Antisemitismus: Neuer Leitfaden im Kampf gegen Straftaten
Die Zahl antisemitischer Straftaten in Schleswig-Holstein steigt. Für die bessere Ermittlung haben Behörden nun einen Leitfaden erstellt, der ab sofort gilt. Das Papier soll helfen, Antisemitismus möglichst früh zu erkennen.
"Du ungläubiger Hurensohn!! Das weiße Pulver ist Anthrax und wir wünschen dir viel Spaß damit, du ungläubige Sau!! Bring dich um, du ungläubiges Schwein, alleine dein Nachname verrät, dass du ein Jude bist !!" - Ein Brief, Anfang Oktober 2023, mit weißem Pulver als Inhalt.
Bernd Koop, Leiter der Staatsschutzabteilung im Landeskriminalamt Schleswig-Holstein zitiert aus einer weiteren Strafanzeige, die Ende des Jahres bei der Polizei Schleswig-Holstein eingegangen ist: "Mein Name ist Ahmed und ich trage einen Sprengstoffgürtel. Ich werde in zehn Minuten den Bahnhof in Flensburg im Namen der Hamas in die Luft sprengen. Hoffentlich töte ich viele Juden. Jetzt habt ihr noch neun Minuten."
Herausforderung: Konkreten Antisemitismus identifizieren
Nicht immer wird Antisemitismus so offen geäußert, wie in diesen Fällen. Häufig werde in Andeutungen, Codes und Chiffren kommuniziert, sagt Koop. Das erschwert die Ermittlungen, nicht immer haben alle Ermittler denselben Wissensstand. Das soll sich ändern. Um antisemitische Straftaten besser zu erfassen, haben die Generalstaatsanwaltschaft und das Landeskriminalamt (LKA) Schleswig-Holstein einen Leitfaden entwickelt. Allerdings werden viele Straftaten nicht gemeldet, das Dunkelfeld sei groß. "Wir verbinden mit dem Leitfaden die Hoffnung, dass noch mehr Opfer die Straftaten anzeigen", so Koop.
Antisemitisch werden Taten eingestuft "wenn die Angriffsziele - seien es Personen oder Sachen wie Gebäude, Denkmäler und Friedhöfe - deshalb als Ziel von Straftaten ausgewählt werden, weil sie jüdisch sind", heißt es in dem Leitfaden. Doch "nicht jede Hakenkreuzschmiererei ist eine antisemitische Tat", heißt es in dem Papier. "Sie sollte aber Anlass geben, einen antisemitischen Hintergrund intensiv zu beleuchten."
Straftaten möglichst früh erkennen
Auch gebe es bestimmte Indikatoren, die darauf hindeuten, dass eine antisemitische Straftat passiert. So kann es beispielsweise von Bedeutung sein, wann eine Tat begangen wird, beispielsweise an einem hohen jüdischen Feiertag, sagt die Antisemitismusbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft und Oberstaatsanwältin Silke Füssinger. Zudem sei es wichtig, die Straftaten möglichst früh zu erkennen. Dafür listet der Leitfaden beispielsweise jüdische Feiertage, Gedenktage, Symbole, Abkürzungen, Zahlencodes und Symbole auf.
"Die Bekämpfung jeder Form von Antisemitismus ist dauerhaft ein wichtiges Anliegen unserer Gesellschaft. Wir sehen unsere besondere Verantwortung darin, dem Terror der Hamas eine konsequente Antwort des Rechtsstaates entgegenzusetzen", sagt Schleswig-Holsteins Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU).
Im Bereich Opferschutz listet der Leitfaden Möglichkeiten auf, wie ein sensibler Umgang aussehen kann. So können Geschädigte eine Person ihres Vertrauens mitnehmen, wenn sie Aussagen oder eine Anzeige bei der Polizei machen. Auch soll es möglich sein, die Adresse einer Beratungsstelle anzugeben - anstatt der Privatadresse.
Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen
In Schleswig-Holstein ist die Zahl der religiös motivierten Straftaten im letzten Jahr gestiegen. Während die Landespolizei im Jahr 2021 noch 73 antisemitische Taten registrierte, sind diese nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel sprunghaft gestiegen. Nach Angaben des Innenministeriums gab es binnen weniger Wochen so viele angezeigte Taten wie sonst in einem Jahr. "Wir steuern für 2023 auf einen neuen Peak hin", so Georg Friedrich Güntge, leitender Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft.
Ulrich: Wichtiges Zeichen an jüdische Gemeinde
Der Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus in Schleswig-Holstein, Gerhard Ulrich, bezeichnete den Leitfaden als "Meilenstein". Das Papier bündele nicht nur die unterschiedlichen Kräfte der Ministerien und der Polizei, sondern sei auch ein positives Signal an jüdische Mitbürger, "die tief erschüttert sind angesichts hörbaren Schweigens", so Ullrich.
Auch Bund und Länder sollen enger zusammenarbeiten, sagt Ministerin von der Decken. Schleswig-Holstein will mit einer Initiative im Bundesrat erreichen, dass der Straftatbestand der Volksverhetzung erweitert wird. Anfang Februar will die Landesregierung gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen in der ersten Bundesratssitzung 2024 dafür werben, dass ein öffentliches Leugnen des Existenzrechts Israels unter Strafe gestellt wird.