Wenn das Wasser kommt: Wie sich Menschen an der Stör vor Hochwasser schützen
Jahrhunderthochwasser oder Jahrhundert der Hochwasser? Die Hochwasser im Süden Deutschlands haben gezeigt, dass nicht nur an den Küsten, sondern auch im Binnenland immer wieder Flüsse ihre zerstörerische Kraft entfalten. Bei uns im Land sind Gemeinden wie Kellinghusen immer wieder betroffen. Die Stör fließt von Neumünster über Kellinghusen in die Elbe und entlang des Flusses verlangt der Klimawandel neue, zukunftsfähige Konzepte.
Der Garten von Gabriele und Werner Wölk grenzt direkt an die Stör. Ein Idyll im Ortskern von Kellinghusen (Kreis Steinburg), doch bereits beim Kauf des Hauses 1990 wurde das Ehepaar gewarnt, dass es hier zu Überschwemmungen kommen kann. Als kurz danach das erste Mal der Garten unter Wasser stand, dachte Gabriele Wölk daran, gleich wieder wegzuziehen. Doch das Paar blieb und hat sich auf die immer wiederkehrenden Hochwasserereignisse eingestellt. So ist zum Beispiel der Gartenteich eingezäunt, damit die Fische nicht wegschwimmen, wenn aus dem Garten eine große Wasserfläche wird.
Absenkung der Grundstücke soll Rückhalteflächen vergrößern
Um einen Beitrag zum Hochwasserschutz zu leisten, habe sich das Ehepaar Wölk bereit erklärt, einen Teil ihres Gartens abzusenken. So könne die Fläche bei Überflutungen mehr Wasser aufnehmen. Voraussetzung sei aber, so Werner Wölk, dass sich auch die anderen Anrainer, auch auf der gegenüberliegenden Seite, beteiligen. Sonst seien die Wölks vom Hochwasser überproportional betroffen.
Umsetzung von Schutzmaßnahmen verzögert sich
Seit Jahrzehnten wird in Kellinghusen überlegt, wie öffentliche Infrastruktur und Privatgrundstücke besser geschützt werden können. Die Ratsversammlung der Kleinstadt hat einen eigenen Ausschuss für Hochwasser- und Umweltschutz gebildet, der an einem Hochwasserschutzkonzept arbeitet. Der Hamburger Ingenieur Thorsten Evertz ist Projektmanager in Kellinghusen und schlägt eine Kombination aus technischen Maßnahmen innerorts und das Schaffen von Überflutungsflächen außerhalb der Stadt vor. Die Umsetzung eines so umfassenden Plans wird durch die unterschiedlichen Interessen der Betroffenen erschwert. Alle Haus- und Grundstückseigentümer müssen dem Vorhaben zustimmen, damit es realisiert werden kann. Weil diese Einigkeit in Kellinghusen bislang nicht vorhanden ist, lässt die Realisierung auf sich warten.
Hochwasserschutzmauer durch die Gärten angedacht
Eine Idee, um die Grundstücke zu schützen, die direkt an die Stör grenzen, ist eine 1,00-1,30m hohe Mauer, die parallel zum Fluss durch die Gärten der Anwohner verläuft. Oliver Zantow ist Grünen-Politiker, Vorsitzender des Hochwasser-Ausschusses und wohnt selbst in der besonders betroffenen Birkenallee. Er würde sich über die Schutzmauer freuen, obwohl sie seinen Garten durchtrennen würde. Weil die Mauer Teil des gesamten Hochwasserschutzkonzepts ist, würden auf ihn und seine Nachbarn keine Kosten zukommen. Und das Gartenstück jenseits der Mauer könne er weiterhin nutzen. Nun gehe es darum, alle anderen Nachbarn von dieser Maßnahme zu überzeugen. Denn nur eine durchgehende Schutzmauer habe den gewünschten Effekt.
Binnenhochwasser im Norden treten nicht so zerstörerisch auf wie im Süden
Trotz der immer häufiger auftretenden Starkregen sind Anwohner und Experten in Schleswig-Holstein sicher, dass die Auswirkungen von Hochwasser nicht so gravierend werden wie in Süddeutschland. Reißende Ströme und schnell steigende Pegel wie zuletzt in Bayern und Baden-Württemberg sind in Schleswig-Holstein nicht zu erwarten, sagt Johannes Oelerich. Er ist Abteilungsleiter für Wasserwirtschaft, Boden- und Küstenschutz im schleswig-holsteinischen Umweltministerium. Weil die Höhenunterschiede deutlich geringer sind als in Süddeutschland, könnten die Pegelstände der Flüsse nicht binnen kurzer Zeit stark ansteigen. "Es braucht ein Gefälle, damit Wasser Fahrt aufnimmt und dann zerstörerische Kraft entfaltet. Das haben wir in weiten Teilen in Schleswig-Holstein nicht", so Oelerich.
Arpsdorf: Renaturierung mit positiven Effekten für Ökosystem und Senkung des Hochwasserrisikos
Nicht nur im Bereich Kellinghusen tritt die Stör regelmäßig über die Ufer. Die 300-Einwohner-Gemeinde Arpsdorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) liegt rund 15 Kilometer flussaufwärts. Auch hier kommt es gerade nach Starkregen zu Überschwemmungen, doch die Arpsdorferinnen und Arpsdorfer machen sich keine großen Sorgen um ihre Häuser. Zum einen, weil die Bebauung erst mehrere hundert Meter vom Fluss entfernt beginnt, zum anderen, weil durch eine aufwändige Renaturierungsmaßnahme große Überflutungsflächen geschaffen wurden. Der Fluss ist an mehreren Stellen verschwenkt und damit um 550 Meter verlängert worden. Diese Maßnahme wirke sich auch positiv auf die Hochwasserlage in Kellinghusen aus, so Johannes Oelerich. Deswegen seien weitere Renaturierungen im Oberlauf der Stör mit Hinblick auf den Hochwasserschutz sinnvoll.
Nach Begradigung wurde ursprünglicher Flusslauf wiederhergestellt
Mit der Verlängerung des Flusslaufs wurde die Begradigung der Stör, die nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte, rückgängig gemacht. Damals seien mehr Flächen für die Landwirtschaft gebraucht worden, erklärt Hans-Heinrich Gloy, Vorsteher des Bearbeitungsgebietsverbands Oberlauf Stör. In den Jahren 2020/21 wurde die Renaturierungsmaßnahme umgesetzt. Die Kosten von knapp einer Million Euro wurden größtenteils aus EU-Mitteln gedeckt. Die weitgehende Wiederherstellung des ursprünglichen Störverlaufs habe zu einer Verringerung der Fließgeschwindigkeit und einer Erholung des Ökosystems geführt. So hätten sich in Ufernähe inzwischen unter anderem Erlen und Birken angesiedelt.
Weitere Renaturierung auch bei Kellinghusen in Planung
Auch nördlich von Kellinghusen sollte die Stör durch Verschwenkungen renaturiert werden. Durch Klagen gegen diese Maßnahme ist bisher aber nichts passiert. Eine Prognose, wie lange es dauert, bis die Renaturierung und die technischen Maßnahmen umgesetzt werden, wagt Bürgermeister Axel Pietsch nicht. Gabriele und Werner Wölk gehen davon aus, dass sie die Bauarbeiten nicht mehr erleben werden.