Migration in Norddeutschland: So viele Geflüchtete haben Arbeit
Eine NDR Analyse zeigt, dass rund 30 Prozent der Geflüchteten in Norddeutschland arbeiten. Bürokratische Hürden und fehlende Sprachkurse verhindern, dass es mehr sind. Dabei werden Fachkräfte dringend gebraucht.
Nach einer Auswertung von NDR Data schwankt der Anteil der Geflüchteten, die Arbeit haben, stark zwischen den norddeutschen Bundesländern: Im Vergleich sind in Hamburg am meisten beschäftigt, in Mecklenburg-Vorpommern am wenigsten. Die untersuchten Zahlen kommen von der Bundesagentur für Arbeit und dem Statistischen Bundesamt und beschreiben den Stand Anfang 2023.
Vermutlich sind sogar 35 bis 40 Prozent der Geflüchteten zwischen 16 und 67 Jahren in Arbeit, aber nicht alle sind in den offiziellen Zahlen erfasst. Zum Vergleich: Bei den deutschen Staatsbürgern im erwerbsfähigen Alter liegt die Quote mit rund 70 Prozent etwa doppelt so hoch. Entsprechend ist der Anteil der Menschen, die staatliche Unterstützung brauchen, unter den Schutzsuchenden deutlich höher als bei den Deutschen.
Setzt man die norddeutschen Bundesländer in den Vergleich mit ganz Deutschland, so sieht man, dass in Hamburg anteilig die meisten Geflüchteten arbeiten, in Mecklenburg-Vorpommern die wenigsten. Schleswig-Holstein und Niedersachsen befinden sich etwa im Schnitt. Dass die Quote in Hamburg vergleichsweise hoch ist, kann zum Teil daran liegen, dass Geflüchtete aus dem Umland dorthin zur Arbeit pendeln.
Geflüchtete Ukrainer noch nicht in Arbeitsmarkt integriert
Zu Beginn des Jahres 2022 lag die Beschäftigungsquote bei Schutzsuchenden im Norden mit mindestens 37 Prozent noch deutlich höher. Doch dann flohen mehr als 100.000 Ukrainerinnen und Ukrainer nach Norddeutschland. Zwar dürfen ukrainische Staatsangehörige, anders als andere Schutzsuchende, sofort arbeiten. Doch gibt es in Deutschland viele Hindernisse für Geflüchtete, die arbeiten möchten. Und die meisten Probleme löst auch ein neuer Kabinettsbeschluss von Anfang November nicht. Denn auch wenn dieser einen schnelleren Arbeitseinstieg vorsieht - mehr Geflüchtete sollen schon nach sechs Monaten arbeiten dürfen, nicht erst nach neun - gibt es noch viele weitere Gründe, warum Schutzsuchende nicht arbeiten.
Vielfältige Gründe für Arbeitslosigkeit
Manche gehen zur Schule oder sind nicht erwerbsfähig, weil sie Kleinkinder betreuen müssen. Wieder andere suchen eine Stelle oder warten auf einen Platz in oft ausgebuchten Integrations- und Sprachkursen. Den Wenigsten, rund einem Prozent, droht eine baldige Abschiebung.
Ohne Deutsch kaum Arbeit
Fehlende Deutschkenntnisse sind eines der größten Hindernisse für Geflüchtete. Theoretisch ließe sich das mit Sprachkursen ausräumen. Aber es gibt nicht genügend Kurse, weil es an Geld und Lehrkräften mangelt. In Niedersachsen warten Schutzsuchende beispielsweise teils mehr als ein Jahr auf einen Deutschkurs. Zwar können die meisten Geflüchteten laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sieben Wochen nach Anmeldung an einem Integrationskurs teilnehmen. Doch insbesondere im ländlichen Raum kann das auch länger dauern. Ein großes Problem sagt Jasper Tjaden, Migrationsforscher und Professor an der Universität Potsdam, denn: "Jeden investierten Euro in den Spracherwerb bekommt der Steuerzahler in Form von kürzerem Bezug von Sozialleistungen oder höheren Einkommensteuern wieder."
