Expertin zu Corona-Politik in China: Großteil steht hinter Regierung
Angelika Messner ist Professorin für Sinologie und leitet seit zehn Jahren das China-Zentrum CAU Kiel. Mit NDR Schleswig-Holstein hat sie über die Proteste in China gesprochen und erklärt, warum das Land bei der Corona-Bekämpfung in einer Sackgasse steckt.
Ende November gingen in China Hunderte Menschen auf die Straßen, um gegen die strenge Null-Covid-Politik der Regierung unter Staatschef Xi Jinping zu demonstrieren. Inzwischen wurden einige der Corona-Regeln gelockert, allerdings gibt es große regionale Unterschiede. Dabei spielt auch ein Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Provinzen eine Rolle, erklärt Angelika Messner, Professorin und Leiterin des China-Zentrums an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) in Kiel. Dass die Proteste politische Veränderungen nach sich ziehen, glaubt sie nicht.
Frau Messner, inzwischen wurden einige Corona-Regeln aufgehoben, es gibt aber zum Teil regionale Unterschiede. Was macht Lockerungen in China so schwierig?
Prof. Dr. Angelika Messner: Bei der Umsetzung der Lockerungen gibt es oft Missverständnisse. Da besteht sehr viel Unsicherheit und eigentlich haben alle Angst, etwas falsch zu machen. In China hat die Fürsorgepflicht des Staates, Gesundheitsvorsorge zu leisten, oberste Priorität. Da hängt mit der Stellung der Älteren zusammen. Die sind ja besonders vulnerabel und zum Großteil nicht geimpft. Wenn alle Maßnahmen fallen gelassen würden, würden Hochrechnungen zu Folge Millionen Menschen sterben. Wenn das passieren würde, würde es garantiert massivste Proteste von anderer Seite geben. Da wartet man lieber noch ein paar Wochen ab. Wenn dann in dieser Zeit aber so etwas passiert wie der Brand in Urumqi* - es ist einfach ein Dilemma, eigentlich ist es eine Sackgasse.
*Anmerkung der Redaktion: Bei dem Brand kamen nach Behördenangaben zehn Menschen in einem Hochhaus in der Stadt Urumqi ums Leben. Bewohner berichteten, dass Corona-Maßnahmen die Arbeit der Feuerwehr behindert und verzögert hätten.
Haben die Proteste seit Ende November daran etwas geändert? Gibt es einen Weg aus dieser Sackgasse?
Messner: Was sich ändert ist, dass die Regeln ständig angepasst werden. Insofern hat es schon etwas Positives gebracht, dass die Regierung sagt: Wir passen an und wir müssen auch dafür sorgen, dass diese Regeln verstanden werden. Man sieht auch schon einzelne Städte, die Lockerungen planen. Vor gut einem halben Jahr wurde ich schon einmal zur Null-Covid-Strategie befragt. Damals meinte ich, wenn es möglich wäre, Covid-19 als Grippe zu klassifizieren, dann könnten andere Regeln greifen. Ich glaube aber nicht, dass das alles so schnell möglich ist. Es ist eine Frage der Zeit. Wenn jetzt einzelne Städte sich trauen zu lockern, dann könnten sich vielleicht auch die Gemüter wieder beruhigen und man kann wieder Vertrauen aufbauen.
Warum kam es überhaupt zu derartigen Protesten in China?
Messner: Erstens muss ich etwas richtig stellen: Proteste gab es in China schon immer. Auf Provinzebene hat man zum Beispiel Bürgermeister oder Gouverneure wegen Missständen angeklagt und ist dafür auf die Straße gegangen. Die waren gar nicht so klein, die Proteste. Die aktuellen Bewegungen haben vor allem mehr mediale Aufmerksamkeit erreicht. Es gibt aber dennoch einen qualitativen Unterschied: Jetzt wird die Zentralregierung adressiert. Das ist etwas, was vorher nicht passiert ist.
Was war der Auslöser für diese Art von Protesten?
Messner: Ein konkreter Auslöser war der Brand in Urumqi, bei dem mehrere Menschen ums Leben kamen. Es kamen aber mehrere Faktoren zusammen. Natürlich gab es eine Frustration in der Bevölkerung, weil die Regeln sehr streng waren. Auch wirtschaftliche Schwierigkeiten spielen eine Rolle. Es sind vor allem junge Leute, zwischen 20 und 30, die auf die Straße gegangen sind. Studierende fühlen sich um ihre Chancen betrogen, weil sie den Campus nicht verlassen und auch nicht mehr so leicht ins Ausland gehen können. Inhaber von kleinen Geschäften sind am Rand ihrer Existenz. Außerdem gibt es im Internet gerade viel Aufruhr um einen möglichen Missbrauch bei Corona-Tests. Menschen bekamen ein positives Ergebnis, obwohl sie gar nicht getestet worden waren. Das sorgt natürlich für einen Vertrauensverlust. Es sind einfach mehrere Umstände zusammengekommen. Auch weil es bei den Corona-Regeln noch immer Ungleichheiten zwischen den Regionen gibt. Es gibt in China schon immer ein Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Provinzen, in denen Regeln oft eigenmächtig ausgelegt werden. Da ist eine Dynamik drin, die nicht leicht zu kontrollieren ist. Das ist durch Corona jetzt noch einmal klarer und sichtbar geworden.
Inzwischen sind die Proteste bereits wieder abgeklungen - auch nach massiver Polizeipräsenz. Außerdem gibt es inzwischen Lockerungen. Rechnen Sie damit, dass die Protestwelle noch einmal größer wird?
Messner: Nein. Der Großteil der Bevölkerung steht ganz klar hinter der Regierung. Man kritisiert die Maßnahmen, aber nicht das politische System. Diesen Erdrutsch, den will keiner haben, auch die jungen Leute nicht. Natürlich gibt es einen Diskurs, gerade unter den jungen Menschen, die studieren und zum Beispiel über YouTube sehen, dass in Europa keine Maskenpflicht mehr herrscht. 90 Prozent der Bevölkerung führt diesen Diskurs aber nicht, weil sie die Maßnahmen gewohnt sind. Sie reflektieren zwar und sagen: Einige Maßnahmen müssen wir ändern - aber die Regierung ist dadurch nicht als Regierung angegriffen. Hinzu kommt, dass die Maßnahmen ja damit begründet werden, dass die Älteren geschützt werden sollen. Dieser Ansatz greift durch die Bank, auch bei den jungen Leuten. In China ist der Schutz der Älteren ein ganz besonderer Punkt, da würde nie jemand riskieren wollen, die eigenen Großeltern in Gefahr zu bringen. Das ist eine kausale Verknüpfung, die funktioniert.
Das Gespräch führte Friederike Schneider.