Eiderstedts Oberdeichgraf Jan Rabeler: "Wir dürfen so nicht weitermachen"
Jan Rabeler ist seit 2007 Oberdeichgraf von Eiderstedt. Es ist seine Aufgabe, die Deiche von Eiderstedt zu überwachen und das Gebiet vor einer Überflutung zu schützen.
Den 5. Dezember 2013 kann Jan Rabeler nicht vergessen. Sturm Xaver tobt über die Westküste. Die Seebrücken in St. Peter-Ording (Kreis Nordfriesland) werden überspült. "Um 16 Uhr kam die Alarmierung", erinnert sich der Oberdeichgraf von Eiderstedt. Rabeler, der hauptberuflich Landwirt ist, muss ins Lagezentrum nach Garding. Dort kommt der Katastrophenstab zusammen. Weitere Stäbe sitzen in Husum, Niebüll, Föhr, Sylt und Amrum.
Weil der Sturm nicht nachlässt, alarmiert Jan Rabeler am späten Abend auch die Deichgänger. 30 Männer und Frauen stehen dafür bereit. "Jeder Deichgänger bekommt einen Feuerwehrmann als Funker an seine Seite. Gemeinsam prüfen sie jeden Deichabschnitt von zwei Kilometern Länge. Mit Taschenlampe." 200 Ehrenamtliche kümmern sich, um Eiderstedt gegen die Wassermassen zu sichern. Jan Rabeler ist als Landwirt gut vernetzt. "Ich kann dann sehr gut reagieren." Um 2 Uhr nachts kommt die Entwarnung - die Deiche haben gehalten, der Sturm wird schwächer, der Alarm wird aufgehoben.
Alte Schöpfwerke sind den Regenmassen nicht mehr gewachsen
"Stürme wie Xaver, oder die letzte schwerste Sturmflut vom 20 Januar bis 22 Januar, 1976, die über drei Tage dauern, sind die Ausnahme", sagt Rabeler. Es war die letzte Alarmierung, die er bisher erlebt hat. Zwar würde die Anzahl der Stürme zu nehmen, sie dauern aber in der Regel nicht mehrere Tage und richten an seinen Deichen keine Schäden an. Was ihn mehr umtreibt, sind andere Folgen des Klimawandels: Starkregen und der Anstieg der Nordsee. Insbesondere die massive Zunahme der Regenfälle werde das Land verändern, sagt er.
So sind die Schöpfwerke und deren Zuläufe (Kanäle) aus den 1960er Jahren auf diese Wassermengen im Hinterland gar nicht ausgelegt. Das konnte er sehr eindrücklich im vergangenen Winter an den Entwässerungssystemen, wie auch am Schöpfwerk Adolfskoog sehen, erzählt er. "Die Pumpen schaffen zehn Liter Regenwasser pro Quadratmeter pro Tag. Im Winter hatten wir aber das Doppelte. Die Pumpen liefen auf Hochtouren und haben es nicht geschafft, die Flächen und Ortschaften trocken zu halten und das Wasser in die Nordsee zu pumpen." Die Folge: Das Wasser staute sich vor dem Schöpfwerk. Der Wassergraben davor drohte über zu laufen. "Die obere Böschung links und rechts des Grabens ragte eben noch aus dem Wasser heraus."
Als Deichgraf hat Rabeler auch die Rolle des Kommunikators
Rabeler ist nicht nur der Oberhüter der Deiche, er ist auch Kommunikator. Regelmäßig spricht er mit den Politikern in Kiel und lädt sie nach Eiderstedt ein. "Das, was man sieht, kann man viel besser verstehen." Rabeler verweist auf die Niederungenstrategie 2100, die das Umweltministerium und die Verbände angesichts des Klimawandels erarbeitet haben. Die Maßnahmen, die die Strategie vorsieht, sollen die Küsten effektiver vor kommenden Hochwasser schützen. 20 Prozent der Fläche Schleswig-Holsteins liegen unterhalb des Meeresspiegels. Diese Flächen werden zum Teil landwirtschaftlich genutzt, andere stehen unter Naturschutz. Um die Gebiete auch in Zukunft vor Hochwasser schützen zu können, sind Investitionen in Milliardenhöhe notwendig, sagt er.
