Opferschutz in SH: Geplante Kürzungen sorgen für Kritik

Stand: 24.10.2024 16:46 Uhr

Der Haushaltsentwurf der schleswig-holsteinischen Landesregierung sieht im Bereich des Justizministeriums Einsparungen bei Opferschutz und -hilfe vor. Organisationen und Verbände protestieren.

von Christine Pilger

Es sind Sparvorschläge, die bei Betroffenen für Aufregung sorgen: Das Justizministerium soll, genauso wie alle anderen Ministerien, Geld einsparen. Das schwarz-grüne Kabinett will im Haushalt 2025 über 200 Millionen Euro weniger ausgeben. Und im von Kerstin von der Decken (CDU) geführten Justizministerium trifft das auch Bereiche des Opferschutzes, beziehungsweise der Opferhilfe. Zuerst hatte der SHZ am Donnerstag (24.10.) darüber berichtet.

Das sind die Sparmaßnahmen des Justizministeriums:

Ab 2025 sollen die Kosten mehr als halbiert werden - insgesamt sollen 325.000 Euro eingespart werden:

  • Die Mittel für Maßnahmen und Angebote für Kinder von Inhaftierten und anderen Angehörigen werden halbiert - von derzeit 465.000 Euro auf 235.000 Euro. Das betrifft zum Beispiel "kurzzeitpädagogische Ferienmaßnahmen im Rahmen der ResOG."
  • Bei der psychosozialen Prozessbegleitung in Strafverfahren sollen "freiwillige Leistungen, die über das Gesetz hinausgehen, nicht fortgeführt werden." Damit werden 95.000 Euro eingespart.

Außerdem will das Ministerium im "allgemeinen Geschäftsbereich" 85.000 Euro einsparen, zudem schlägt das Ministerium im Haushaltsentwurf der Landesregierung vor, dass bei der Seelsorge in Justizvollzugsanstalten "die vertraglichen Beziehungen" angepasst werden. Das heißt konkret: "Die Erstattung von Personalkosten wird um 400.000 Euro reduziert."

Abschließend werden die Sparpläne mit dem gesamten Haushaltsentwurf vom schleswig-holsteinischen Landtag beschlossen - vermutlich im Januar 2025.

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Weißer Ring SH: Große Auswirkung auf Betroffene

Kurzsichtig - so bewertet Joachim Brandt, Sprecher bei der Opferschutzorganisation Weißer Ring in Schleswig-Holstein, die Einsparvorschläge.

"Wenn man den Betrag, der eingespart werden soll, ins Verhältnis setzt zum Gesamthaushalt, dann sind das eher Kleinigkeiten, die da eingespart werden. Aber diese Hilfestellungen, die da geleistet werden, haben natürlich eine ganz erhebliche Hebelwirkung für die Betroffenen [...]." Joachim Brandt, Pressesprecher Weißer Ring SH

Brandt befürchtet, dass die geplanten Einsparungen dazu führen könnten, dass durch weniger Beratungen und Hilfe für Betroffene die psychische Belastung ansteigt. Und das habe wiederum auch Folgen für Krankenkassen und soziale Einrichtungen wie den Weißen Ring, so Brandt. Dort sei man sehr froh, "dass wir nicht von staatlichen Zuwendungen abhängig sind, sondern unsere Arbeit bei den Betroffenen über Spenden über Mitgliedsbeiträge und über Nachlässe finanzieren können."

Justizministerium: Es gibt weiter ein breites Spektrum an Opferschutzmaßnahmen

Von den Kürzungsplänen ist auch die psychosoziale Prozessbegleitung betroffen. Die unterstützt nach Angaben des Landesverbands Frauenberatung in Schleswig-Holstein seit 30 Jahren Menschen, die Opfer von Straftaten geworden sind - von der Strafanzeige bis zum Urteil. Seit 2017 haben laut geltendem Bundesgesetz "insbesondere Kinder und Jugendliche, die Opfer von Gewalt- und Sexualdelikten geworden sind, einen Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung." 

Im Haushaltsentwurf für 2025 steht, dass in Schleswig-Holstein das gesetzlich vorgeschriebene Maß weiter eingehalten werde. Laut Justizministerium entspricht das dem Verfahren in anderen Bundesländern, die im Gegensatz zu Schleswig-Holstein keine freiwilligen Leistungen anbieten. Insgesamt bleibe also weiterhin ein möglichst breites Spektrum an Opferschutzmaßnahmen erhalten, so ein Ministeriumssprecher. Das die freiwilligen Leistungen gestrichen werden, sei allein der Haushaltslage geschuldet.

Frauenberatung: Viele Betroffene von häuslicher Gewalt sagen ohne Begleitung nicht aus

Lena Mußlick von Landesverband Frauenberatung SH. © NDR
Für Lena Mußlick von Landesverband Frauenberatung SH ist die Prozessbegleitung unverzichtbar.

Dass diese freiwillige Leistung nicht fortgeführt werden soll, habe große Folgen, kritisiert Lena Mußlick vom Landesverband Frauenberatung Schleswig-Holstein e.V. (LFSH). Bislang habe das Justizministerium mit dieser Zusatzleistung Betroffene in Strafverfahren von häuslicher Gewalt und Stalking unterstützt und auch in Härtefällen geholfen, beispielsweise nach der Messerattacke in Brokstedt. Dort habe man zum Beispiel Augenzeugen begleiten können, die eigentlich keinen Rechtsanspruch gehabt hätten, erklärt die psychosoziale Prozessbegleiterin Andrea Haarländer. Die Geschäftsführerin beim schleswig-holsteinischen Verband für soziale Strafrechtspflege; Straffälligen- und Opferhilfe e.V. macht klar - wenn die Kürzungen kommen, "wird es für die Zeuginnen und Zeugen schwieriger, die müssen das dann alleine durchstehen."

"Das Erleben dieser Belastung ist ja nicht abhängig von der Art des Deliktes, sondern es ist ein individuelles Empfinden. Bei häuslicher Gewalt ist es so, dass Frauen sehr belastet sind, emotional sehr belastet sind. Und eine Aussage eben schwerer fällt, als vielleicht wenn ein Täter ein fremder Mensch war, zu dem man überhaupt keine Beziehung hat. Und gerade diese Fälle sind aus der gesetzlichen Anspruch herausgenommen." Andrea Haarländer, Psychosoziale Prozessbegleiterin

Bund plant Gesetzentwurf zum Ausbau der Prozessbegleitung

Das Land sei - bisher - Vorreiter im Opferschutz und Vorbild für andere Bundesländer gewesen, weiß Lena Mußlick vom LFSH. "Psychosoziale Prozessbegleitung gerade auch in Fällen häuslicher Gewalt ist ein ganz wichtiger Bestandteil von wirksamen Strafverfahren. Ohne eine gute Begleitung können ganz viele Betroffene von häuslicher Gewalt nicht aussagen und die Täter können nicht zur Verantwortung gezogen werden."

Bei den verschiedenen Stellen und Organisationen für Opferschutz hoffen die Beteiligten, dass sich an den Plänen noch etwas ändert. Das Justizministerium teilte schriftlich mit, dass das Bundesjustizministerium plane, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die psychosoziale Prozessbegleitung ausgebaut und praxisgerecht fortentwickelt werden soll.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 24.10.2024 | 16:00 Uhr

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