Pilotprojekt: VR-Brillen für Verkehrssicherheit an Schulen
Verkehrsregeln lernen Kinder meist schon in der Grundschule. Eine Virtual-Reality-Brille soll ältere Schüler mögliche Unfallsituationen ganz praktisch erleben lassen - sogar aus Sicht der Fahrer. Ein Beispiel aus Itzehoe.
Kürzlich an der Auguste Viktoria Schule, einem Gymnasium in Itzehoe (Kreis Steinburg): Es sieht nach ganz normalem Unterricht aus. Doch in einem der Klassenräume der Sechstklässler liegen zwei Virtual-Reality-Brillen auf dem Lehrerpult und zwei Expertinnen des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme aus Dresden stehen vorne. Die beiden Frauen möchten mit Hilfe der speziellen Brillen die Elf- bis Zwölfjährigen auf Gefahren im Straßenverkehr auf ihrem täglichen Schulweg aufmerksam machen.
Verkehrsregeln allein reichen oft nicht
Die Verkehrsregeln kennen die Schülerinnen und Schüler zwar bereits aus der Grundschule. In den meisten Fällen kommt ein Verkehrspolizist in den Unterricht und erklärt frontal die Verkehrsregeln. Anschließend fahren die Kinder noch einen Parcours mit dem Rad und das war's. Aber die für Verkehrserziehung beauftragte Lehrerin Katja Sörensen sagt: "Trotzdem kommen die Schüler hier an und wir merken: Die sind sehr unbedarft. Also gerade hier vor der Schule sind gefährliche Punkte, wo immer Situationen sind, wo es ganz knapp wird."
Fußgänger und Radfahrer meistens nicht Unfallverursacher
Die Verkehrsexpertinnen des Fraunhofer-Instituts haben im Auftrag der Schule die Unfall-Hotspots rund um das Itzehoer Gymnasium analysiert und den Schülerinnen und Schülern auf einer Karte die tatsächlichen Unfallhergänge eingezeichnet. Auch in Itzehoe bestätigten sich die auf ganz Deutschland bezogenen Unfall-Statistiken, erklärt Nora Strauzenberg vom Fraunhofer Institut: "Über 60 Prozent der Unfälle von Fahrradfahrern und Fußgängern werden vom motorisierten Verkehr verursacht."
Ihr neuer Ansatz ist es, den Schülerinnen und Schülern genau das möglichst erlebbar zu vermitteln. Die Kinder sollen lernen, dass, wenn sie sich selbst immer richtig im Straßenverkehr verhalten, sie noch lange nicht vor Unfällen geschützt sind. Das ist für sie laut Fraunhofer-Institut aber nur schwer zu begreifen, da sie noch nie hinter dem Lenkrad im Auto oder auch Lkw gesessen haben.
Millionen von Unfalldaten als Basis der 3D-Animationen
Dieses Erlebnis machen Virtual-Reality-Brillen möglich. Die Schülerinnen und Schüler können mit ihnen Unfallhergänge aus verschiedenen Perspektiven in 3D erleben. Fachleute des Instituts haben dafür 4,5 Millionen Unfalldaten der Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Hessen, Sachsen-Anhalt, Bremen und Hamburg ausgewertet und daraus typische Unfallszenarien für Fußgänger und Radfahrer animiert nachgestellt.
In den 3D-Videos nehmen die Kinder die Positionen des Lkw-, Auto- und Radfahrers bis zum Unfall ein. "Ich habe zum Beispiel einen Lkw-Fahrer gespielt. Und ich habe das Kind, was hinter mir gelaufen ist, in meinem toten Winkel gar nicht gesehen und habe es überfahren", sagt die 11-jährige Helene, nachdem sie die Simulationen durch die VR-Brille gesehen hat. Ihre Klassenkameradin Catharina ergänzt: "Ich habe daraus gelernt, dass ich mehr aufpassen muss, weil ich mich auf andere im Straßenverkehr nicht verlassen kann."
Nora Strauzenberg und ihre Kollegin lassen die Schülerinnen und Schüler außerdem ihren Schulweg auf der Karte mit den Unfall-Hotspots einzeichnen. Ein paar der Kinder sind überrascht, dass auf ihrer täglichen Strecke gleich fünf oder noch mehr gefährliche Stellen liegen.
Methode in Sachsen schon sehr bekannt
Die Expertinnen haben nach eigenen Angaben in Sachsen bereits ungefähr 100 Schulen besucht. Dabei ist statt der VR-Brille allerdings ein Tablet zum Einsatz gekommen. Die Schülerinnen und Schüler konnten dann auch die verschiedenen Perspektiven auswählen und so lernen, dass Lkw und Autofahrer oft ein eingeschränktes Sichtfeld haben. Die Virtual-Reality-Brillen sind seit diesem Jahr im Einsatz und werden an Aktionstagen wie an der Auguste Viktoria Schule in Itzehoe genutzt.
Innovative Unfallprävention bald Routine an Schulen?
Für die Zukunft sagt die Projektleiterin aus Dresden: "Unser Ziel ist es, diese innovative, begeisternde Unfallprävention zur Routine an Schulen werden zu lassen." Anne Christiansen, eine der Lehrerinnen in Itzehoe, kann sich eine langfristige Zusammenarbeit mit Nora Strauzenberg gut vorstellen: "Das ist unser Ansatz eben auch: diese Verkehrserziehung aus dem Theoretischen in eine wirkliche, körperliche Erfahrungssituation zu holen."
Die Schulung in Itzehoe hat der Förderverein der Schule bezahlt. Wer für die Unfallprävention in Zukunft zahlen könnte, ist noch unklar.