SH im Dilemma: Biogasanlagen retten auf Kosten der Verbraucher?
Weil eine wichtige Förderung ausläuft, wird die Stromproduktion für viele Biogasanlagentreiber unrentabel. Ein Bundesgesetz bietet einen möglichen Ausweg - der für Gaskunden richtig teuer werden könnte.
Es war kein Idealismus, der Björn Bonnhoffs Familie vor 18 Jahren dazu veranlasst hat, eine Biogasanlage in Klein Offenseth-Sparrieshoop (Kreis Pinneberg) zu bauen. Ja, es sei eine nachhaltige Möglichkeit zur Stromproduktion, entscheidender sei aber gewesen: "Seinerzeit war es sehr interessant, das zu machen auf Grund der Vergütung." Das wird sich aber bald ändern. Nach 20 Jahren garantierter Förderung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) müsste Bonnhoff zum Jahr 2026 an den freien Strommarkt wechseln. "Wir wussten natürlich, dass die Förderung ausläuft. Aber einen so niedrigen Strompreis am freien Strommarkt hatten wir nicht erwartet."
Mit Förderung habe er gut 21 Cent pro Kilowattstunde verdient, rechnet er vor. Auf dem freien Strommarkt seien im Moment rund vier Cent weniger zu erzielen. Pro Jahr würde er so mehr als 100.000 Euro verlieren. Wegen der hohen laufenden Kosten werde Strom für ihn so zum Minusgeschäft. Dabei sei eigentlich jetzt der Moment gekommen, um endlich Geld zu verdienen. Nach eigenen Angaben hatte die Familie für den Bau der Anlage Schulden in Millionenhöhe aufgenommen, die jetzt abbezahlt seien.
Biomethan als Ausweg dank besserer Vergütung
Neben Björn Bonnhoff geht es noch mehreren hundert weiteren Biogasanlagenbetreibern in Schleswig-Holstein so. Die meisten Anlagen im Land sind zwischen 2004 und 2009 gebaut worden, auch deren Förderungen laufen bald aus. Beklagen will sich Björn Bonnhoff aber nicht: "Wir sind ja Unternehmer und wir unternehmen immer was Neues. Also müssen wir Alternativen suchen und Alternativen finden." Die in seinen Augen am besten geeignete Alternative: Statt Strom will er mit seiner Anlage in Zukunft Biomethan produzieren. Richtig aufbereitet kann das nämlich ins allgemeine Erdgasnetz eingespeist werden. Und die Vergütung für Biomethan ist laut Bonnhoff deutlich besser als die für Strom.
Außerdem gilt aktuell noch ein Bundesgesetz, das ihm viel Geld sparen kann: Die sogenannte Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV) schreibt Netzbetreibern nämlich vor, dass sie den Großteil der hohen Anschlusskosten für zum Beispiel die Gasleitungen hin zum Einspeisungspunkt übernehmen müssen - in der Regel 75 Prozent. Das soll die Produktion von Biomethan attraktiver machen. Björn Bonnhoff könnte damit rund vier Millionen Euro sparen, sagt er.
Gaspreise könnten massiv steigen
Von Seiten der Netzbetreiber gibt es laute Kritik an dieser Gesetzeslage. Denn nicht nur Björn Bonnhoff strebt einen Wechsel an und hat einen entsprechenden Antrag bereits bei SH Netz eingereicht. Laut einer Sprecherin sind die Wechselanfragen dort sprunghaft angestiegen. War es in den vergangenen Jahren meist eine Anfrage pro Jahr, waren es in den letzten anderthalb Jahren mehr als 50. Andreas Wulff vom Verband der Schleswig-Holsteinischen Energie- und Wasserwirtschaft (VSHEW) befürchtet: "Die Kosten, die auf die Netzbetreiber zukommen, sind sicher im dreistelligen Millionenbetrag, allein in Schleswig-Holstein. Und diese enormen Kosten werden auf die Verbraucher gewälzt."
Das geschieht in einer bundesweiten Umlage, weshalb die Auswirkungen bisher noch nicht so groß sind. Je mehr Biogasanlagenbetreiber in ganz Deutschland allerdings einen Wechsel zur Biomethanproduktion vollziehen, desto teurer wird es für die Gas-Endkunden, stellt SH Netz klar. "Da - auch aufgrund der politischen Rahmenbedingungen - die Anzahl der Erdgasnetzkunden in Zukunft deutlich abnehmen wird, werden sich die Kosten auf immer weniger Netzanschlusskunden verteilen."
