Klimakrise: Wie sicher ist die Küste?

Stand: 16.04.2024 16:00 Uhr

Zwischen einigen Zentimetern und drei Metern wird der Meeresspiegel in den nächsten Jahrzehnten steigen. Eine große Spanne, aber genaue Prognosen sind schwierig. Der Küstenschutz muss sich deshalb auch auf Worst-Case-Szenarien einstellen. Was bedeutet das für die deutsche Küste?

von Nils Naber, Lea Struckmeier und Eike Köhler

Weiße Sandsäcke sind am Deich aufgetürmt, um diesen notdürftig zu sichern. Daneben steht Tobias Goldschmidt, der für den Küstenschutz zuständige Umweltminister in Schleswig-Holstein. Fachleute erklären dem Grünen-Politiker, warum hier bei Arnis an der Ostseeküste im Oktober vergangenen Jahres während einer heftigen Sturmflut der Deich brach. Riesige Wassermassen strömten damals ins Land, drangen in Häuser ein und zerstörten Hab und Gut. Goldschmidt wirkt nachdenklich: "Wir müssen künftig wegbleiben von den Küsten, mit Wohnbebauung und auch mit touristischen Infrastrukturen. Das ist völlig klar." Denn wenn der Meeresspiegel immer weiter steigt, drohen noch größere Gefahren.

Gerade an der Ostsee fühlte man sich offenbar lange gut geschützt gegen das tobende Meer. Mit der Sturmflut im Herbst wurde plötzlich deutlich, dass der bisherige Küstenschutz vielerorts nicht ausreicht, um gegen einen steigenden Meeresspiegel gewappnet zu sein.

Erhalt der Regionaldeiche künftig Landessache?

Einzelne Deiche liegen hier bisher in der Verantwortung von lokalen Verbänden. Nun wird diskutiert, ob das Land Schleswig-Holstein einige dieser sogenannten Regionaldeiche übernimmt und damit künftig auch für deren Erhalt aufkommen wird. "Voraussetzung ist, dass die Menschen vor Ort auch wollen, dass das Land die Deiche übernimmt", sagt Goldschmidt. Das ist nicht immer einfach, denn bislang sind einzelne Deichabschnitte sogar im Privateigentum. Das Land will für die Übernahme der Deiche allerdings nichts zahlen.

Und nicht nur in Arnis, sondern an vielen Orten entlang der Küste wird der Klimawandel Veränderungen gerade beim Küstenschutz erzwingen.

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Spaziergänger laufen auf dem Deich in Norddeich, an den die Wellen schlagen. © picture alliance Foto: Matthias Balk

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Nicht jede Küste wird geschützt

Die Steilküsten an der Ostsee werden, noch stärker als heute schon, der sogenannten Abrasion ausgesetzt sein, bei der sich das Meer nach und nach ins Land frisst. Teile der Steilküste brechen ab, während anderswo neuer Sand an die Küsten gespült wird. Aktuell beträgt der Küstenrückgang der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns im Durchschnitt 30 Zentimeter pro Jahr, doch an manchen Stellen ist er deutlich stärker. Hier geht das Land pro Jahr um rund zwei Meter zurück.

Abrasion an der Ostsee © Screenshot
Stück für Stück drängt die Ostsee die Küste zurück - und bedroht so auch manche Häuser.

Noch spielt der steigende Meeresspiegel bei der Abrasion eine untergeordnete Rolle, doch möglicherweise werden sich diese Prozesse mit einem höheren Wasserstand und intensiveren Sturmfluten mittel- bis langfristig verstärken. Den Rückgang der Steilküsten überall mit Bauwerken aufzuhalten, bringe auf lange Sicht allerdings wenig, meint Lars Tiepolt vom zuständigen Staatlichen Amt für Landwirtschaft und Umwelt in Rostock: "Im Endeffekt ist die Natur der Gewinner."

In Mecklenburg-Vorpommern ist die Gesetzeslage schon heute eindeutig. Die Küste wird nur dort gesichert, wo zusammenhängend bebaute Gebiete liegen. Einzelne Häuser oder Splittersiedlungen können nach Ansicht des Landes nicht geschützt werden. An einigen Stellen der Küste bliebe nur der Rückzug als Option, meint Küstenschützer Tiepolt.

Flensburg steht vor einem Problem

Wie hilflos manche Orte in Sachen Küstenschutz sind, zeigte sich in Flensburg. Hier steht Oberbürgermeister Fabian Geyer (parteilos) am Rand des alten Hafens, wo die Sturmflut große Schäden verursachte. Hoch aufragende Barrieren, wie sie beispielsweise an einigen Stellen entlang der Elbe in Hamburg errichtet wurden, existieren hier nicht.

Geyer will den Bürgerinnen und Bürgern rund um den Hafen für eine Zukunft mit steigendem Meeresspiegel nichts versprechen. Man müsse immer damit rechnen "nicht nur nasse Füße zu bekommen", sagt er. Stattdessen sei in einigen Jahrzehnten mit "akuter Lebensgefahr" und "schwersten Schäden" zu rechnen, wenn bei steigendem Meeresspiegel eine starke Sturmflut auf Flensburg trifft. "Deswegen wird sich die Stadt Flensburg sehr wohl überlegen müssen, wenn das Wasser bis meinetwegen 2,80 oder drei Meter steigen sollte, was wir dann gegebenenfalls überhaupt noch als rettbar ansehen. Das ist hart." Immerhin hat er nun eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die Optionen für einen verbesserten Sturmflutschutz prüfen soll.

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Wie hoch wird der Meeresspiegel steigen?

