Landtag zu Klimaaktivisten: Ja zum Protest, nein zu Straftaten
Während vor dem Landtag in Kiel eine Handvoll Klimaaktivisten in der Kälte steht, wird die Debatte im Plenarsaal mitunter hitzig. Ein Reibungspunkt ist die Frage, ob radikale Klimaaktivisten Extremisten sind oder nicht.
"Wir demonstrieren gegen die Kriminalisierung von Klimaprotesten", sagt Ben Hansen von der Turboklimakampfgruppe. Er und drei weitere Demonstranten wollen vor dem schleswig-holsteinischen Landtag ihren Unmut darüber zeigen, dass Klebeaktionen und Sitzblockaden als Terrorismus bezeichnet würden. "Weil Leute sich auf die Straße setzen und die Regierung auffordern, sich an ihre eigenen Gesetze zu halten", so Hansen. Weil mit einer großen Demonstration - und nicht nur mit vier Leuten - gerechnet wurde, bewacht die Polizei das Landtagsgebäude.
Klimaschutz reicht nicht - das sind sich alle einig
So weit, Klimaproteste als Terrorismus zu bezeichnen, geht drinnen im Plenarsaal keiner der Abgeordneten. Aber von Extremismus ist die Rede - ein Streitpunkt in der Debatte, die auf Antrag der FDP-Fraktion stattfindet. In diesem Antrag - der später abgelehnt wird - bekennt sich die FDP zunächst zu einem effektiven Klimaschutz und stellt fest, "dass die bisherigen Bemühungen nicht ausreichen und weiter Handlungsbedarf besteht." Ein Punkt, den an diesem Freitag Vertretende aller Fraktionen mindestens einmal laut aussprechen. Darin besteht Einigkeit.
Anders sieht es mit dem Satz "Extremismus fängt da an, wo Aktivisten bewusst Gesetze brechen" aus: Fraktionsvorsitzender Christopher Vogt erklärt dazu, dass die größte Gefahr für die Demokratie zwar von Rechtsaußen ausgehe, "was aber nicht heißt, dass man andere und eben auch neue Formen des Extremismus nicht ernst nehmen müsste." Es habe nichts mit Protest zu tun, wenn Kunstwerke beschädigt, Parteizentralen attackiert, Gebäude besetzt oder Bürgerinnen und Bürger auf dem Weg zur Arbeit oder im Alltag belästigt, genötigt und gefährdet würden. "Mit ihren unsinnigen und strafbaren Aktionen erweist die sogenannte Letzte Generation dem Klimaschutz einen Bärendienst", so Vogt.
Harms: Von Terrorismus oder Extremismus weit entfernt
Dem widersprechen die Grünen vehement: Wie die FDP darauf komme, junge Menschen in die Ecke mit Extremisten zu stellen, die von der Regierung verlangen, ihre Politik zu ändern, fragt der Grünen-Abgeordnete Jan Kürschner. Und der Grünen-Fraktionsvorsitzende Lasse Petersdotter erklärt zu dem Punkt: "Extremismus ist eine Haltung, die beispielsweise den Staat, die Gesellschaft und die freiheitliche Grundordnung in Frage stellt." Die Aktivisten täten das genaue Gegenteil: "Sie fordern die Politik zum Handeln auf." Das Blockieren einer Straße sei kein Extremismus. Dafür zitiert Petersdotter auch den Verfassungsschutzpräsidenten Thomas Haldenwang mit den Worten: "Das Begehen von Straftaten macht diese Gruppierung nicht extremistisch." Dem schließt sich auch der SSW-Abgeordnete Lars Harms an: Von Terrorismus oder Extremismus sei man hier weit entfernt.
Alles Straftaten? Eine Streitfrage
Um die Frage zu klären, ob es sich beispielsweise bei den Aktionen der Letzten Generation grundsätzlich um Straftaten handelt, muss man die Landtagsdebatte für einen Moment verlassen. Denn über diese Frage tobt unter Strafrechtlern momentan ein Streit. "Beim Hausfriedensbruch, dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung wird nicht viel diskutiert", sagt Michael Gubitz, Strafrechtsanwalt aus Kiel. "Fernziele mögen noch so ehrbar sein, werden hier nach der herrschenden Meinung nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt."
Straßenblockaden führten zu Strafverfahren wegen des Verdachts auf Nötigung - und da werde es kompliziert, so Gubitz: "Die Tat ist nämlich nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als "verwerflich" anzusehen ist", so Gubitz. Ob Mittel und Zweck im Verhältnis stünden und auch, ob die Tat als "verwerflich" eingeschätzt werde, könne man natürlich unterschiedlich auslegen.
Jakob Beyer, einer der Sprecher der Letzten Generation, legt dies so aus: "Ich glaube, auf unsere Aktionen trifft diese Verwerflichkeit einfach nicht zu, weil wir uns für alle Menschen einsetzen - auch für die Menschen, die dort in dem Moment in einem Stau stehen." Die Letzte Generation wolle erreichen, dass das Leben aller Menschen der jetzigen und der zukünftigen Generationen geschützt werde.
