Ausländerbehörde Kiel: Innenausschuss diskutiert Prüfbericht

Stand: 07.02.2023 20:45 Uhr

In einer Untersuchung sind Mängel in der Aktenführung in der Zuwanderungsbehörde in Kiel deutlich geworden. Die Ratsfraktionen fordern Aufklärung, CDU und FDP eine externe Untersuchung.

von Friederike Schneider

Der Innenausschuss der Kieler Ratsversammlung hat sich am Dienstag mit einem Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) über die Zuwanderungsabteilung beschäftigt. Dieser hatte bereits im Vorfeld für Aufsehen gesorgt, denn die Prüferinnen und Prüfer stellten zum Teil gravierende Mängel bei der Aktenführung und Dokumentation fest. Demnach fehlen oft Dokumente oder Belege. Das führe zu Fehlern "in einer Häufigkeit, die aus Sicht des RPA nicht hingenommen werden kann" und zu "rechtlich zweifelhaften Ergebnissen".

Kämpfer: Kein Zusammenhang mit mutmaßlichem Täter von Brokstedt

Der Bericht bekam eine besondere Brisanz, weil er nur wenige Tage vor der tödlichen Messerattacke von Brokstedt (Kreis Steinburg) Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) vorgelegt wurde und nun, knapp zwei Wochen nach der Tat, dem Innenausschuss vorgestellt wurde. Um den Fall und die Akte des mutmaßlichen Täters Ibrahim A. geht es in dem Bericht aber nicht. Die Prüferinnen und Prüfer wählten im September 2021 nach dem Zufallsprinzip 100 Datensätze aus und untersuchten, ob die Akten ordnungsgemäß geführt wurden, Vorgaben eingehalten und die Entscheidungen korrekt und nachvollziehbar getroffen wurden. Einen konkreten Anlass für die Prüfung gab es laut RPA nicht. Oberbürgermeister Kämpfer erklärte, das Amt suche sich eigenständig Themen und zu prüfende Bereiche aus. Er betonte, dass der Prüfbericht nichts mit dem Tatverdächtigen von Brokstedt zu tun habe. Gerade in diesem Fall liege eine sehr gut geführte Akte vor.

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CDU fordert externe Aufklärung

Die Ratsfraktionen sind dennoch bestürzt über die Ergebnisse des Berichts. "Ich bin seit 2008 im Rat und kann mich nicht erinnern, jemals einen in Teilen so vernichtenden Bericht des RPA gelesen zu haben", sagte der Fraktionsvorsitzende der CDU, Rainer Kreutz. Die Mängel seien schwerwiegend. "Sie betreffen nicht nur die Sachbearbeiterebene, sondern sie ziehen sich bis in die Abteilungsleitungen und bis zum Dezernenten", so Kreutz. Die CDU fordert deshalb eine externe Organisationsuntersuchung.

FDP: Kämpfer "muss Laden in den Griff bekommen"

Die Probleme seien schon länger bekannt, meinte FDP-Ratsfraktionsmitglied Dirk Becker. Umso erschreckender sei es, dass die Missstände offenbar immer noch so gravierend seien. Der Prüfbericht sei das richtige Signal zur richtigen Zeit, damit sich etwas ändere. "Kämpfer muss seinen Laden in den Griff bekommen", sagte Becker. Dafür müsse auch die Digitalisierung vorangetrieben werden.

Grüne: Nicht der Anspruch an eine Verwaltung

Auch Grünen-Fraktionsvorstand Arne Stenger sieht in der Digitalisierung einen richtigen Schritt. Außerdem müssten die Fehler aufgeklärt werden. "Es ist gut, dass die Versäumnisse aufgedeckt wurden, ohne dass es vorher einen Skandal gab", sagte er. "Dennoch ist das nicht der Anspruch, den wir an eine Verwaltung haben."

Kämpfer: Nehmen Mängel sehr ernst

Kämpfer sagte, er nehme die festgestellten Mängel sehr ernst. "Es ist gut, dass wir das jetzt wissen." Schon im Laufe der Untersuchungen seien erste Änderungen erfolgt. Außerdem kündigte Kämpfer eine umfassende Dienstanweisung an. Zusätzlich will die Stadt eine eigene Organisationsuntersuchung durchführen und in sechs Monaten sowie zu einem späteren Zeitpunkt erneut die Aktenführung prüfen. Kämpfer sagte jedoch auch, dass in der Zuwanderungsbehörde gute und verantwortungsvolle Arbeit geleistet werde. Besonders die Zuwanderungsabteilung habe es mit immer neuen Gesetzen und Verordnungen zu tun. "Das ist eine extrem komplexe und schnelllebige Materie." Deshalb sei dieser Bereich fehleranfälliger. Dennoch betonte Kämpfer: "Es geht nicht darum, dass falsche Entscheidungen getroffen werden." Das Problem sei, dass die Entscheidungen für Dritte nicht nachvollziehbar seien, wenn die Aktenführung nicht stimme.

