Kanal in der Krise: Hat der NOK noch eine Zukunft?
Wichtig für Handel und Wohlstand, Arbeitsplatzgarant, CO2-Vermeider: Trotzdem ist der Nord-Ostsee-Kanal heute eine marode Wasserstraße - mit dem Image, unzuverlässig zu sein. Warum ist das so? Und lohnt sich der NOK überhaupt noch?
Tanker, Bulker, Feederschiffe mit bunten Containern: Die Frachtschiffe auf dem Nord-Ostsee-Kanal haben geladen, was wir alle für unser gewohntes Leben brauchen: Getreide, Heizöl, Fernseher. Verschifft über die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt, die auf 100 Kilometern Nord- und Ostsee verbindet.
"Der Kanal ist Teil einer Logistikkette. Und Deutschland ist ein vom Export abhängiges Land", sagt Jens-Broder Knudsen, Vorsitzender der Initiative Kiel Canal und Geschäftsführer bei Sartori & Berger: "Wenn wir unsere Wasserstraßen und unsere Infrastruktur nicht wettbewerbsfähig halten, dann können wir das Niveau, auf dem wir uns heute bewegen, in der Zukunft nicht mehr halten." Obwohl der NOK wissenschaftlich erwiesen seinen Teil zum Wohlstand Deutschlands beiträgt, ist die Bundeswasserstraße marode.
Alle Augen auf das Bundesverkehrsministerium
Fragt man Menschen, die mit dem Kanal zu tun haben - Lotsen, Reeder, Unternehmer -, warum der Nord-Ostsee-Kanal in so einem schlechten Zustand ist, lautet die Antwort: Im Bundesverkehrsministerium hat sich zu lange niemand genügend für den Nord-Ostsee-Kanal interessiert. "Man hat Stellen abgebaut, man hat die Mittel gekürzt", sagt Claus Ruhe Madsen (CDU), Verkehrsminister in Schleswig-Holstein, mit Blick auf Berlin. Die Konsequenz: "Wenn man ein Auto hat und das nicht mehr repariert, dann fährt das Auto irgendwann nicht mehr. Und genau das haben wir jetzt an unserem Kanal." Berlin müsse sich mehr bewegen, so Madsen.
Schon seit Anfang der 1990er-Jahre gilt für die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung: Es muss gespart werden, Stellen müssen abgebaut werden. "Das liegt sicherlich auch daran, dass damals nach der Wende ein großer Fokus auf dem Wiederaufbau Ostdeutschlands lag", sagt Unternehmer und Interessenvertreter Knudsen. Insgesamt habe der Kanal aber einen schlechteren Stand als beispielsweise Autobahnen.
Prioritäten beim Bund lagen lange nicht auf Wasserstraßen
Selbst das Bundesverkehrsministerium räumt auf Nachfrage ein: "In den vergangenen Jahrzehnten wurde wenig in den Erhalt des Nord-Ostsee-Kanals investiert. Die vom Haushaltsgesetzgeber gesetzten Prioritäten lagen damals auf anderen Bereichen." Inzwischen sei aber "eine Trendwende vollzogen und der Abbau des Investitionsstaus eingeleitet". Die Zukunft des Nord-Ostsee-Kanals sei gesichert.
NOK-Investitionen in zehn Jahren fast verdreifacht - doch Personal fehlt
Während der Bund vor zehn Jahren noch 83 Millionen Euro für Investitionen, Erhaltung und Betrieb sowie Unterhaltung ausgegeben hat, sind es in diesem Jahr knapp 300 Millionen Euro. Ein Trend, der für die Kritiker in die richtige Richtung geht. Aber: Die Probleme der Gegenwart sind noch nicht gelöst. Denn während die Aufgaben am Kanal immer komplexer wurden, wurde immer weiter Personal eingespart. Das hat dazu geführt, dass jetzt Fachpersonal für diese Arbeiten fehlt. Also dauert es, bis etwas behoben und gelöst werden kann, es kommt weiter zu Verzögerungen. Und der NOK gilt als fehleranfällig und unzuverlässig.
Schlechtes Image verprellt Reeder
"Der Imageschaden ist deswegen ein Problem, weil die Reedereien natürlich viele Jahre im Voraus ihre Routen planen", sagt Vincent Stamer vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Er forscht seit Jahren zu volkswirtschaftlichen Auswirkungen des NOK. "Wenn heute die Wahrnehmung ist: Der NOK ist heute oder in den nächsten Jahren nicht zuverlässig befahrbar, dann kann es eben sein, dass diese Routen nachhaltig umgelenkt werden." Und das gelte es zu verhindern, denn der NOK hat laut Stamer viele Pluspunkte im Vergleich zur Alternativroute.
