Laub und Algen liegen am Strand © NDR Foto: Corinna Schaak aus Altenkirchen

Forschung in Lübeck zum Alleskönner Alge

Stand: 30.09.2020 23:11 Uhr

Algen können Plastik ersetzen, Energie liefern und als Medizin dienen - und sie gelten als echtes Superfood. Das Fraunhofer Institut in Lübeck forscht zum Thema Algen in der Ernährung.

von Astrid Wulf

Viele verbinden Algen erst einmal mit stinkenden Haufen am Ostsee- oder Nordseestrand. Im Sushi sind sie bekannt - die Meerespflanze kann aber weit mehr, als nur Reisröllchen zu ummanteln. An den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten forscht unter anderem die Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik (EMB) in Lübeck. Aber was kann die Alge noch, außer von uns gegessen zu werden? Die NDR Info Perspektiven sind der Sache auf den Grund gegangen.

Algen als Plastik und in der Medizin

Algen am Strand © NDR Foto: Elke Wiehle aus Delmenhorst
Strandspinat nennen die Rügener diese Algen, die dort am Strand zu finden sind.

Algen wachsen massenhaft im Meer und sind ein Rohstoff, den die Forschung nach und nach für sich entdeckt - zum Beispiel, um Kraftstoff zu gewinnen. Forscher in München haben es schon geschafft, ein Auto und sogar ein Flugzeug mit Algenkraftstoff zu betreiben. Aus Algen kann auch ein Plastik-Ersatz für nachhaltige To-Go-Verpackungen produziert werden. Auch im Hinblick auf die Medizin haben Algen nützliche Eigenschaften: Substanzen in der Braunalge wirken gegen Hautkrebszellen. Auch antivirale Wirkungen, wie gegen das Schweinegrippevirus, werden ihnen zugeschrieben. Ein österreichisches Unternehmen erforscht aktuell, inwiefern die Meerespflanzen auch gegen das Coronavirus helfen können. In Kiel läuft ein Projekt rund um die Wirkung von Algen im Kampf gegen Alzheimer.

Bier aus Algen konnte sich nicht durchsetzen

Auch in Alltagsartikeln sind Algen zu finden: In Gesichtscremes spenden sie Feuchtigkeit und wirken reinigend. Es gibt Kleidung, in denen Algenfasern eingearbeitet sind - laut Hersteller besonders gut für Menschen mit Neurodermitis. Und auch wenn eine Mikroalgenlimonade vom Markt verschwunden ist und das in Lübeck erfundene Algen-Bier nicht so gut ankommt wie erhofft: Im Lebensmittelbereich gibt es nach wie vor viele Einsatzmöglichkeiten - und daran forscht unter anderem der Ableger des Fraunhofer Instituts in Lübeck.

Algen sind besonders ressourcenschonend

Chips aus Algen. © NDR Foto: Astrid Wulf
Chips aus Algen erfreuen sich jetzt schon großer Beliebtheit.

Die Forscher dort haben vor Kurzem einen Algen-Workshop gegeben - unter anderem für Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Lebensmittelindustrie. Das Ziel: Aufzeigen, was mit essbaren Algen alles möglich ist. Entgegen der gängigen Meinung sind einige Algenarten essbar - viele von ihnen werden vor allem in der asiatischen Küche eingesetzt: Wakame-Salat, die Nori-Alge im Sushi, in der Suppe oder getrocknet als Algen-Chips. Elke Böhme von der Fraunhofer-Einrichtung für Marine Biotechnologie und Zelltechnik in Lübeck arbeitet daran, die großblättrigen Makroalgen als Superfood auch hier beliebter zu machen: "Die Alge ist attraktiv, weil sie erstmal nicht auf dem Land wächst. Sie braucht keinen Dünger und sie braucht kein frisches Wasser. Sie wächst auf einem Areal, das wir sonst noch nicht so nutzen. Sie zieht sogar die interessanten Nährstoffe aus dem Meer: Ballaststoffe, Proteine, Mineralstoffe, und wahrscheinlich viele Substanzen, die wir noch gar nicht erforscht haben."