Akten häufig nicht nachvollziehbar oder unvollständig

Die Prüferinnen und Prüfer hatten kritisiert, dass Akten häufig nicht vollständig oder nicht nachvollziehbar seien. Von 100 untersuchten Akten waren 51 "nicht oder nicht vollständig nachvollziehbar", 58 waren "nicht vollständig und/oder nicht geordnet". Begründungen für Entscheidungen seien oft mangelhaft oder gar nicht vorhanden. Wenn Aufenthaltstitel erteilt werden, fehlen demnach Vermerke oder Belege, ob erforderliche Voraussetzungen wie ein gesicherter Lebensunterhalt, der Nachweis von Sprachkenntnissen und die erfolgreiche Teilnahme an Integrationskursen erfüllt wurden. Auch die Erhebung von vorgeschriebenen Gebühren erfolge lückenhaft und sei in vielen Fällen nicht nachvollziehbar.

Teilweise fehlen laut Bericht auch wichtige Schriftstücke in den Akten - das liegt laut RPA auch daran, dass die Akten zum Großteil in Papierform geführt werden und Dokumente noch nicht korrekt einsortiert wurden. "Bei einer Besichtigung vor Ort wurde festgestellt, dass sich nicht alle Dokumente in den Akten befanden, sondern Sammlungen von Dokumenten zum Wegsortieren in erheblichen Mengen vor den Akten im Keller lagen", heißt es im Prüfbericht. Da die Akten im Keller lagern, haben die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter außerdem nicht ständig Zugriff und arbeiten stattdessen mit einem digitalen Programm. Dadurch sind einige Angaben nur in dem Programm und nicht in der Papierakte. "Aktenrelevanter E-Mailverkehr" befand sich demnach in einigen Fällen sogar nur auf einem städtischen Server, weder im digitalen Bearbeitungsprogramm noch in der Papierakte. Das führe zu Fehlentscheidungen, weil wichtige Angaben nicht beachtet würden.

Fehlende Fachaufsicht

Das RPA bemängelte darüber hinaus eine fehlende Fachaufsicht. Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter entscheiden in den meisten Fällen selbst, ob sie Vorgesetzte hinzuziehen. Nur bei einer Niederlassungserlaubnis, durch die ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erworben wird, wirkt eine zweite Person mit. In den Abschluss eines Falles werden Vorgesetzte ebenfalls nicht standardmäßig eingebunden. So waren an 78 von 100 Fällen keine Vorgesetzten beteiligt. Auch die in der Zuwanderungsabteilung eingehende Post wird laut dem Prüfbericht nicht von Vorgesetzten gesichtet, sondern direkt durch Mitarbeitende des Service-Points verteilt. Das RPA kommt deshalb zu dem Schluss, dass es möglich sei, "dass eine vorgesetzte Person einen Fall nie gesehen hat, da sie die Eingänge nicht sieht und weder von der Sachbearbeitung an Entscheidungen (mit Ausnahme von Niederlassungserlaubnissen, die aber nicht jede ausländische Person erhält) beteiligt werden muss, noch das Ende des Falls mitbekommt." Gleichzeitig wurden in 77 von 100 Fällen nicht die vorhandenen Prüfschemata angewandt. Das sei angesichts der Komplexität der Fälle und der verschiedenen rechtlichen Vorgaben aber dringend geboten.

Zierau: Externe Untersuchung nicht notwendig

Insgesamt kommt das RPA zu dem Schluss, dass die festgestellten Mängel Raum für Missbrauch lassen. Die Lösung sei nicht unbedingt mehr Personal, denn die Ausländerbehörde sei hier im Vergleich zu anderen Kommunen gut aufgestellt. Stattdessen sollte nach Ansicht des RPA dringend eine externe Organisationsuntersuchung durchgeführt werden. Der zuständige Derzernent Christian Zierau sah das in einer ersten Stellungnahme an das RPA als nicht notwendig an, weil bereits Gespräche stattfinden, um die Arbeitsabläufe und Prozesse zu verbessern. Zierau räumte aber ein, dies sei im weiteren Verlauf möglicherweise neu zu bewerten.

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Nachrichten für Schleswig-Holstein | 07.02.2023 | 19:30 Uhr

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