Schwarz-grüne Halbzeitbilanz: Wie steht es um die geplanten Projekte?
Wie weit ist die Landesregierung nach zweieinhalb Jahren mit ihren Plänen für Klimaschutz, Infrastruktur und Kita? Klar ist, dass sich manche Projekte sich nicht wie geplant umsetzen lassen.
Im Überblick:
- So ging es mit Schwarz-Grün los
- Stimmen zum Spiel
- Klimaschutz - klappt die Transformation?
- Kita - Verlässlichkeit oder Qualität?
- Belastungsprobe Migration
- Mehr Polizei, weniger Gerichte
- Hürden auf Straße und Schiene
- Zwischenmenschliches
Als CDU und Grüne im Juni 2022 ihren Koalitionsvertrag unterschreiben, ist die Corona-Krise noch immer nicht ganz überstanden. Wer in diesem Sommer mit dem 9-Euro-Ticket unterwegs ist, trägt noch Maske. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat vor einem Vierteljahr begonnen. Der Begriff der "multiplen Krisen" macht die Runde.
Große Pläne trotz Krisen
In dieser Zeit vereinbaren CDU und Grüne, dass sie Schleswig-Holstein zum "ersten klimaneutralen Industrieland" machen und mehr Wohnraum schaffen wollen, sowie die Kita-Qualität erhöhen und die innere Sicherheit stärken. Die damalige Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) sagt, man wolle den Menschen "Halt und Sicherheit" geben.
Günther sieht Regierung voll im Plan
Zweieinhalb Jahre später sind die Krisen nicht weniger geworden. In Berlin hat sich die Bundesregierung gerade zerlegt, die Wirtschaft lahmt - und in Schleswig-Holstein fehlt das Geld. Trotzdem zieht die Landesregierung nach der Hälfte ihrer Regierungszeit eine positive Bilanz: Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte zuletzt zwar eingeräumt, dass mit Blick auf die Finanzen nicht alle Projekte aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt werden könnten. Er meint aber, dass Schwarz-Grün die richtigen Prioritäten setzt - und etwa beim Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, voll im Zeitplan liegt.
Die Opposition ist da skeptischer. SPD-Fraktionschefin Serpil Midyatli sieht Unmut in der Bevölkerung: Bei jeder Landtagssitzung, sagt sie, gebe es Demonstrationen vor dem Landeshaus. Kritik kommt auch von der FDP und dem SSW.
Klimaschutz - klappt die Transformation?
Mehr erneuerbare Energien und schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren - so soll Schleswig-Holstein zum ersten klimaneutralen Industrieland werden. Große Hoffnungen knüpft die Koalition an die Ansiedlung des Batterieherstellers Northvolt. Doch gerade in letzter Zeit häufen sich dort die Negativmeldungen. Der Markt für Elektroautos schwächelt. Ministerpräsident Günther ist trotzdem optimistisch - weil Northvolt nach wie vor am Standort Schleswig-Holstein festhalte.
Beim Windkraftausbau sieht Günther das Land als bundesweiten Vorreiter. Lob für die Ausbauzahlen kommt auch vom Landesverband Erneuerbare Energien. SPD-Chefin Serpil Midyatli sieht beim Klimaschutz noch zu viele offene Fragen - vor allem, was die Auswirkungen auf die Menschen im Land angeht, also etwa die Strompreise.
Lars Harms vom SSW meint, dass Schwarz-Grün zu hohe Ziele formuliert hat - das mache den Menschen Angst. FDP-Fraktionschef Christopher Vogt befürchtet, Schleswig-Holstein könne anstelle eines "klimaneutralen Industrielandes" zum "industriefreien Klimaland" werden.
Einem neuen Klimaschutzgesetz hat das Kabinett schon zugestimmt, darin wird unter anderem geregelt, dass Solaranlagen auf neu gebauten Wohnhäusern zur Pflicht werden. Bei den landeseigenen Gebäuden, mahnt die FDP, sei beim Thema Solar noch Luft nach oben.
Kita - Verlässlichkeit oder Qualität?
Eigentlich sollten laut Koalitionsvertrag zusätzliche Fachkräfte für eine höhere Qualität und Verlässlichkeit in den Kitas sorgen. Die Elternbeiträge sollten weiter sinken. Doch eine Finanzierungslücke von 110 Millionen Euro verhindert das. Und auch wenn der Fachkraft-Kind-Schlüssel beim Standort von zwei Fachkräften pro Gruppe erhalten bleibt, dürfen Kitas ihr Personal, etwa in Randzeiten, flexibler einsetzen. Der Schwerpunkt liegt nun auf dem Thema Verlässlichkeit.
Aus Sicht des Paritätischen ist das Land meilenweit davon entfernt, die eigenen Ziele zu erreichen. Vor allem beim Thema Qualität. Die zuständige Sozialministerin Aminata Touré dagegen betont, dass die Koalition im Bereich Kita einen Schwerpunkt setzt und so viel Geld wie noch nie für diesen Bereich ausgibt. In den kommenden Jahren, so Touré, werde sich die Kita-Reform positiv auswirken. Sie tritt im kommenden Jahr in Kraft. SPD und FDP dagegen verweisen auf eine Anhörung im Landtag, bei der die Reform "verrissen" worden sei und fordern Nachbesserungen.