Zu wenige Kinderbetreuungsplätze
Für geflüchtete Frauen mit Kindern ist die Situation besonders schwierig. Eine im Juli veröffentlichte Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass vergleichsweise viel weniger geflüchtete Frauen als Männer arbeiten. Oft finden sie keinen Kita- oder Krippenplatz. Somit fehlt die Zeit, an Sprach- und Integrationskursen teilzunehmen oder zu arbeiten.
Annekatrin Niebuhr ist Forscherin am IAB und Professorin an der Universität Kiel. Der Mangel an Kinderbetreuungsplätzen sei ein Grund für die schlechtere Arbeitsmarktintegration von Frauen, sagt sie. Hinzu kommt, dass geflüchtete Frauen in ihrer Heimat oft in medizinischen oder lehrenden Berufen gearbeitet haben. Diese erfordern in Deutschland jedoch hohe formale Qualifikationen und gute Sprachkenntnisse, doch gute Angebote dafür fehlen.
Fachkräftemangel macht Integration dringend erforderlich
Dabei werden gut qualifizierte Arbeitskräfte vielerorts händeringend gesucht. Für 2035 prognostiziert die Handelskammer Hamburg, dass über 160.000 Fach- und Hilfskräfte fehlen werden - allein in der Hansestadt. Für ganz Deutschland prognostiziert das Statistische Bundesamt, dass Mitte der 2030er-Jahre Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen könnten - und entsprechend viele Arbeitskräfte. Eine gute Arbeitsmarktintergration von Schutzsuchenden ist also zwingend erforderlich. Aber viele freie Stellen erfordern eine gute Ausbildung - und deren Nachweis. An beidem mangelt es - und ohne geht es selten, denn "der deutsche Arbeitsmarkt ist extrem stark reguliert, insbesondere bei den Industriearbeitern und Handwerkern", so Migrationsforscher Tjaden.
Bürokratische Prozesse dauern zu lang
Juristisch können viele Geflüchtete nach frühestens drei Monaten eine Arbeitserlaubnis beantragen. Eine klare Verbesserung gegenüber dem Stand vor ein paar Jahren. Problematisch ist jedoch: Die Arbeitserlaubnis wird in manchen Fällen erst nach neun Monaten oder noch später gewährt. Die genaue Umsetzung der Regelungen legt das jeweilige Amt fest. Entsprechend variiert die Zeit, die Geflüchtete warten müssen, bis sie arbeiten dürfen oder einen Asylentscheid erhalten.
"Die Asylentscheidungsprozesse dauern viel zu lange", so das Fazit von Migrationsforscher Tjaden. Die entstehende Unsicherheit behindert auch potenzielle Arbeitgeber, die feste Zusagen brauchen. Der Kabinettsbeschluss zur Verkürzung der Wartezeit soll diese Situation verbessern. "Ob die Erleichterungen eine Wirkung zeigen, bleibt abzuwarten", so Tjaden.
Arbeitsmarkt vor Ort wird kaum berücksichtigt
Hinzukommt, dass Geflüchtete in Deutschland nach Meinung von Wissenschaftlerin Niebuhr vom IAB und Migrationsforscher Tjaden nicht "bedarfsgerecht" verteilt würden: Das Problem sei hier der sogenannte Königsteiner Schlüssel, das Verfahren zur Verteilung von Geflüchteten in Deutschland. Bisher würden die Kapazitäten und Bedürfnisse des Arbeitsmarkts vor Ort sowie die Qualifikationen der Geflüchteten kaum berücksichtigt. Dementsprechend könnten Schutzsuchende in einer Gegend untergebracht werden, in der kaum Arbeitskräfte gesucht werden - zum Nachteil aller Beteiligten.