Küstenforscher warnt: Sturmfluten werden in Zukunft heftiger
Die Sturmflut Mitte Oktober hat große Teile der Ostseeküste schwer getroffen. Christian Winter, Professor für Küstengeologie an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, ist sich im Interview mit NDR Schleswig-Holstein sicher: Sturmfluten werden in Zukunft heftiger ausfallen.
Herr Winter, müssen wir uns darauf einstellen, dass Ostsee-Sturmfluten - wie die vor gut einer Woche - jetzt häufiger vorkommen?
Christian Winter: Die Vorhersage von solchen extremen Ereignissen ist immer schwierig. Aber wir müssen uns auf jeden Fall darauf einstellen, dass sie wiederkehren. In welcher Häufigkeit, ist einfach noch nicht so richtig klar. Aber auch wenn sie nicht häufiger kommen, werden die Einflüsse stärker.
Was bedeutet das? Wird die Wucht dieser Sturmfluten größer?
Winter: Genau. Wir alle wissen, und das ist nun wirklich nicht mehr zu bezweifeln, dass der Meeresspiegel steigt. Und selbst wenn sich jetzt das Wind- und das Wellen-Klima nicht signifikant ändert, schlagen Sturmfluten durch den erhöhten Meeresspiegel dann mit einer größeren Wucht auf die Küsten.
Stellt sich natürlich die Frage, ob der Küstenschutz an der Ostsee dem gewachsen ist?
Winter: Man muss sich lokal anschauen, wie ein bestimmtes Extremereignis auf die jeweiligen Küstenabschnitte wirken könnte und muss dann ganz genau bemessen und versuchen zu verstehen, wie man darauf reagiert. Schleswig-Holsteins Umweltminister Goldschmidt hat ja auch gesagt, dass immer mehr Abschnitte gegebenenfalls in Landesverantwortung gehen sollten.
Ich glaube, dass wir beim Küstenschutz generell gut aufgestellt sind. Aber der Mensch muss verstehen, dass die Zeit des vollkommen geschützten Bewohnens der Küste nach meiner Einschätzung vorbei ist. Wir haben lange Zeit die Küstenlinie durch Küstenschutzanlagen festgehalten, aber wenn der Meeresspiegel steigt, dann schreitet die Küste zurück. Das ist ein natürlicher Prozess und den kann man nur bis zu einem bestimmten Punkt aufhalten. Die absolute Sicherheit direkt an der Küstenlinie, die kann es nicht geben.
Immer mehr Häuser und Hotels direkt ans Wasser zu bauen - geht das denn überhaupt noch?
Winter: Wenn man dort baut, muss man sich bewusst sein, dass das eine Gefahrenzone ist. Es gibt ja Beispiele aus Dänemark, wie man sich auf Extremereignisse einstellt: Bauen im ersten Stock und das Erdgeschoss wird freigehalten. Da gibt es schon Möglichkeiten, wie man mittelfristig reagiert. Aber langfristig müssten wir auch darüber reden, welche Küstenabschnitte vielleicht in Zukunft gar nicht mehr zu halten sind. In England nennt man das "Managed Retreat", also das Aufgeben bestimmter Küstenabschnitte. Wir müssen uns entscheiden, ob wir irgendwann von hohen Schutzmauern aufs Meer gucken wollen oder ob man es zulässt, dass sich eine natürliche Küste einstellt. Aber das sind keine Szenarien, die morgen oder nächstes Jahr passieren, sondern das sind Überlegungen, die wir jetzt anstellen müssen, wie wir auf lange Sicht damit umgehen wollen.
An den Stränden der Urlaubsorte wird ja immer wieder Sand aufgespült, um für Touristen attraktiv zu bleiben. Wenn in Zukunft Wellen mit immer größerer Wucht auf die Küste treffen, kommt man dann mit dem Aufspülen irgendwann gar nicht mehr hinterher, was Menge und Kosten angeht?
Winter: Klar, das ist eine finanzielle Frage. Aber ich bin der Meinung, dass man auch durchaus die Touristen damit konfrontieren kann, was an der Küste tatsächlich abläuft, also dass man den Menschen zeigt: Hier ist wirklich diese Zone, wo wir den Meeresspiegelanstieg, wo wir den Klimawandel eins zu eins erleben können.
Das Interview führte NDR Reporter Julian Marxen.