Belastungsprobe Migration
Die Diskussionen auf Bundesebene um eine härtere Gangart beim Thema Asylpolitik haben auch Auswirkungen auf Schleswig-Holstein. So einigten sich CDU und Grüne auf ein Sicherheits- und Migrationspaket, das auch effizientere Abschiebungen und Dublin-Überstellungen vorsieht. Integrationsministerin Aminata Touré sieht darin aber keine Abkehr von einer humanitären Flüchtlingspolitik, von der im Koalitionsvertrag die Rede ist. Die Gesellschaft verändere sich und Migration werde auch sicherheitspolitisch diskutiert, sagt sie. "Wir verlassen dabei aber nicht den Pfad einer humanitären Flüchtlingspolitik."
Flüchtlingsrat und Flüchtlingsbeauftragte kritisierten, dass sich das Land für weitere Rücknahmeabkommen mit Herkunftsstaaten ausspricht - die bedeuteten eine Zusammenarbeit mit autokratischen Regimen, so der Vorwurf.
Mehr Polizei, weniger Gerichte
Im Wahlkampf hatte die CDU vor allem mit zusätzlichen Stellen für Polizei und Justizbehörden geworben - das bleibt trotz Sparkurs auch ein Schwerpunkt der Regierung. Daniel Günther sieht die Koalition auch hier "genau im Zeitplan" - im Haushalt sind neben zusätzlichen Stellen auch Mittel für die Ausstattung der Polizei hinterlegt.
In der Justiz soll am Opferschutz gespart werden. Und vom Plan aus dem Koalitionsvertrag, dass "alle Standorte der schleswig-holsteinischen Justiz erhalten" bleiben sollen, hat sich das Land aus Kostengründen verabschiedet. Die geplante Justizreform, nach der Arbeits- und Sozialgerichte an einem zentralen Standort gebündelt werden sollen, sorgt für einen Aufschrei an den Gerichten.
Hürden auf Straße und Schiene
Wenn ein Verkehrsminister Bahnstrecken abbestellen muss, ist das "schmerzhaft" - so formuliert es Claus Ruhe Madsen (CDU) selbst im Sommer. Auch wenn es "nur" um Verbindungen in Randzeiten geht. Denn eigentlich soll das Nahverkehrsangebot ja ausgebaut werden - mit Mitteln aus Berlin. Aber auch der Bund hat Geldprobleme.
Das räumt auch FDP-Mann Christopher Vogt ein. Allerdings ist es aus seiner Sicht vor diesem Hintergrund umso wichtiger, dass sich die Landesregierung in Berlin für schleswig-holsteinische Verkehrsprojekte einsetzt - auch beim Thema A20-Ausbau. Laut einer IHK-Umfrage erwägt jedes vierte Unternehmen in Norddeutschland, den Standort zu wechseln, sollte die A20 nicht ausgebaut werden.
Ministerpräsident Günther sieht sich durch diese Umfrage in seiner Kritik am Bund bestätigt. Die Grünen hätten auf Bundesebene "nicht geholfen", sagt er. Ebenso wie Bundesverkehrsminister Volker Wissing (ehemals FDP).
Zwischenmenschliches
Es gab in der Vergangenheit - gerade in Schleswig-Holstein - schon Koalitionen, in denen deutlich mehr gestritten wurde als bei Schwarz-Grün. Unterschiedliche Auffassungen beim Nationalpark Ostsee oder bei der Migrationspolitik wurden von den Koalitionsmitgliedern in der Öffentlichkeit meist diplomatisch umschifft. Während der Regierungschef entsprechend offensiv für ein schwarz-grünes Bündnis auch im Bund wirbt, sieht die Opposition pessimistischer in die Zukunft der Partner und erwartet, dass angesichts knapper Kassen "die Fliehkräfte zunehmen werden", wie es FDP-Fraktionschef Vogt formuliert.
Dass der Ton auch bei Schwarz-Grün manchmal etwas rauer sein kann, zeigten etwa die Chats zwischen Sozialministerin Touré und ihrer inzwischen entlassenen Staatssekretärin Marjam Samadzade. Sie hatte einen Instagram-Post, der auch Kritik an Israel enthielt, geteilt und kommentiert. Die Einzelheiten des darauf folgenden Zerwürfnisses beschäftigten anschließend wochenlang den Innen- und Rechtsausschuss.
Andere Personalwechsel liefen deutlich geräuschloser ab: So übergab Finanzministerin Monika Heinold den Staffelstab an Nachfolgerin Silke Schneider - ihre frühere Staatssekretärin. Oppositionsführerin Serpil Midyatli übernahm den SPD-Fraktionsvorsitz wieder von Thomas Losse-Müller. Und Lars Harms vom SSW kündigte seinen Rückzug aus der Landespolitik an.