"Du Jude!" - Schulen in SH thematisieren Antisemitismus
Judenfeindliche Äußerungen im Unterricht geraten für Lehrkräfte in Schleswig-Holstein in den Fokus. Seit der Eskalation des Nahost-Konflikts berichten einige Schulen von Vorfällen - einige Schulen im Land widmen sich dem Thema in besonderem Umfang.
"Du Jude!"- das sei ein geflügeltes Schimpfwort an Schulen, sagt Silas Jahn. Er arbeitet als Religionspädagoge in Kiel. Solche Äußerungen lassen sich nicht auf Migranten oder Muslime zurückführen, vielmehr sei dies ein gesellschaftliches Problem.
Seit vor einem Monat im Nahen Osten ein Krieg ausbrach, nehmen antisemitische Äußerungen und Übergriffe in Schleswig-Holstein zu. So erfasste die unabhängige Dokumentationsstelle für antisemitische Vorfälle in Schleswig-Holstein (Lida) einen Anstieg antisemitischer Straftaten. Seit Anfang Oktober gab es mehr als 45 solcher Straftaten – im gesamten Vorjahr waren es rund 50, wie das Innenministerium mitteilte.
Unter den Schülerinnen und Schülern gebe es viel Unwissenheit und ein mangelndes Problembewusstsein, weniger einen verfestigten Hass auf Jüdinnen und Juden, sagt Silas Jahn. Einige Schulen thematisieren das Thema mit besonderem Fokus. So wird in aktuellen Stunden im Politikunterricht darüber gesprochen - oder am Rande des Religions- oder Geschichtsunterrichts. Für die Lehrkräfte ist das keine leichte Aufgabe, denn Äußerungen, die den Staat Israel in Frage stellen oder antisemitische Kommentare hört man nicht nur auf der Straße - sondern auch in Klassenzimmern des Landes.
Witze über Vergasung oder über Anne Frank
Die Beschimpfung "Du Jude" ist rechtlich keine Beleidigung. Aber: "Was für ein Bild in dem Satz vermittelt wird, finde ich schon krass. Also es nimmt die Opferrolle, die Juden im dritten Reich als Bild, um das als Schimpfwort zum Ausdruck zu bringen." Jahn führt viele Gespräche und versucht, Streit zu schlichten.
Er selbst hörte Schülerinnen und Schüler auf dem Schulhof und im Klassenzimmer "Du Jude" sagen - oder es wurden in seiner Gegenwart Vergasungswitze sowie Witze über Anne Frank gemacht. Ein Problem ist dabei laut Silas Jahn, dass viele solche antisemitischen Äußerungen als Jugendstreich herunterspielen.
Politik und Religion werden stark vermischt
Ein Politiklehrer eines Gymnasiums erzählt: Immer, wenn der Krieg in Nahost bei ihm im Unterricht Thema sei, gebe es eine Äußerung, die den Staat Israel in Frage stellt. Er versucht, so differenziert wie möglich darauf zu antworten und auf die Schülerinnen und Schüler einzugehen - es sei denn, die Äußerung widerspricht der Verfassung. Er beobachtet, dass Antisemitismus bei muslimischen Kindern stark ausgeprägt sein kann. Politik und Religion würden dabei oft stark vermischt. Sorge macht ihm das, weil es manchmal Klassen mit bis zu 75 Prozent muslimischen Schülerinnen und Schülern gibt, die sich womöglich gegenseitig beeinflussen könnten.
Einfluss durch Social Media
Ein anderer Politiklehrer aus Schleswig-Holstein sagt, dass vor allem jüngere Schülerinnen und Schüler anfällig für populistische und radikale Äußerungen seien, weil sie diese nicht reflektieren können. Deswegen sei Medienkompetenz enorm wichtig. Der Einfluss komme maßgeblich durch Social Media. Ziel des Unterrichts über den Konflikt sei dann, möglichst ausgewogen an den Krieg in Nahost heranzutreten.
Verhältnisse im Nahen Osten sollen verpflichtend in den Unterricht
Antisemitismus sei ein Problem, sagt Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Sie will die Bildungspläne überarbeiten und für das Problem sensibilisieren. Die Verhältnisse im Nahen Osten sollen verpflichtend im Unterricht behandelt werden. "Wenn ein Begriff wie Jude oder eben Ausdruck von Judenhass, auch mangelnde Empathie gegenüber Juden, erkennbar werden, dann muss eine Lehrkraft einschreiten und zwar sofort und das Gespräch mit den Eltern suchen", so die Ministerin.
Berufsbildungszentrum Schleswig setzt auf Grundlagenwissen
In einer sogenannten DAZ-Klasse (DAZ = Deutsch als Zweitsprache) des Berufsbildungszentrums Schleswig unterrichten Daniel Strache und Julia Wilckens-Dischereit. Welche Gemeinsamkeiten haben Christentum, Judentum und Islam? Darum geht es bei ihnen momentan im Unterricht. Grundlagenvermittlung, um Antisemitismus vorzubeugen. Alle, die in dieser Klasse lernen, sind nach Deutschland geflüchtet. "Viele Schülerinnen und Schüler sind jung, wissen nicht Bescheid. Da kommen Fragen: Was ist Israel, was ist der Gaza-Streifen? Manchmal müssen wir bei Null anfangen. Das ist schwierig, aber auch eine Chance", meint Strache. Konflikte wegen des Krieges in Nahost gibt es am Berufsbildungszentrums Schleswig kaum, sagen die Lehrkräfte. Das führen sie auf ihre Unterrichtsmethoden zurück, die auf Gemeinsamkeiten setzen und den Menschen in den Vordergrund stellen.