Jeder Fall ist ein Einzelfall
Strafrechtler Gubitz verweist an dieser Stelle auch auf das Grundgesetz: "In den Schutzbereich des Artikel acht GG fallen auch Straßenblockaden und ähnliche Aktionen. Deshalb kann die Behinderung von Autofahrern Grundrechtsausübung und damit gerechtfertigt sein." Und auch der Zusammenhang zwischen Blockaden und Versammlungsgrund könne eine Rolle spielen: beispielsweise eine Verkehrsblockade zum Erreichen einer Verkehrswende.
Wie sehr es auf den Einzelfall ankomme, könne man auch am Beispiel durch eine Flensburger Richterin im Verfahren gegen einen Baumbesetzer sehen, so Gubitz. Die Richterin sah zwar den Tatbestand des Hausfriedensbruchs als erfüllt an, es habe jedoch an der Rechtswidrigkeit gefehlt. Sie sah das Vorliegen eines rechtfertigenden Notstandes als gegeben an.
Der rechtfertigende Notstand ist auch ein Argument, das die Letzte Generation heranzieht, erklärt Jabob Beyer: "Der besagt, dass hier jeder Deutsche das Recht auf Widerstand hat, wenn die öffentliche Ordnung nicht gesichert wird. Und das ist hier der Fall. Unsere Demokratie, der Rechtsstaat, ist gefährdet, wenn die Klimakatastrophe erst mal so richtig Fahrt aufnimmt und das wollen wir vermeiden."
Keine guten und schlechten Straftaten
Ein Argument, das Christopher Vogt in der Parlamentsdebatte nicht gelten lassen will: "Diese Aktionen haben mit zivilem Ungehorsam nichts zu tun. Ich finde es auch wirklich problematisch, das sich immer wieder auf das Widerstandsrecht aus dem Grundgesetz berufen wird." Das sei um eine sehr ernste Situation entstanden, nach dem Zweiten Weltkrieg: "Wenn eine Regierung die Demokratie und Rechtsstaat abschaffen will, dann haben die Bürger das Recht zum Widerstand. Das hier gleichzusetzen mit der Situation und dem Thema Klimaschutz finde ich hochproblematisch."
Kai Dolgner von der SPD ist der Meinung, dass bei der Ausübung des Grundrechts Versammlungsfreiheit Störungen hingenommen werden müssten. Doch: "Die Ausübung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit ermöglicht auch das Grundgesetz nicht grenzenlos." In Schleswig-Holstein werde der notwendige Ausgleich zwischen Versammlungsfreiheit und dem Eingriff in die Grundrechte Dritter durch das Versammlungsgesetz geregelt. "Diese Regeln gelten für alle, egal wie gesellschaftlich wichtig ihr Anliegen ist." Die absolute Grenze werde aber durch das Strafrecht bestimmt.
Das Strafrecht als Grenze für Protest - darauf können sich alle Fraktionen einigen. "Es gibt keine guten und keine schlechten Straftaten", sagt Tim Brockmann, Abgeordneter der CDU - und bekommt dafür viel Applaus. "Klimaschutz ist wichtig, aber er rechtfertigt keine Straftaten." Brockmann wundere sich, wer da demonstriert: "Da haben Menschen aus Angst vor dem Klimawandel ihre Lehre oder ihr Studium abgebrochen, um sich auf der Straße festzukleben. Was ist denn das für eine Motivation?" Ob man Angst nicht lieber als Antrieb für etwas Besseres nutzen sollte, fragt Brockmann weiter, zum Beispiel um Lösungen zu finden - oder beim Austausch eines Heizungskessels zu helfen.
"Wir tun das aus Verzweiflung"
Kurz vor Ende der Debatte verweist Thomas Losse-Müller darauf, dass die Stärkung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung beim Klimawandel nicht die einzige Aufgabe des Parlaments sei: "Wir sind gesetzlich dazu verpflichtet, dieses Land Schleswig-Holstein, die Bundesrepublik Deutschland, klimaneutral zu machen. "Das wird die größte Herausforderung und Veränderung in Wirtschaft, Gesellschaft, Mobilität und Art und Weise, wie wir uns organisieren, die wir in den letzten Generationen erlebt haben."
Laut der Letzten Generation selbst soll es darum gehen: Die Regierung dazu bringen, sich an die Gesetze zum Klimaschutz zu halten - und Maßnahmen zu ergreifen, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. "Wir übertreten dabei Gesetze, das ist uns bewusst, dazu stehen wir auch mit Namen und Gesicht", sagt Jakob Beyer. "Wir tun das aus einer Verzweiflung, weil der normale Protest der vergangenen Jahre eben nichts gebracht hat." Der Protest sei nur notwendig aufgrund des Nichthandelns der Regierung.