Juden in Schleswig-Holstein werden zunehmend bedroht
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel ist der Alltag jüdischer Menschen im Land schwerer geworden. Viele sorgen sich vor antisemitischen Übergriffen.
Wenn Walter Joshua Pannbacker auf öffentliche Veranstaltungen geht, dann kommt und geht er nur in Begleitung. Zu groß ist seine Sorge, von antisemitischen Übergriffen betroffen zu sein. Dennoch geht er, will sich auch weiter als Antisemitismusbeauftragter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein engagieren. "In dem Moment, wo man öffentlich bekannt ist, ist man ein potentielles Ziel für Angreifer", sagt er.
Einer der letzten, die sich öffentlich äußern
Pannbacker gehört zu den letzten Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, die sich überhaupt noch trauen, sich öffentlich zu äußern. Stattdessen ziehen sich dieser Tage die meisten Jüdinnen und Juden aus der Öffentlichkeit zurück. Sie verbergen die Kippa und vermeiden es, als Juden in Erscheinung zu treten. Dabei ist die Situation für die jüdische Gemeinschaft nicht neu: "Immer, wenn es im Nahen Osten hoch her geht, verschärft sich auch für die jüdische Gemeinschaft in Schleswig-Holstein die Situation”. Doch die aktuelle Situation sei von einer neuen Dimension.
Bildungsministerin schildert eigene Erfahrung
Ein Gefühl, das Bildungsministerin Karin Prien (CDU) zu teilen weiß. In einem Post auf der Plattform X (ehemals Twitter) schreibt sie zu einem Bild, auf dem eine goldene Kette mit Herz und Davidstern zu sehen ist: "Mama, heute trage ich Deinen kleinen Davidstern über meinem Kleid, Du hast ihn jahrzehntelang immer nur verborgen unter Deiner Kleidung getragen. Du hattest Angst, Dich in Deutschland als Jüdin zu bekennen. Ich hielt das für übertrieben und ich habe mich geirrt. Du hattest recht."
Zahl antisemitischer Vorfälle stark gestiegen
Direkt nach dem Hamas-Angriff auf Israel ist in Schleswig-Holstein die Zahl antisemitischer Straftaten gestiegen: Nach Angaben des Innenministeriums gab es seit Anfang Oktober mehr als 45 solcher Straftaten – im gesamten Vorjahr waren es rund 50. Auch die Landesweite Informations- und Dokumentationsstelle Antisemitismus (LIDA-SH) spricht von einer enormen Steigerung gemeldeter Fälle. Das Aufkommen habe sich in den letzten drei Wochen versechsfacht, sagt der Leiter der unabhängigen Meldestelle, Joshua Vogel.
"Sehr dynamische und brandgefährliche Situation"
Zwar herrsche in Schleswig-Holstein im Vergleich zu anderen Bundesländern ein sehr eingeschränktes Demonstrationsgeschehen, weil viele mobilisierende Akteure israelfeindlicher Aktionen eher in großen Städten sitzen. Dennoch: “Wir haben gerade eine sehr dynamische und brandgefährliche Situation, die das Potenzial hat, auch hier in Schleswig-Holstein größere Gewalttaten zu ermöglichen”, sagt Vogel.
Antisemitismus schon seit Jahren ein Problem
Allerdings steht die jüdische Gemeinde im Land nicht erst seit dem Überfall der Hamas im Fokus. Schon seit mehreren Jahren verzeichnet LIDA-SH eine Zunahme antisemitischer Vorfälle. Im aktuellen Jahresbericht spricht sie von insgesamt 79 dokumentierten antisemitischen Vorfällen für das Jahr 2022. Bei 64,3 Prozent handelt es sich um verletzendes Verhalten (51 Fälle), in 16,4 Prozent um Sachbeschädigung (13). In vier Fällen wurden Betroffene angegriffen und drei Mal bedroht.
Auch niedrigschwellige Vorfälle gefährlich
Im Moment handele es sich vornehmlich um niedrigschwellige Vorfälle, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen, sagt Joshua Vogel. Das sind zum Beispiel Schmierereien an der Bushaltestelle, Beleidigungen in der Schule oder der Kneipe, dem Sportverein. Vogel: “Verhältnismäßig niedrigschwellige Vorfälle an nahezu allen Orten in Schleswig-Holstein verweisen sehr stark darauf, dass wir es mit einem total alltäglichen Phänomen zu tun haben." Das sei Teil eines antisemitischen Grundrauschens, das in Schleswig-Holstein vorherrsche. Dies könne wiederum schnell in Gewalttaten umschlagen kann, heißt es im LIDA-Jahresbericht.
"Es ist ein Wechselbad der Gefühle"
Dass jederzeit etwas passieren könne, weiß auch Joshua Pannbacker. Deswegen geht er auch nicht mehr alleine zu öffentlichen Veranstaltungen. So wie auf eine Kundgebung am Mittwochabend in Schleswig, bei der rund einhundert Teilnehmende gekommen sind, um ihre Solidarität mit Israel auszudrücken. Davon erfahre er und die jüdische Gemeinde viel, sagt Pannbacker. Andererseits würden ihn viele Mails mit Bedrohungen oder Beschimpfungen erreichen. Pannbacker: “Es ist ein Wechselbad der Gefühle”.