Verbraucherzentrale: Gasheizungen nicht überstürzt abschaffen
Die Verbraucherzentrale rät Gaskunden dennoch davon ab, jetzt überstürzt die noch funktionstüchtige Gasheizung abzuschaffen. In Schleswig-Holstein seien im Bundesdurchschnitt die jüngsten Gasheizungen verbaut. "Und wie schnell es mit der preislichen Entwicklung vonstatten geht, ist ja leider auch unklar", so ein Sprecher. Er rät, "für sich eine finanzielle Obergrenze für die Gaspreise festzulegen, ab der ein Heizungstausch notwendig wird. Welche Maßnahmen bereits im Vorwege angegangen werden können, um darauf vorbereitet zu sein, kann eine Energieberatung der Verbraucherzentrale klären."
Biogasanlagen weiter für Stromproduktion gebraucht
Laut SH Netz gibt es noch ein weiteres Problem, das die Wechsel der Biogasanlagen von der Strom- zur Methanproduktion mit sich bringen. Denn Strom aus Biogasanlagen zählt in die sogenannte Grundlastsicherung: Eine gewisse Menge Strom muss in Deutschland jederzeit produzierbar sein, unabhängig von Wind oder Sonnenschein. Fehlen Biogasanlagen in Zukunft als "Grundlasterzeuger im Stromnetz, müssen sie aufwendig ersetzt werden." Auch das würde viel Geld kosten.
Der Landesverband für Erneuerbare Energien (LEE) plädiert deshalb dafür, dass die Biogasanlagen weiter Strom produzieren sollen - allerdings als hochflexible Anlagen. "Aktuell produzieren die meisten dieser Anlagen noch durchgehend Strom. Auch wenn die Sonne scheint und Wind weht. Dann werden häufig erneuerbare Energieanlagen abgeriegelt, was wirtschaftlich totaler Quatsch ist", kritisiert Referent Felix Papenfuß vom LEE. Eine hochflexible Anlage hingegen könne das Gas zwischenspeichern und in den Momenten in Strom umwandeln, in denen er gebraucht wird.
Land will Förderung für hochflexible Biogasanlagen
Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) unterstützt diesen Ansatz und fordert vom Bund mehr Unterstützung. Schon jetzt gibt es eine sogenannte Flexprämie. Die sei aber nicht ausreichend. Einen entsprechenden Antrag hat das Land gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommern bereits im Bundesrat eingebracht. Der Antrag wurde Ende April angenommen. Jetzt liegt der Ball bei der Bundesregierung, die mit einer sogenannten Gegenäußerung reagieren wird. Eine Deadline gibt es dafür aber laut Ministerium nicht.
Neues Gesetz ab 2026
So verworren die Lage auch jetzt schon ist - die kommenden Monate bringen für Verbraucherschützer, Netzbetreiber und auch Biogasanlagenbetreiber wie Björn Bonnhoff weitere, neue Herausforderungen mit sich. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Gasnetzzugangsverordnung die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur einschränkt. Das Gesetz tritt deshalb Ende 2025 außer Kraft und die Bundesnetzagentur verhandelt gerade über neue Regeln. Entschieden ist noch nichts, auf NDR-Anfrage heißt es aber: "Die Regelungen zur Privilegierung des Netzanschlusses von Biogasanlagen, […] wonach der Netzbetreiber u.a. einen Großteil der Anschlusskosten zu tragen hat, sind nicht Gegenstand der eingeleiteten Festlegungen."
Kurzfristig könne das einen weiteren Gaspreisanstieg womöglich abfedern, mutmaßt Felix Papenfuß vom LEE. Auf lange Sicht und im Zuge der anvisierten Dekarbonisierung Deutschlands sei eine Priorisierung von Biomethan aber dennoch unumgänglich.
Für Biogasanlagenbetreiber Björn Bonnhoff aus Klein Offenseth-Sparrieshoop bedeutet die unsichere zukünftige Gesetzeslage vor allem: Hoffen, dass sein Antrag auf Biomethanproduktion noch vor Ende der aktuellen Regeln bewilligt wird.