Jahrhundertflut: Schäden in Flensburg weiterhin große Belastung

Stand: 20.12.2023 12:59 Uhr

Während die Hansens Brauerei in Flensburg schon einen Tag nach der Jahrhundertsturmflut wieder geöffnet hatte, sind in Wiebke Petersens Bootspolsterei noch immer die Schotten dicht.

von Simone Mischke

Wiebke Petersen steht in Arbeitskleidung auf einer Leiter, in der Hand hat sie einen Akku-Bohrschrauber. Sie montiert ihr blaues Firmenschild über der Eingangstür ihres früheren Ladens in der "Kurzen Straße" in Flensburg ab. Dort war sie erst vor zwei Jahren mit ihrer kleinen Bootspolsterei eingezogen. Und dann kam die Flut. "Das Wasser kam über die Kanalisation hoch. Bis zur Hüfte habe ich im Wasser gestanden", erzählt die 69-Jährige. Gestunken habe das. Nach Makrele. Die Werkstatt, Stoffe, Musterbücher, Polster: alles nass. Acht Wochen sind inzwischen vergangen. Mittlerweile hat sie kurzfristig einen neuen Laden in der "Toosbüystraße" in Flensburg angemietet. So hoch gelegen, dass zumindest von der Förde her nicht mit einem Wassereinbruch zu rechnen ist. Ihr Vermieter hat sie kulanterweise aus ihrem aktuellen Mietvertrag rausgelassen. Doch auch der neue Laden ist noch immer geschlossen.

Trotz großer Hilfsbereitschaft geht es nicht so schnell voran

"Ich hatte wirklich von allen möglichen Seiten Hilfe. Von Familie, Freunden, Handwerkerkollegen und auch von Menschen, die ich gar nicht kannte. Aber das Leben geht für die anderen ja auch weiter, Weihnachten steht vor der Tür. Und es ist alles so wahnsinnig kleinteilig bei mir", erzählt die Seglerin, während die Trocknungsgeräte im Hintergrund summen. Die Luft ist feucht, es riecht modrig. Farbe spilttert von den Wänden ab, überall sprießen Schimmelflecken. Im alten Laden ist immer noch einiges abzubauen und einzusammeln: Vorhänge, Werkzeug, Kabel, Mehrfachsteckdosen. "Ich habe das unterschätzt, wie kleinteilig das alles ist", sagt Petersen.

Aufbau und Geldknappheit kosten Kraft

Das Ganze geht Wiebke Petersen an die Substanz. Gerade erst hatte sie ein paar Tage bei einer Freundin in Braunschweig verbracht. Um Kraft zu tanken und um mal auf andere Gedanken zu kommen. Aber es muss ja auch weitergehen in Flensburg - wenn auch nicht so schnell, wie sie es gerne hätte. Dennoch ist Petersen dankbar für all die Hilfe, die sie bisher bekommen hat. Ihr Mitarbeiter ist vorübergehend bei einem Lieferanten untergekommen, so dass sie sein Gehalt derzeit nicht zahlen muss. "Außerdem haben Freunde Spenden gesammelt, 6.000 Euro sind dabei zusammengekommen", freut sie sich. Sonst wäre schon längst Schluss gewesen, sagt sie. Auf zwischen 30.000 und 40.000 Euro schätzt sie die Schäden, die die Flut in ihrem Laden hinterlassen hat. Geld von ihrer Elementarschaden-Versicherung bekommt sie vermutlich nicht. "Eigentlich dachte ich, dass ich mit 100.000 Euro gut versichert bin. Da hab' ich wohl falsch gedacht." Das vom Land angekündigte Dahrlehensprogramm kommt für sie nicht in Frage. "Ich bin 69 Jahre alt, ich kann keinen Kredit mehr von 50.000 Euro aufnehmen."

Neustart im neuen Jahr

Trotz allem blickt Wiebke Petersen positiv in die Zukunft. Ihr neues Geschäft in der "Toosbüystraße" liegt hoch genug, damit sie zumindest vor Wasser aus der Förde keine Angst mehr haben muss. Momentan steht in dem Verkaufs- und Nähraum noch alles kreuz und quer: Nähmaschinen, Stoffe, Polster. Doch das wird, davon ist Wiebke Petersen überzeugt. "Und ich hoffe, dass mir meine Kunden treu bleiben, wenn ich Anfang Januar hier wieder aufmache." In die Zukunft blickt sie optimistisch, aber auch nachdenklich. "Die Natur hat uns gezeigt, wozu sie in der Lage ist. Wir haben uns leider zu lange so verhalten, dass wir jetzt die Quittung dafür kriegen."

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Oktoberfest in Hansens Brauerei einen Tag nach der Flutnacht

Ganz anders ist die Situation in Hansens Brauerei an der Flensburger Schiffbrücke. 40 Zentimeter stand das Wasser in der Flutnacht im Gastraum: eine neue Situation für den Pächter der Brauerei und seine Mitarbeitenden. "Das Hochwasser kennen wir ja als Flensburger, wir hatten das Wasser schon oft genug vor der Tür. Dass es reinläuft, war neu für uns", erzählt Franz-Dieter Weiß, der die Brauerei 1989 gegründet hatte. Trotz des Wassereinbruchs öffnet die Brauerei schon einen Tag nach der Flutkatastrophe erneut ihre Türen für die Gäste: inklusive blauweißer Dekoration und Bühne für die Musiker: Oktoberfest in Hansens Brauerei. "Das war nur durch viele fleissige Hände möglich. Wir haben uns bei Baufirmen Pumpen und Trocknungsgeräte geliehen. Die Feuerwehr hat abgepumt, alle haben mit angepackt", erzählt Franz-Dieter Weiß stolz. Und so floss das Bier schon einen Tag nach der Flutnacht wieder aus den Hähnen.

Flutschäden zwar nicht sichtbar, aber da

Wie kann das sein, fragt man sich? Oberflächlich betrachtet sieht der Gastraum aus wie vorher. Doch schaut man genauer hin, ahnt man schon, dass das Wasser nicht einfach nur wieder weg ist, ohne irgendeinen Schaden angerichtet zu haben: Im Holzboden sind Risse, an einigen Stellen kommt der Boden hoch. "Das Mauerwerk hinter den Holzpaneelen ist klatschnass. Die Toilettentüren quellen auf - einige haben wir schon ausgetauscht. Auch der Fliesenboden muss zumindest teilweise erneuert werden, da ist auch die Feuchtigkeit drin", erklärt Franz-Dieter Weiß. Doch den Laden jetzt im Dezember dicht zu machen würde zuviel Umsatz kosten.

Sanierung im kommenden Jahr

Deshalb werden sie im kommenden Jahr im Januar oder Februar schließen müssen, sagt er. Dann müssen sie sanieren - und erst dann wird der Gesamtschaden feststehen. "Ohne Sanierung haben wir hier im Mauerwerk bald alles voll mit Schimmel." Er ist froh, erzählt er, schon so lange im Geschäft zu sein und ein entsprechendes finanzielles Polster zu haben. "Wer jetzt grade erst angefangen hat vor ein paar Jahren - das wird schwierig." Für die Zukunft wünscht sich Franz-Dieter Weiß vor allem Unterstützung von der Stadt, damit das Wasser nicht mehr durch die Gullis und die Kanalisation hochkommt. "Das Wasser, das durch die Sielleitungen hier durchdrückt, das muss technisch wesentlich verbessert werden. Und darum bitten wir die Stadt, sich darum zu kümmern."

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 20.12.2023 | 19:30 Uhr

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