Gewalt gegen Frauen: Weißer Ring fordert elektronische Fußfessel
Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Schleswig-Holstein bleibt hoch - ebenso die Fälle, bei denen der Weiße Ring hilft. Das geht aus Zahlen hervor, die der Verein vorgestellt hat. Zur Entschärfung fordert er die Einführung elektronischer Fußfesseln.
Die Corona-Pandemie war eine Zeit der Einschränkungen. Lockdowns, Ausgangssperren und häusliche Isolation zwangen die Menschen deutschlandweit über lange Zeit in die eigenen vier Wände. Mit einher ging ein drastischer Anstieg häuslicher Gewalt. Zwar fand die Pandemie ein Ende, doch bei der häuslichen Gewalt ist kein Rückgang festzustellen.
Weißer Ring: "Erschütterndes Ergebnis"
Der Weiße Ring in Schleswig-Holstein spricht von anhaltend hohen Opferzahlen. Von den insgesamt 1.618 Personen, die im vergangenen Jahr die Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer aufsuchten, waren 215 Fälle Häusliche Gewalt - 72 Prozent der Opfer waren weiblich.
Ein erschütterndes Ergebnis, sagte die Landesvorsitzende, Manuela Söller-Winkler, bei der Vorstellung des Berichts am Donnerstag in Kiel. Es seien die höchsten Zahlen der vergangenen fünf Jahre. Und dabei handele es sich nur um die Spitze des Eisbergs. Die Dunkelziffer liege deutlich höher, so Söller-Winkler. "Wir betreuen nur einen kleinen Anteil an Opfern von Kriminalität, denn viele finden den Weg gar nicht zu uns."
Was fest steht: Die Bilanz folgt damit einem Trend, der bereits in der polizeilichen Kriminalstatistik 2023 abzulesen war, die Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) im März vorstellte. Auch dort nahm die sogenannte Partnerschaftsgewalt - die zusammen mit der familiären Gewalt als häusliche Gewalt aufgeführt ist - im Vergleich zum Vorjahr um fast acht Prozent auf insgesamt 5.782 Opfer zu.
Forderung nach elektronischer Fußfessel
Unerträglich sei vor allem, dass die betroffenen Frauen häufig in berechtigter Angst vor einer weiteren Eskalation der Gewalt leben müssten, so Söller-Winkler. "Wir wollen vor allem Frauen besser schützen, die immer wieder denselben Tätern ausgesetzt sind", sagt sie.
Der Grund: Kontakt- und Annäherungsverbote würden nicht ausreichend überwacht - Täter missachteten sie häufig. Daher bestehe dringender Handlungsbedarf auf Landes- und Bundesebene, so die Landesvorsitzende. Konkret fordert der Weiße Ring die Einführung einer elektronischen Fußfessel.
Dabei tragen Täter und Opfer Geräte am Körper, die GPS-Daten versenden können. Nähert sich der Täter dem Opfer auf weniger als 500 Meter, bekommt die Polizei einen Alarm. Sie kann den Täter dann orten und Hilfe losschicken. Eine Idee, die in Spanien seit 2009 Praxis ist.
"Täter fernhalten, statt Frauen verstecken"
In Schleswig-Holstein stehe man der Idee zwar offen gegenüber, so Söller-Winkler. Wirklich etwas getan, habe sich bisher allerdings nicht. Ein Sprecher des schleswig-holsteinischen Innenministerium sagte auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein, dass aktuell die rechtlichen und technischen Voraussetzungen geprüft würden, um eine Fußfessel in Fällen von Stalking und Gewaltprävention einzusetzen.
Der Weiße Ring fordert Tempo: Schnellstmöglich sollten die landes- und bundesrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Denn aktuelle Schutzkonzepte seien darauf ausgerichtet, Opfer vor Tätern zu verstecken, so Söller-Winkler. "Diese Verkehrung der Verantwortlichkeit ist inakzeptabel. (...) Den regelmäßigen Worten der Betroffenheit müssen endlich taten folgen!“
Digitale Überwachung als Teil der Lösung
Ähnlich sieht es auch Katharina Wulf, Geschäftsführerin des Landesverbandes Frauenberatung Schleswig-Holstein. Es sei paradox, dass Frauen in ihrer Freiheit eingeschränkt würden, obwohl das eigentlich bei den Tätern - also den gewalttätigen Männern - der Fall sein müsste.
So komme es zum Beispiel oft vor, dass man Frauen zum Schutz in Frauenhäuser bringe. Die sind zum Teil fernab vom gewohnten Umfeld oder der eigenen Wohnung. "Das ist ein irrer Aufwand und zugleich unfair." Die digitale Überwachung könnte Wulf zufolge einen Teil der Lösung darstellen. "Wir fordern das nicht für alle Täter. Aber eben dort, wo ein hohes Risiko besteht."
Mehr Erfolge durch Zusammenarbeit
Wie groß ein solches Risiko ist, wird seit kurzer Zeit mithilfe des Hochrisikomangements bestimmt, das die Landesregierung zusammen mit dem Landesverband Frauenberatung Anfang des Jahres eingeführt hat. Kern dessen ist eine bessere Zusammenarbeit und ein besserer Austausch einzelner Stellen und Behörden wie Frauenberatungsstellen, Polizei, Justiz und Jugendämter.
Außerdem wird mithilfe eines Fragenkatalogs und Punktesystems die Gefahr eingestuft. Neben der Landesregierung war auch der Landesverband für Frauenberatung an der Entwicklung des Hochrisikomanagements beteiligt.
Zuspruch aus der Landespolitik
Zuspruch für die Forderung des Weißen Rings kommt auch vonseiten der Landespolitik. Catharina Nies (Grüne) sagte, es gebe in Schleswig-Holstein bereits eine Vorschrift zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung und "ich halte es für sehr konsequent und sinnvoll den Anwendungsbereich auf häusliche Gewalt und Stalking auszuweiten."
Handlungsbedarf sieht auch Bernd Buchholz (FDP). Er fordert, dass die Landesregierung auf einen Antrag seiner Partei mit der SPD reagiert und berichtet, wie sie seit 2018 Straftaten im Kontext von Partnerschaftsgewalt aufgearbeitet hat.
Auch die SPD-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag begrüßt die Vorschläge des Weißen Rings. Eine elektronische Fußfessel könne Opfer besser und konsequent schützen, sagten Sophia Schiebe und Marc Timmer (beide SPD). "Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Das ist unerträglich. Wir müssen handeln sagten", so Schiebe und Timmer weiter. Sie betonten, dass in Spanien bereits seit 2009 Todesfälle per Fußfessel vermieden werden.
24.400 Stunden Arbeit in 2023
Der Weiße Ring ist die größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität und finanziert seine Arbeit nach eigenen Angaben ausschließlich aus Spenden, Mitgliedsbeiträgen und finanziellen Zuwendungen. Rund 170 Mitarbeiter sind in Schleswig-Holstein tätig und haben laut Bericht im vergangenen Jahr rund 24.400 Stunden in die Arbeit der Hilfsorganisation investiert. Zusätzlich seien fast 275.000 Euro an finanziellen Hilfen ausgeschüttet worden.