel Schriftverkehr und Bürokratie erfordert - Aufgaben, für die die Angeklagte als einzige Schreibkraft des Lagerchefs verantwortlich war.
So hat sie laut Gericht zum Beispiel die Todesmärsche aus dem Lager Anfang 1945 schriftlich mitorganisiert. Gaskammer und Krematorium hatte die Angeklagte laut Kammer von ihrem Arbeitsplatz zwar nicht direkt im Blick - dagegen aber die Wege dorthin und auch den Sammelplatz, auf dem die Gefangenen ankamen.
Verteidigung könnte Revision einlegen
Während der Urteilsverkündung gab sich die Angeklagte regungslos. Ihr Anwalt sagte im Anschluss an die Urteilsbegründung, dass er nicht einverstanden sei mit dem Schuldspruch: "Wir wollen das schriftliche Urteil lesen und uns damit auseinandersetzen. Wir haben gemeint, dass man der Angeklagten den verbleibenden Zweifel zu Gute halten muss und halten eine solche Verurteilung nicht für richtig." Ob man Revision einlegen werde, wolle die Verteidigung noch prüfen.
Aufwendige Ermittlungsarbeit unter erschwerten Bedingungen
In gut 14 Monaten schwollen die Prozessakten auf ungefähr 3.600 Seiten an. Dazu kam ein USB-Stick mit etwa 2.000 Vernehmungsprotokollen. 14 Zeuginnen und Zeugen wurden gehört, acht davon selbst Überlebende des KZ Stutthof. Alle berichteten über ihre Leidenszeit im Lager.
Im März und April dieses Jahres musste der Prozess fünf Wochen pausieren, weil die Angeklagte krank war. Damals befürchteten vor allem die Überlebenden und deren Anwälte, dass Irmgard F. nicht mehr in den Verhandlungssaal zurückkehren würde. Doch sie wurde wieder gesund und der Prozess wurde am 26. April fortgesetzt.
Außerdem warf die Verteidigung der Nebenklägerinnen und Nebenkläger der Staatsanwaltschaft vor, dass die Anklageerhebung zu lange auf sich habe warten lassen. Die Unterlagen mit den Voruntersuchungen zum Fall waren bereits am 11. Juli 2016 an die Staatsanwaltschaft Itzehoe geschickt worden. Das anschließende Ermittlungsverfahren dauerte vier Jahre. Erst am 27. Januar 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Sechs Nebenklägerinnen und Nebenkläger waren in der Zwischenzeit verstorben.
Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass die Ermittlungen im Fall Irmgard F. viel aufwendiger gewesen seien als in Fällen, in denen es beispielsweise um Wachmänner ging. Es habe nie zuvor einen Prozess gegen Zivilangestellte gegeben.