Vier neue Schöpfwerke für Eiderstedt und höhere Deiche
So sind unter anderem vier neue Schöpfwerke allein auf Eiderstedt notwendig, sagt Rabeler. Eins davon soll das Everschoper Siel nahe der Badestelle von Tetenbüll ersetzen. Noch könne das Wasser durch ein Siel, das ist ein Durchlass, in die Nordsee abfließen. Doch wenn der Meeresspiegel steigt, funktioniere das nicht mehr, so Rabeler. "Große Flächen standen letztes Jahr von Oktober bis März unter Wasser. Die Entwässerung wird zukünftig nur noch über ein neues Pumpwerk funktionieren." 33 Millionen Euro würde es kosten. Nicht weit davon entfernt soll der Deich vom Simonsberger Koog und des Uelvesbüll-Adolfskoog vom Landesbetrieb Küstenschutz verstärkt werden . "Der Deich wird um ca. einen Meter erhöht und bekommt eine breitere Krone. Denn wenn der Klimawandel uns einen noch höheren Meeresanstieg beschert, kann man noch mal 1,50 Meter obendrauf packen."
Breitere Wassergräben als Vorsorge vor Überflutung
Eiderstedt ist von einem Wassergrabensystem durchzogen. Die schmaleren Gräben wachsen allerdings jedes Jahr mit Reet zu. Es muss mit einem Bagger entfernt werden und das über eine Strecke von 900 Kilometern, erzählt Rabeler. Doch die Gräben müssten auch breiter werden, damit sie die zukünftigen Regenmengen besser abtransportieren können. "Mein Credo ist: Wir müssen ein Prozent unserer landwirtschaftlichen Flächen hergeben für Wasser, damit wir die anderen 99 Prozent in den nächsten 100 Jahren noch gut bewirtschaften können."
Dafür muss er mit den Landwirten verhandeln. Aber nicht jeder will an den Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt verkaufen. Da sei viel Überzeugungsarbeit nötig, so Rabeler. "Aber das kriege ich mit meiner Art und Weise, wie ich Gespräche führe, ganz gut zurecht, sodass wir uns da nicht in die Klatten kriegen, wie man hier so sagt." Breitere Gräben gehören für ihn zur Vorsorge dazu. Ein Vorteil: Sie würden dann auch nicht mehr zuwachsen, weil dort zu viel Wasser durchfließen würde. Und es würden sich mehr Vögel und Insekten ansiedeln.
Rabeler spricht die Sprache der Landwirte
Dass Jan Rabeler selbst Landwirt ist, kommt ihm bei den Gesprächen mit den Landbesitzern zugute. Die Deichversammlung hat ihn 2007 zum ehrenamtlichen Oberdeichgraf gewählt. Das sind die Mitglieder vom Deich- und Hauptsielverband Eiderstedt. Er ist einer von ihnen. "Es ist nicht so, dass da jemand aus Kiel kommt, und den Menschen hier Vorschriften macht. Sondern wir machen das alle zusammen, auf Augenhöhe."
Wegen Dauerregen: 75 Prozent der Ernte verloren
Auf Eiderstedt liegt auch sein Hof. Und auch auf seinen Ackerflächen merkt er die Folgen des Klimawandels. "Letztes Jahr hatten wir so viel Niederschlag, dass das Wasser über die Drainagen im Boden nicht schnell genug abfließen konnte." Deshalb zieht er kurz nach der Saat mit dem Traktor Furchen in seine Felder. Aber selbst das hat ihm diesen Sommer nicht geholfen. Sein Weizen ging buchstäblich unter. Rabeler verlor 75 Prozent seiner Ernte. Sollte das die Regel werden, kann er auf seinen Flächen keinen Ackerbau mehr betreiben. Dann bleibt nur noch der Anbau von Gras, das von Rindern und Schafen als Futter genutzt werden kann. Er hofft, dass das letzte Jahr noch nicht zur Regel wird, doch in spätestens 70 Jahren könne es so weit sein.
Klimawandel als Motivation
Doch die Regenmengen zeigen ihm bereits jetzt, der Klimawandel bedroht auch seine Existenz als Landwirt. "Was mich manchmal wahnsinnig macht, dass wir Menschen es nicht schaffen, den Klimawandel einzudämmen." Er wünscht sich mehr Tempo und denkt dabei auch an seine beiden erwachsenen Kinder. "Die wollen ja auch ihr ganzes Leben noch auf der Erde leben und vielleicht auch mal Kinder haben. Aber wenn wir so weitermachen, ist da bald nichts mehr von über." Die Folgen können Angst machen, gibt er zu. "Aber sie sind auch Motivation für mich, um die Gegenmaßnahmen auf Eiderstedt voranzutreiben."