Der Umweg um Dänemark ist laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt bis zu 680 Kilometer länger als die Passage durch den NOK, die Fahrt dauert einen Tag länger und verbraucht pro Schiff im Schnitt 10.000 Liter Schiffsdiesel mehr. Fährt ein Frachter durch den NOK, ist er nicht nur deutlich schneller am Ziel - er stößt auch weniger CO2 aus.
NOK-Marktanteil ist relativ stabil - noch
Schiffe können den NOK aber viel leichter umfahren als beispielsweise den Panama- oder den Suezkanal. "Das bedeutet, dass sich der NOK noch mehr anstrengen muss, attraktiv zu bleiben, um seine Marktanteile zu verteidigen," sagt Forscher Vincent Stamer. Noch gelingt das ganz gut. Der Schiffsverkehr sei im Ostseeraum insgesamt in den vergangenen Jahren weniger geworden - das liegt unter anderem am russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und den Sanktionen gegenüber Russland und daran, dass Frachter immer größer werden und weniger Schiffe mehr transportieren können. Der Marktanteil sei aber in den vergangenen zehn Jahren noch relativ stabil geblieben. Auch wenn der NOK sich behaupten muss.
Wissenschaftler schlägt flexible Preise für NOK-Passage vor
Denn neben der Zuverlässigkeit des Kanals sind für Reeder besonders die Faktoren Wetter und Ölpreis dafür entscheidend, ob ein Schiff durch den NOK oder um Dänemark herum fahren soll. In den Herbst- und Wintermonaten, wenn es auf See stürmisch ist, ist eine Durchfahrt durch den Kanal wahrscheinlicher. Ebenso wenn der Ölpreis hoch ist, da ein Schiff für die Umfahrung sowieso mehr Diesel braucht. Da die Durchfahrt durch den Kanal die Reeder Geld kostet, schlägt Wissenschaftler Stamer einen flexiblen Preis vor, der sich an diesen Gegebenheiten orientiert: "Im Winter, wenn das Wetter tendenziell schlechter ist, wenn der Ölpreis hoch ist, dann könnte man flexibel die Befahrungsabgaben erhöhen und würde es eben so schaffen, dass einerseits die Einnahmen des NOK steigen, aber Reedereien nicht verprellt werden." Im Sommer könnten die Kosten umgekehrt gesenkt werden, um den NOK für Reeder attraktiver zu machen.
30 Mal mehr Ausgaben als Einnahmen
Einen Teil der Gebühr für die Passage durch den NOK bekommt der deutsche Staat: die Befahrungsabgabe. Mit etwa zehn Millionen Euro rechnet der Bund in diesem Jahr - während er gleichzeitig knapp 300 Millionen für den Kanal ausgibt. Flexible Preise wie von den Wissenschaftlern am IfW vorgeschlagen hält das Bundesverkehrsministerium für schwer umsetzbar, da viele Akteure wie auch Lotsen beteiligt sind und bei Ölpreisen Rechtsverordnungen gelten. "Allerdings beabsichtigt das Bundesverkehrsministerium die Einführung eines Rabattsystems für Schiffe mit umweltfreundlichen Antrieben, wie es bereits an einigen Häfen und Wasserwegen international praktiziert wird," teilt ein Sprecher aus dem Bundesverkehrsministerium auf Anfrage mit.
IfW: NOK generiert in Deutschland pro Jahr Mehrwert von 570 Millionen Euro
Rechnet es sich denn, dass der Bund das 30-fache von dem für den Kanal ausgibt, was er einnimmt? Ja, sagt das Bundesverkehrsministerium - und verweist auf den volkswirtschaftlichen Nutzen: "Die Einnahmen der Befahrungsabgaben decken nur einen geringen Teil der Kosten, was für die gesamtwirtschaftliche Bewertung der Investitionen aber unerheblich ist."
Wissenschaftler Stamer hat genau dazu geforscht - welche gesamtwirtschaftliche Bedeutung der NOK hat. Und er teilt diese Sicht des Bundesverkehrsministeriums: "Aus ökonomischer Perspektive hat der NOK auf jeden Fall eine Zukunft, denn er generiert jedes Jahr allein in Deutschland einen Mehrwert von 570 Millionen Euro."
Der Nord-Ostsee-Kanal reduziere vor allem die Handelskosten zwischen Deutschland und beispielsweise Schweden oder dem Baltikum, wenn Güter aus diesen Ländern importiert werden, so Stamer: "Seien es Möbel, Holz oder andere Güter: Werden die durch den Kanal transportiert, kommen sie günstiger in Deutschland an." Und das dämpft zum Beispiel die Inflation, sagt Stamer.