Nachhaltige Nahrungsquelle

Eis aus Algen. © NDR Foto: Astrid Wulf
Eis aus Algen klingt erstmal gewöhnungsbedürftig - Sorten mit Spirulina gibt es bereits im Handel.

Auch Vitamin B12 steckt in der Alge, das sonst eher in tierischen Produkten zu finden ist, außerdem Omega-3-Fettsäuren - wenn auch nicht ganz so viel wie in Fisch. Beim Workshop probiert sich Rebekka Rösner, Produktentwicklerin bei Kühne, durch Algenpesto, Chips, Müsliriegel mit Algen und auch getrocknete Algen pur: "Ich habe noch nicht alles probiert. Manches ist dezent salzig, eine Sorte hat sehr so geschmeckt, wie es am Meer riecht - naja. Jetzt bin ich noch gespannt auf die anderen Sorten." Bis die Gurkengläser mit Wakame-Algen in den Supermarktregalen stehen, kann es noch dauern - Rebekka Rösner findet die Alge allerdings grundsätzlich sehr spannend: "Weil sie nochmal eine neue Nahrungsquelle ist, weil sie nachhaltiger ist, und weil sie das Potential bietet, was Neues, Innovatives zu machen."

Algen geben veganen Produkten Geschmack

Pia von Haxthausen, Innovationsleiterin in einem Unternehmen für Lebensmittelzusatzstoffe, könnte sich Algen auch als Zutat in vegetarischen und veganen Produkten vorstellen. Denn ausgerechnet die Meerespflanze kann den herzhaft-fleischigen Umami-Geschmack liefern. "Die Kombination mit dem Geschmack finde ich herausragend. Gerade die Alge bringt so einen Speckgeschmack mit, wenn man sie röstet. Das ist besonders interessant für die Produkte, die wir vegetarisch oder vegan herstellen, die aber noch einen Fleischgeschmack haben sollen. Denn dieses Umami fehlt diesen vegetarischen Produkten oft."

Gut für die Lebensmittelampel

Spaghetti aus Algen © NDR Foto: Astrid Wulf
Spaghetti aus Algen haben hier kurzerhand den Titel Alghetti bekommen.

Mit ihren Nährstoffen können Algen auf unterschiedliche Art dazu beitragen, zum Beispiel Fertiggerichte oder Snacks gesünder zu machen. Gerade mit Blick auf den Nutriscore, der freiwilligen Lebensmittelampel, ist das besonders spannend für die Hersteller. Aufgedruckt auf der Verpackung lässt sich mit der Ampel ablesen, wie gesund das Produkt ist. Die ballaststoffreichen Algen auf dem Belag der Fertigpizza könnten zum Beispiel diesen Wert verbessern. Entzieht man wiederum einem Fertig-Schokopudding Zucker und Fett, können Zusatzstoffe aus Algen ersatzweise für die cremige Konsistenz sorgen. Auch in glutenfreien Lebensmitteln ist die Alge eine nützliche Zutat - das häufig eher bröselige Gebäck wird so fluffiger und bissfest.  

Schub für pflanzliche Ernährung

Pesto und Brotaufstrich aus Algen. © NDR Foto: Astrid Wulf
Als besonders vielversprechend für die Branche gelten auch Pesto und Brotaufstrich aus Algen.

Für Elke Böhme von der Fraunhofer EMB in Lübeck ist klar: Die Alge wird wohl kaum in absehbarer Zeit die wachsende Weltbevölkerung ernähren. Aber als Beilage oder mit ihren Inhaltsstoffen hat die Alge zumindest das Potential, unseren Speiseplan zu bereichern. "Sie wird nicht die neue Kartoffel oder der neue Reis, aber sie kann bis zu einem gewissen Maße dazu beitragen, dass wir uns gesünder ernähren, nicht nur einfach Kohlenhydrate und Proteine zu uns nehmen." Und wenn Algen dabei helfen, dass sich mehr Menschen pflanzlich ernähren, weil es ihnen schmeckt, leistet das auch einen großen Beitrag im Sinne der Nachhaltigkeit.

Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Perspektiven - auf der Suche nach Lösungen | 01.10.2020 | 07:40 Uhr

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