Bundeswehr hat ein Problem: Reservisten sind nicht aufzufinden
Ohne Reservisten ist Deutschland laut Experten fast wehrlos. Doch nach dem Auflösen der Kreiswehrersatzämter gibt es keine Behörde mehr, die die Adressen der inaktiven Soldaten hat. Ein Problem: der Datenschutz.
Nach dem Abitur 1988 ging Marc Lemmermann zur Bundeswehr und blieb dort bis zum Jahr 2000. Auch wenn er danach in zivilen Berufen gearbeitet hat: Soldat ist er bis heute geblieben - als Reservist. Und davon bräuchte es nach seiner Ansicht deutlich mehr als aktuell. Doch die Bundeswehr könne viele inaktive Soldaten nicht einberufen, weil sie von ihnen keine aktuellen Adressen hat. Lemmermann ist der Vorsitzende der Landesgruppe Schleswig-Holstein im Reservistenverband der Bundeswehr. Sollte der Krisen- oder gar Kriegsfall eintreten, werden die Reservisten aktiviert.
Bundeswehr hat keinen Kontakt zu inaktiven Soldaten
Nach dem Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 wurden auch die Kreiswehrersatzämter aufgelöst. Sie waren bis dahin dafür zuständig, die Adressen der Reservisten zu erfassen und aktuell zu halten. Diese Datenbank existiert nun nicht mehr. Wegen strenger Datenschutzbestimmungen ist es der Bundeswehr nicht möglich, die aktuellen Adressen bei den Einwohnermeldeämtern abzufragen, bestätigt Frank Martin, Sprecher des Bundeswehr-Landeskommandos Schleswig-Holstein.

Für Marc Lemmermann eine absurde Situation: "Auch bei uns im Reservistenverband ist es so: Wir haben gut 115.000 Mitglieder, davon 3.800 in Schleswig-Holstein. Wenn die Bundeswehr irgendetwas möchte, müssen wir als Reservistenverband die Mitglieder anschreiben. Wir können unsere Daten und Adressen nicht der Bundeswehr zur Verfügung stellen." Immerhin: Der Bundestag bemühe sich gerade, diese Regeln zu ändern.
Keine Wehrfähigkeit ohne Reservisten
Lemmermann rechnet vor, dass für eine funktionierende Armee pro aktivem Soldat zwei Reservisten benötigt werden. Diese sollen nicht nur als Ersatz für ausfallende Kräfte dienen, sondern sich im Wesentlichen um den Nachschub für die kämpfenden Truppen sowie um den Schutz der kritischen Infrastruktur kümmern.

Der Kieler Politikwissenschaftler Joachim Krause hält die Bundeswehr in ihrem jetzigen Zustand für nicht verteidigungsfähig. Er sagt: "Die Bundeswehr kann bestenfalls zwei bis drei Wochen durchhalten und dann sind die Munitionsvorräte aus und es gibt keine Reservisten, die dann ausgefallene Truppen ersetzen können. Das ist leider die Wahrheit und deswegen muss da nachgeholt werden. Das sind all die Dinge, die in den letzten 25, 30 Jahren versäumt worden sind."
Schleswig-Holstein will Zugang erleichtern
Marc Lemmermann schätzt, dass bundesweit noch etwa 800.000 ehemalige Soldaten potenziell einsetzbar sind. Doch diese Zahl wird jedes Jahr geringer, weil die früheren Wehrpflichtigen zu alt werden. Das Höchstalter für die Einberufung liegt bei 65 Jahren. Die Bundeswehr wirbt deshalb um Freiwillige, die sich als Reservisten zur Verfügung stellen. Lemmermann beklagt, dass viele Arbeitgeber ihren Beschäftigten dabei wenig entgegenkommen und sie für Ausbildungen und Übungen nicht immer freistellen.
Schleswig-Holsteins Arbeitsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) will durchsetzen, dass Reservisten künftig bis zu fünf Arbeitstage im Jahr für die Bundeswehr freigestellt werden können - auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers. Die Zeit für die Übungen würde dann wie Bildungsurlaub behandelt.
Verstärkung der Bundeswehr braucht Zeit
Experten sind sich darin einig, dass die personelle Verstärkung der Bundeswehr ein langfristiges Vorhaben ist. Selbst wenn die Adressen aller in Frage kommenden Reservisten vorliegen, können diese nicht ohne weiteres einberufen werden. Marc Lemmermann erklärt, dass sich vorher jeder Reservist einer Sicherheitsüberprüfung durch den Militärischen Abschirmdienst (MAD) unterziehen müsse. Der Nachrichtendienst sei personell nicht dazu in der Lage, eine so große Zahl an Prüfungen in kurzer Zeit durchzuführen.
Ebenso wird auch eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht kurzfristig zu Erfolgen führen, sagt Joachim Krause: "Wir müssen wieder Kasernen bauen. Wir müssen wieder Kreiswehrersatzämter schaffen. Wir müssen einen bürokratischen Unterbau schaffen, damit diese Wehrpflicht funktioniert. Das dauert Jahre."
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