Nord-Ostsee-Kanal: Die Mängel-Liste ist lang
Der Nord-Ostsee-Kanal zwischen Kiel und Brunsbüttel ist die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Welt. Ein Titel, mit dem sich Unternehmer und Politiker gerne schmücken. Aber die Liste der Probleme ist lang: defekte Schleusentore, längst überholte Infrastruktur, marode Fähranleger.
Wenn Detlef Wittmüß von seinem Büro in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) auf den Nord-Ostsee-Kanal blickt, dann scheint auf den ersten Blick alles wie immer: Geschäftiges Treiben auf dem Wasser, Schüttgutfrachter, daneben ein paar Segelschiffe, und durch die Schleuse kommt gerade ein Containerschiff. Doch bei genauem Hinschauen zeigen sich die ersten Anzeichen, dass eben doch nicht alles so gut ist: Es ist beispielsweise nur eine Fähre unterwegs, die die Menschen von der Nordseite auf die Südseite des Kanals bringt - Personalmangel. Detlef Wittmüß ist Leiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes (WSA) Nord-Ostsee-Kanal. Er muss berufsbedingt einen guten Blick auf den Kanal haben, nicht nur aus seinem Bürofenster. Und genau das ist für den Amtsleiter aktuell eine große Herausforderung, denn die Baustellen, die seine Aufmerksamkeit fordern sind zahlreich. Aktuell hat Detlef Wittmüß mehr als 100 Einzelbaustellen zu verantworten - zum Beispiel die der Böschungssanierungen.
Wir haben ungefähr 100 Böschungsschäden am Nord-Ostsee-Kanal, die uns derzeit Sorgen bereiten. Detlef Wittmüß, Amtsleiter WSA
Zäune, Bagger und Baustellen ohne Ende
Ein Zaun versperrt den Weg entlang des Kanals bei Hochdonn, der besonders in den Sommermonaten von Radtouristen aus ganz Deutschland genutzt wird. Am Rand des Kanals auf dem Wasser: ein Bagger, der tonnenweise Steine in den Kanal kippt. Hier wird die Uferböschung saniert, in dem Wassersteine verlegt werden, quasi als Schutzwall für die spätere Stabilisierung des Ufers. Vor etwa einem Jahr, im Juli 2022, haben Mitarbeiter des WSA bei Kontrolluntersuchungen Schäden am Nord-Ostsee-Kanal festgestellt. Ganze Böschungsabschnitte drohen ins Wasser zu rutschen - an insgesamt gut 100 Stellen, hauptsächlich auf der Weststrecke zwischen Brunsbüttel und Breiholz. Deshalb ist nun der Bagger im Einsatz. "Ich gehe davon aus, dass es wirklich eine ganze Zeit dauern wird, bis wir mit dieser Sanierung durch sind. Wir werden so etwas in einer Größenordnung von zehn Jahren auf jeden Fall brauchen", sagt der Amtsleiter.
Diese 100 Baustellen an den Böschungen kann er nicht einfach so sanieren lassen. Zunächst muss auch dieses Projekt genehmigt werden. Gut ein Jahr hat es also gedauert, seit sein Amt die Schäden festgestellt hat und es die ersten Probesanierungen gab. Das WSA ist eine Bundesbehörde. Und genau hier liegt auch das Problem, sagt der Amtsleiter: "Das bedeutet, man muss Papier machen, das begründen, eine technische Planung vorlegen, was man vorhat. Keiner gibt ihnen Geld, wenn sie sagen, ich brauche viel Geld für irgendwas. Sondern sie müssen das schon genau planen und genau das haben wir in den vergangenen Monaten getan." Erst dann habe man seitens des Bundeverkehrsministeriums erkannt, dass es eine ernste Situation sei. Das Geld wurde nun auch bewilligt.
Zehn Jahre, bis Böschung saniert ist
Es ist ein glücklicher Zufall, dass in diesem Planungszeitraum zwischen Juli 2022 und August 2023 nichts passiert ist - denn wäre die Böschung wirklich abgerutscht, hätte es zur Sperrung des Kanals kommen können, sagt Detlef Wittmüß. Eine Vollsperrung des Kanals - nach der zweiwöchigen Sperrung durch den Ölunfall im Brunsbütteler Binnenhafen - sie hätte fatale Wirkungen auf das ohnehin angeschlagene Image des Kanals gehabt. Aber auch die direkten, unmittelbaren Folgen der beschädigten Böschung wirken sich bereits auf den Schiffsverkehr aus.
Verschärftes Tempolimit auf dem Kanal
Auf der etwa 100 Kilometer langen Passage durch den Nord-Ostsee-Kanal durften die großen Containerschiffe bisher mit 15 Stundenkilometern fahren. Etwa acht Stunden also dauerte es von der Nordsee in Brunsbüttel bis zur Ostsee in Kiel. Aufgrund der Böschungsschäden hat Detlef Wittmüß eine Drosselung der Geschwindigkeit veranlasst. Nun dürfen die Schiffe den Kanal nur noch mit zwölf Stundenkilometern passieren. Der Grund dafür liegt unter der Wasseroberfläche und ist mit bloßem Auge nicht zu erkennen: Die Schiffe verdrängen das Wasser, verursachen Verwirbelungen - und sorgen so Stück für Stück, Schiffspassage für Schiffspassage, dafür, dass die Uferböschung unterspült wird.
Vor 25 Jahren erste Untersuchungen zu Böschungszustand
Doch die Geschwindigkeitsdrosselung sorgt nicht nur einfach für eine längere Fahrtzeit. Auch für die Lotsen und Steuerer, die während der Passage zwingend mit an Bord sein müssen, verlängern sich die Arbeitszeiten deutlich und das sorgt für eine Verschärfung der ohnehin engen Personalsituation. Doch das Problem ist nicht neu. Bereits 1997 gab es eine Untersuchung, wie sich immer größere Schiffe auf die Böschung auswirken. 2007 waren sie sogar mit Peilungsschiffen unterwegs, um die Böschung zu untersuchen. Es sind also eigentlich alle Informationen vorhanden. Nur werden die nicht zentral erfasst, versickern offenbar im komplizierten Verwaltungssystem.
Wird die Sanierung irgendwann fertig?
Selbst Detlef Wittmüß muss schmunzeln, als er die Behördenstruktur erläutert: "Die Wasserstraßen und Schifffahrtsverwaltung des Bundes ist eine dreistufige Bundesverwaltung. Als oberste Bundesbehörde haben wir das Bundesverkehrsministerium." Als Mittelbehörde gebe es die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt. "Und dann gibt es die Ortsbehörden wie die Wasserstraßen und Schifffahrtsämter." Doch in der Argumentation, warum erst jetzt gehandelt wird, verweist der Amtsleiter auf Berlin: "Letzten Endes geben die uns das Geld und wir setzen um." Am Nord-Ostsee-Kanal ist allen klar, dass die Wasserstraße saniert werden muss. Nur: Dass der Kanal jemals fertig ist - daran glaubt selbst der Amtsleiter nicht.