"Schaffen wir das?": Wie Geflüchtete schneller in Arbeit kommen
In Schleswig-Holstein läuft seit Anfang des Jahres ein Pilotprojekt, um Geflüchtete gezielter an passende Arbeitgeber zu vermitteln. Das klappt auch - zumindest bedingt, wie wir in unserer NDR Info Serie "Schaffen wir das?" zeigen.
Kamiran Almahmoud will bei Michel Bau in Neumünster anfangen. Deutsch spricht der Syrer nicht, ein Dolmetscher hilft beim Bewerbungsgespräch. Erfahrung im Tiefbau hat er aber: Er kann Bagger fahren, in Syrien, Irak, Libanon und Libyen hat er schon gearbeitet - auch als Lkw-Fahrer und Heizungsbauer, wie er erklärt.
Viele Bewerber von harten Arbeitsbedingungen abgeschreckt
"Wir suchen händeringend Personal, das willig ist, im Bau zu arbeiten", sagt Geschäftsführer Stephan Remer. Und zählt direkt die Widrigkeiten auf, denen sich potenzielle Bewerber ausgesetzt sehen auf den Baustellen: "Es ist nach wie vor laut, anstrengend, im Sommer heiß, im Winter kalt und nass." Zudem müsse Almahmoud damit rechnen, bei Arbeiten im Erdreich auch mit der Kanalisation in Berührung zu kommen. Das schrecke viele Bewerber ab. Nicht jedoch Almahmoud: "Arbeit ist Arbeit", sagt er.
"Wenn jemand sagt, er hat da Lust zu, dann ist er schon mal ganz weit vorne", sagt Remer. "Wenn er sagt, er kann schweißen und brennen, dann ist er handwerklich zumindest schon mal begabt."
Doch der Geschäftsführer fragt sich auch: Wie kann jemand auf dem Bau arbeiten, wenn er die Anweisungen nicht versteht? "Wir werden es nicht leisten können, eine arabische oder indische Kolonne aufzustellen, wo die unter sich sind, das ist auch nicht unser Ziel", sagt Remer. Im Unternehmen begreife man sich als eine Einheit.
Pilotprojekt: Geflüchtete mit minimalen Sprachkenntnissen einstellen
Das Unternehmen macht bei einem Pilotprojekt mit, das in Schleswig-Holstein seit Anfang des Jahres im Rahmen des bundesweiten "Job-Turbo" ins Leben gerufen wurde. "Wir haben versucht, Betriebe dafür zu gewinnen, Geflüchtete auch mit minimalen Sprachkenntnissen einzustellen", sagte Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) damals. Rund ein Dutzend Betriebe hätten ihr Interesse signalisiert. Das sei auf jeden Fall einen Versuch wert, zeigte sich Madsen überzeugt. Er appellierte an die Unternehmen, sich für neue Möglichkeiten zu öffnen. Denn die Zeiten, in denen es "ein Heer von gut qualifizierten Arbeitslosen gab", seien lange vorbei.
Sieben Bewerber - und alle kommen zum vereinbarten Termin
Weil es zu wenig Bewerber gebe, müsse auch Michel Bau solche Alternativen nutzen, um an Arbeitskräfte zu kommen. "Da sagen wir, wenn jemand willig ist, dann müssen wir uns drum kümmern, dass wir ihn ausgebildet bekommen."
Sieben Bewerber hat die Arbeitsagentur zu Michel Bau geschickt. Remer führt sie über das Gelände. Keiner von ihnen spricht Deutsch. Sie sind erst seit wenigen Monaten im Land. "Womit alle ganz weit vorne sind: Sie sind zum vereinbarten Termin zur vereinbarten Zeit am vereinbarten Ort gewesen. Alle sieben, die hier sitzen, haben die erste Hürde schon genommen."
Das sei keine Selbstverständlichkeit mehr, dass man Leute einlädt und überhaupt jemand erscheint. "Es wäre nicht ungewöhnlich gewesen, wenn gar keiner gekommen wäre. Das ist die Erfahrung, die wir gemacht haben", so Remer.
Abfrage in Boostedt: Was können die Bewohner?
Alle sieben Bewerber leben in der Erstaufnahmeeinrichtung in Boostedt in Schleswig-Holstein. Erika Häbel vom Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge befragt im Rahmen des Pilotprojekts Syrer und Afghanen direkt nach ihrer Ankunft, welche Qualifikationen sie mitbringen. "Es kommt darauf an, was sie in Syrien oder Afghanistan gelernt haben, ob sie die Schule besucht haben", erklärt Häbel.
Sie macht ein sogenanntes Grundkompetenz-Screening, damit die Bundesagentur für Arbeit passgenauer Bewerber verteilen kann. "Wenn sie vor mir sitzen, weiß ich nicht, ob das ein Tischler ist oder ein Rechtsanwalt. Über das Grundkompetenz-Screening kitzele ich heraus, was sie in ihrem Heimatland gelernt haben, ob sie studiert haben." Die häufigsten Berufswünsche der Bewohner seien Schneider, Kfz-Mechatroniker, Elektriker, Bäcker und Tischler. "Was sehr selten ist: Zahnarzt oder Rechtsanwalt", sagt Häbel.
556 Gespräche - drei vermittelte Jobs
Seit Frühjahr läuft das Pilotprojekt in Schleswig-Holstein. Bislang geführt wurden 556 Gespräche. Drei Jobs wurden vermittelt. Wird Kamiran Almahmoud die Nummer vier?
Dass er und die sechs anderen Männer zum Bewerbungsgespräch bei Michel Bau eingeladen wurden, bezeichnet Häbel als Erfolg. Zwei Aspiranten erhalten später ein Praktikum. Nur einer wird auch tatsächlich erscheinen: Almahmoud.
Der zeigt seinem Ausbilder, dass er am Schweißgerät kann, was er versprochen hat. Auch die zweite Übung absolviert er problemlos: Gabelstapler fahren. Almahmoud transportiert Paletten über den Hof. Er versteht also sein Handwerk, aber die Sprache nicht. Almahmoud hat seinen Bruder zum Dolmetschen mitgebracht.
Bürokratie schlägt zu: Umzug im Land ist ein Problem
Trotz weiterhin bestehender Sprachhürden, Michel Bau will es mit ihm wagen. Doch kurz vor der Unterschrift eine Hiobsbotschaft: Der Syrer ist mittlerweile im Land umgezogen. Er wohnt jetzt im Kreis Pinneberg, sodass nicht mehr die Landesaufnahmeeinrichtung in Boostedt zuständig für ihn ist, sondern die Kreisverwaltung.
Der Umzug schafft gleich zwei Probleme: Zunächst gibt es neue behördliche Zuständigkeiten. Das bedeutet neue Ansprechpartner, neuen Papierkram, kurzum: mehr Bürokratie für Geschäftsführer Remer. Zum anderen bringt der neue Wohnort auch die betrieblichen Arbeitsabläufe durcheinander. Denn Almahmoud war bereits für Schichtpläne und Kolonnen vorgesehen - allerdings für Baustellen in Neumünster, nicht in Pinneberg. Jetzt gilt es, noch einmal neu zu planen und umzuorganisieren, damit der arbeitswillige Syrer auch tatsächlich in ein Arbeitsverhältnis kommt.