Erste Lotsin auf dem NOK: "Eisbrecher für andere Frauen"
Knapp 140 Lotsen sind auf dem Nord-Ostsee-Kanal im Einsatz. Bisher nur Männer. Doch es ändert sich etwas. Seit Juni ist Miriam Schlüter als erste Lotsin im Team – und will Pionierarbeit leisten.
Mit einem entschlossenen Schritt nimmt Miriam Schlüter die Treppe zur "Kiebitz". Das kleine, weiße Lotsenboot wird sie gleich zu ihrem ersten Job des Tages bringen - einem schwedischen Frachtschiff, das gerade noch am Eingang des Nord-Ostsee-Kanals in Brunsbüttel liegt. Die 34-Jährige muss es von dort über den Kanal bis nach Rüsterbergen lotsen.
Etwa viereinhalb Stunden wird sie an Bord sein. Die wenigen Minuten Anfahrt auf der "Kiebitz" sind Miriams einzige Chance, sich auf den Einsatz vorzubereiten. Denn den Auftrag heute hat sie, wie so oft, erst kurz vorher bekommen.
Große Schiffe, viel Verantwortung
Lotsenbootfahrer Andreas legt mit der "Kiebitz" direkt ab. Miriam fragt ihn kurz nach dem aktuellen Verkehr auf dem Kanal, dann stellt sie ihren Rucksack auf die Sitzbank im Bootsinneren und zieht ein Tablet hervor. Mit konzentriertem Blick klickt sie sich durch eine App, in der die wichtigsten Daten zu allen Schiffen hinterlegt sind - auch zu dem schwedischen Frachter, den Miriam gleich lotsen soll.
"Unser Ziel ist es ja, wirklich jedes Schiff stoppen und lenken zu können, wie wir es wollen. Mit den verschiedenen Beladungszuständen, Maßen und Fahreigenschaften ist das schone eine große Herausforderung", erklärt Miriam. "Ich bin da immer noch nervös, ob das alles so funktioniert, wie man sich das vorstellt." Miriam ist noch frisch dabei. Sie hat ihre Ausbildung zur Lotsin erst vor zwei Monaten abgeschlossen. Erfahrung in der Seefahrt bringt sie aber schon reichlich mit in den neuen Job.
Der lange Weg zur Lotsin
Die 34-Jährige ist in Dithmarschen aufgewachsen und hat Seefahrt studiert, weil die großen Schiffe auf dem Nord-Ostsee-Kanal sie schon als Kind fasziniert haben. Danach war sie zehn Jahre mit Frachtschiffen auf den Weltmeeren unterwegs und hat sich bis zur Ersten Offizierin hochgearbeitet.
Erst dann reichte die Erfahrung, um sich überhaupt auf die Ausbildung zur Lotsin bewerben zu können. Eine Hürde, die besonders Frauen davon abhält, sich für den Job zu entscheiden, glaubt die frischgebackene Lotsin. "Man muss jahrelang auf See unterwegs sein und hat dann auch noch das Problem, dass viele Reedereien sich schwertun, Frauen in hohen Rängen einzustellen. Da heißt es zum Beispiel zum Teil immer noch, dass Männer vielleicht nicht damit klarkommen könnten, Befehle von einer Frau zu bekommen."
Männerdomäne Lotsenjob
Auf dem Nord-Ostsee-Kanal ist Miriam Schlüter die erste Lotsin überhaupt. Deutschlandweit gibt es vier - bei etwa 800 Lotsen insgesamt. In der Brunsbütteler Lotsenbrüderschaft, zu der jetzt auch Miriam gehört, weiß man um diese Zahlen. Ältermann Bastian Petschokat hofft jedoch, dass sich der geringe Frauenanteil in Zukunft zumindest ein bisschen steigern lässt. Dafür ist die Lotsen-Ausbildung deutschlandweit gerade erst reformiert worden. Die bisher benötigte Erfahrung auf See kann jetzt auch ein duales Studium ersetzen. "Wir hoffen, dass das den Job für die Jugend attraktiver und auch familientauglicher werden lässt - und dass sich dann auch mehr Frauen dafür entscheiden", so Petschokat.
Vorbild für andere Frauen
Miriam ist mit der "Kiebitz" inzwischen bei dem schwedischen Frachtschiff angekommen. Auf das Schiff darf sie wegen der strengen Sicherheitsvorkehrungen gleich nur allein. "Pilot ladder down", ruft sie der Besatzung zu - sie sollen die Lotsentreppe für sie herunterlassen. Bevor Miriam die abenteuerlich aussehende Holztreppe hochklettert, atmet sie noch einmal tief durch. "Mir ist es nicht wichtig, dass ich die erste Lotsin hier bin. Aber es ist wichtig, dass es eine gibt. Und dass das vielleicht eine Art Eisbrecher ist, dass Frauen sehen, jetzt hat es eine geschafft, jetzt kann ich auch die zweite sein."