Erstmals seit 1938: Kiel hat wieder eine Synagoge
Ein historischer Tag für Menschen mit jüdischem Glauben: 86 Jahre nach Zerstörung der alten Synagoge in der Reichspogromnacht ist am Nachmittag in Kiel das neue Gotteshaus eingeweiht worden. Zuvor hatten sich Jüdinnen und Juden in Kiel in wechselnden Unterkünften versammelt.
Seit Sonntag (26.5.) haben Menschen mit jüdischem Glauben wieder ein eigenes Wahrzeichen in der Landeshauptstadt. "Das erste Mal seit den Novemberpogromen steht in Kiel wieder eine deutlich erkennbare Synagoge einfach so an der Straße", sagt Walter Joshua Pannbacker, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Kiel. Fünf Jahre lang war er mit dem Projekt beschäftigt.
Es sei "ein historisches Ereignis, das weit über die Stadtgrenzen hinaus Zeichen setzt", hieß es in der Einladung der Jüdischen Gemeinde. Die Einweihung fällt mit dem 20-jährigen Bestehen der Gemeinde zusammen. "Jeder Tag in den letzten 20 Jahren war erfüllt von einer tiefen, historischen Verantwortung", sagte die Geschäftsführerin des Landesverbands der jüdischen Gemeinschaft in SH, Inna Shames, dem NDR.
Name der Synagoge steht für Respekt und Gemeinschaft
"Mishkan Shalom" heißt das neue Gotteshaus, das ab sofort das Herzstück der jüdischen Gemeinschaft in Kiel ist. Dieser hebräische Ausdruck bedeutet übersetzt "Heiligtum des Friedens". Jüdinnen und Juden verbinden mit dem Begriff das Engagement für soziale Gerechtigkeit und eine Atmosphäre des Respekts. So sollen Gemeindemitglieder unterschiedliche Meinungen bei schwierigen Themen diskutieren können und trotzdem eine Gemeinschaft bleiben.
Die neue Heimat der jüdischen Gemeinde steht im Zeichen der Gemeinschaft. Zuvor war es ein Verbindungshaus der Burschenschaft Teutonia Kiel. Später wurde das Gebäude als Freikirche genutzt. Ab 2019 nutzte die jüdische Gemeinde Teile des Hauses und sanierte es.
Besondere Zeremonie zur Einweihung
An diesem Sonntag wurde unter anderem die sogenannte "Mesusa", eine Schriftkapsel in Form eines kleinen, länglichen Kästchens, traditionsgemäß an der Eingangstür angebracht. Für die Jüdinnen und Juden ist es eine Art Talisman und soll vor Unheil schützen. Es folgten offizielle Ansprachen, Nachmittagsgebete und als musikalischer Höhepunkt ein Kantorenkonzert. Diese Form der Musik hat eine lange Tradition in der jüdischen Gemeinde und im religiösen Kontext.
Neun Rednerinnen und Redner standen auf der Gästeliste, darunter Bildungsministerin Karin Prien (CDU), die Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtags Kristina Herbst, Kristina Kühnbaum-Schmidt, Landesbischöfin der Nordkirche, Andreas Nachama, stellvertretender Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) und der Liberalen Rabbinervereinigung Deutschlands, sowie Irith Michelsohn, Vorsitzende der Union Progressiver Juden in Deutschland.
Historische Synagoge 1938 in Kiel verbrannt
Die alte Synagoge in der Humboldtstraße, Ecke Goethestraße war auf Geheiß der Nationalsozialisten 1938 niedergebrannt worden. Seitdem gab es keine Synagoge mehr in der Landeshauptstadt.
Die Einweihung erfolgte unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen. Seit Jahren häufen sich die antisemitischen Vorfälle im Land. Im vergangenen Jahr war die Zahl Übergriffe auf Menschen mit jüdischem Glauben in Schleswig-Holstein so hoch wie noch nie, wie die landesweite Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus (LIDA) kürzlich mitteilte.
Für Walter Joshua Pannbacker ist die Synagoge ein Hoffnungsanker. Dass seine Gemeinde ab sofort wieder sichtbarer ist, stimme ihn froh, sagte er. Anonymität sei kein Schutz.
„Wir wollen uns nicht verstecken, dann haben die anderen gewonnen“.
Joshua Pannbacker
Polizei: "Gefährdungslage" regelmäßig aktualisiert
Kritische Stimmen vor der Einweihung habe es keine gegeben, so Pannbacker. Ob mit der Synagoge eine veränderte Sicherheitslage erwartet wird, dazu gab die Polizei auf Anfrage des NDR keine Auskunft. Es würden regelmäßig "Gefährdungslagebewertungen" durchgeführt und aktualisiert, so ein Sprecher. Die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen wurden vor dem Hintergrund zu erwartender Eskalationen der Auseinandersetzungen ständig überprüft, teilte die Polizei mit.
Offen für alle Bürgerinnen und Bürger
Das Haus soll künftig für alle Bürgerinnen und Bürger offen sein. "Wir fragen keinen nach seinem Glauben. Je mehr Leute regelmäßig mit uns gemeinsam Dinge gestalten, desto größer ist auch die Sicherheit der Gemeinde. Die Leute sollen das Gefühl haben, die Synagoge gehört zu uns." Künftig sollen in der Synagoge neben den Gottesdiensten auch Konzerte, Theateraufführungen, Fortbildungen oder Gesprächskreise stattfinden.