Wie schnell der Meeresspiegel genau steigt, ist momentan nicht klar vorhersehbar, erklärt Ferdinand Diermanse vom niederländischen Forschungsinstitut Deltares in Delft. Seit Jahrhunderten steige der Meeresspiegel relativ langsam, doch das ändere sich. "Für die kommenden Jahrzehnte bis zum Ende dieses Jahrhunderts erwarten wir einen schnelleren Anstieg des Meeresspiegels. Verursacht wird das durch die globale Erderwärmung und besonders durch das Abschmelzen der Eisschilde in der Antarktis und in Grönland."

Daraus ließen sich verschiedene Szenarien ableiten, sagt Diermanse: Der prognostizierte Anstieg könne gering ausfallen, aber im ungünstigsten Fall auch bis zu drei Meter betragen. "Das ist ein sehr großer Unterschied, wenn es um die Herausforderungen geht, die damit verbunden sind", sagt er. Die Frage sei nicht, ob der Meeresspiegel steigt, sondern nur wie schnell.

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Deicherhöhung wird gigantische Aufgabe

An der deutschen Nordseeküste hat die Anpassung beim Küstenschutz längst begonnen. Nahezu überall soll vorsorglich die Hauptdeichlinie um einen Meter erhöht werden. Eine Herkulesaufgabe: Es müssen nicht nur immense Mengen wertvollen Kleibodens herangeschafft werden, es wird entlang der Deiche auch viel mehr Land benötigt - denn um die Deiche erhöhen zu können, müssen sie in der Regel auch verbreitert werden.

In vielen Fällen kommt es dabei absehbar zu Konflikten um Land und mit dem Naturschutz. Schon heute zeichnet sich ab, dass für die Bauwerke, offenbar besonders in Niedersachsen, viele Ausgleichsflächen benötigt werden, die dem Naturschutz zur Verfügung gestellt werden müssen.

Wilhelm Ulferts © Screenshot
Oberdeichrichter Ulferts braucht riesige Ausgleichsflächen für die nötigen Deicherhöhungen.

Im Alten Land, südlich von Hamburg, geht es dabei unter anderem gerade um den Ausgleich für artenreiche Gräser auf dem Deich. "Wenn wir den Deich neu bauen, zerstören wir diese Grasnarbe. Dafür müssen wir aber ausgleichen, weil wir die alte Grasnarbe zerstört haben", erzählt Oberdeichrichter Wilhelm Ulferts. Er soll nun für eine Deicherhöhung von nur zwei Kilometer Länge anderswo Ausgleichsflächen von rund 15 Hektar Fläche bereitstellen. Nur für die Deichlinie im Landkreis Stade käme so rechnerisch ein riesiger Bedarf zustande, meint Ulfers. "Das sind ungeheuerliche Flächen, die gibt es nirgends" - und die gesamte Hauptdeichlinie in Niedersachsen ist 617 Kilometer lang.

Der niedersächsische Umweltminister Christian Meyer (Grüne) verweist auf das Bundesnaturschutzgesetz, das diese Kompensation einfordere. Am Deich müsse der Deichverband "artenreiches Grünland wiederherstellen". Wenn das am Deich nicht ginge, "muss man eine Kompensation an anderer Stelle machen", so der Minister. Dies umzusetzen hält er für wenig problematisch.

Insgesamt wird die Deicherhöhung entlang der Nordsee eine Mammutaufgabe. Allein für die Deicherhöhung im Landkreis Stade rechnet Oberdeichrichter Ulferts mit Kosten von rund 250 Millionen Euro. Darin sind erneuerte Anlagen in den Deichen, wie beispielsweise Sperrwerke, noch gar nicht eingerechnet. Insgesamt kalkuliert Ulferts mit 150.000 bis 170.000 Lkw-Ladungen Kleiboden und Sand, den er nur in seinem Deichabschnitt benötigen wird.

Entwässerung wird immer schwieriger - und teurer

Doch nicht nur die Verteidigung des Landes gegen das Meer wird zu einer großen Herausforderung. Der steigende Meeresspiegel sorgt schon heute nach und nach für zunehmende Probleme bei der Entwässerung des Landes. Besonders in den tiefliegenden Gebieten in Ostfriesland bei Emden, die aktuell immer weiter absacken, muss das Wasser aus dem Binnenland verstärkt durch Pumpen ins Meer befördert werden. Bisher erfolgte das hauptsächlich durch geöffnete Sieltore bei Ebbe - das Binnenwasser floss einfach in die Nordsee.

Pumpen im Siel und Schöpfwerk Knock © Screenshot
Künftig können manche Gebiete wohl nur noch mit Pumpen wie diesen im Schöpfwerk Knock entwässert werden.

Obersielrichter Reinhard Behrends sieht auf das große Schöpf- und Sielwerk Knock schon bald andere Zeiten zukommen. Eine normale Entwässerung ohne Pumpbetrieb werde schon bald "gar nicht mehr möglich" sein, meint er. "Das heißt in spätestens 30 Jahren werden wir 100 Prozent der Niederschlagsmenge des Binnenwassers hier im Pumpbetrieb herausbefördern müssen." Damit steigen nicht nur die Kosten für die Entwässerung, sondern auch die Abhängigkeit von dieser Technik, die an sehr vielen Stellen entlang der Küste in die Jahre gekommen ist. Diese zu erneuern dürfte mehr als eine Milliarde Euro kosten, schätzt Behrends.

Auf den Meeresspiegelanstieg kann durch Bauwerke und Technik an vielen Stellen reagiert werden. Die Frage wird am Ende in ferner Zukunft sein: Was ist uns als Gesellschaft der Schutz von bestimmten Landstrichen wert?

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