Der 18-Jährige Abiturient Dalyan Unland steht vor dem Gymnasium in Oesede. © Lena Bathge/NDR Foto: Lena Bathge

Nach Abi mit 0,7: Hate Speech im Netz gegen Dalyan aus Oesede

Stand: 03.07.2024 21:28 Uhr

Hasskommentare und Ausländerfeindlichkeit erlebt der Abiturient Dalyan Unland aus Oesede (Landkreis Osnabrück) gerade im Internet. Und das alles wegen seiner Herkunft. Dagegen will der 18-Jährige sich wehren.

von Lena Bathge

Eigentlich läuft es gerade sehr gut für Dalyan Unland: Er hat sein Abitur in der Tasche, noch dazu mit einem Notenschnitt von 0,7. Als nächstes geht es für ihn auf Europareise und dann als Au Pair nach Frankreich. Der NDR, aber auch andere Medien hatten darüber berichtet. Alles super also, wären da nicht all die Kommentare im Internet.

Hasskommentare aufgrund von Dalyans Herkunft

Ein Hasskommentar zu einem Schüler aus Oesede auf Instagram (bei Faktastisch). © Instagram
Solche und ähnliche Kommentare finden sich unter der Berichterstattung zu Dalyans Abitur.

Denn nach der Berichterstattung über Dalyans Abi-Note gibt es in den sozialen Medien nicht nur Zuspruch und Gratulationen, sondern auch Hasskommentare. Und die richten sich gegen seine Herkunft. Dalyan hat nämlich türkische Wurzeln. Seine Großeltern kamen als Einwanderer nach Deutschland, doch schon seine Mutter ist in Deutschland geboren. Er selbst hat ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Autoren der Kommentare im Internet interessiert das aber nicht. Für sie ist und bleibt Dalyan ein Ausländer.

Kommentare für Dalyan nicht nachvollziehbar

"Im ersten Moment war das total schockierend für mich. Ich war auch ein bisschen sprachlos", erzählt Dalyan, nachdem er die Kommentare im Internet gesehen hat. "Das hat etwas in mir provoziert, würde ich sagen, und mich zum Nachdenken gebracht. In die Richtung, dass ich mich frage, was geht in den Köpfen der Leute vor, dass sie mir das absprechen oder sagen, das gehört nicht zu mir? Was ist der Grund dafür?"

Hate Speech oft politisch motiviert

"Viele Hasskommentare sind politisch motiviert, das belegen Zahlen des Bundeskriminalamtes", erklärt Josephine Ballon. Sie ist Geschäftsführerin von Hate Aid, einer gemeinnützigen Organisation für Menschenrechte im Netz. "Das heißt, da gibt es Personen mit bestimmten Interessen. Die wollen zum Beispiel Stimmung machen gegen Menschen, die vielleicht nicht ursprünglich aus Deutschland kommen."

Das sei sogar eine politische Taktik, die genutzt wird, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Denn besonders Hasskommentare bekommen online sehr viele Reaktionen und Likes, so Ballon. Die Algorithmen der sozialen Netzwerke seien so eingestellt, dass sie diese Kommentare dann erst recht prominent ausspielen. Das könne den Eindruck erwecken, als seien fremdenfeindliche Meinung in der Mehrheit, auch wenn das eigentlich nicht der Fall ist.

Was ist Hate Speech?

Von Hate Speech spricht man bei Aussagen, die Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beinhalten, so definiert es die Organisation Hate Aid. Konkret zum Beispiel dann, wenn Menschen aufgrund bestimmter Merkmale oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität verbal angegriffen werden. Denn dann gehe es nicht darum, die Person als Individuum anzugreifen, so Hate Aid, sondern darum, an ihr ein Exempel zu statuieren und so andere einzuschüchtern. Man könne auch dann schon von Hate Speech sprechen, wenn die getroffenen Aussagen noch keine strafrechtliche Relevanz haben.

Dalyan: Wir pauschalisieren viel zu schnell

Dalyan will sich dagegen wehren und dafür sorgen, dass seine Geschichte nicht instrumentalisiert wird. Er sieht sich selbst nicht etwa als Opfer, sondern will seine aktuelle Lage nutzen, um an seine Mitmenschen zu appellieren. "Es ist ein Wahnsinn, dass man die Information, dass meine Mutter Tochter türkischer Migranten ist, so benutzt. Dass man sich an so einem Detail festhält, zeigt für mich, dass wir schnell pauschalisieren und ein schlechtes Klima in unserer Gesellschaft haben."

So kann man sich gegen Hate Speech wehren

Die Organisation Hate Aid, die sich für Menschenrechte im Netz einsetzt, empfiehlt, Hasskommentare nicht einfach hinzunehmen. Eine solche Art der Kommunikation dürfe nicht zur Normalität werden. Man sollte diese Kommentare bei der Plattform melden, damit sie gelöscht werden. Auch eine Strafanzeige bei der Polizei ist möglich. Dabei ist es wichtig, Beweise zu sammeln, also zum Beispiel Screen Shots der Kommentare anzufertigen.

Einige der Kommentare gegen Dalyan schätzt Josephine Ballon von Hate Aid auch dementsprechend ein: "Bei so einem Kommentar muss man sich fragen, ob der nicht auch strafrechtlich relevant ist. Er ist in jedem Fall beleidigend, wenn nicht schon volksverhetzend." Auch deshalb hat Dalyan sich entschieden den Fall der Polizei zu melden und Strafanzeige zu stellen.

Einsatz gegen Rechtsextremismus

Erneut an die Öffentlichkeit zu gehen, da gehört eine ordentliche Portion Mut dazu, denn damit macht Dalyan sich ganz bewusst noch einmal zur Zielscheibe. Der 18-Jährige hat sich aber schon früher gegen rechtes Gedankengut stark gemacht, unter anderem erst zu Beginn dieses Jahres eine Demo gegen Rechtsextremismus mit organisiert. Auf diesen Hass will Dalyan aufmerksam machen. Sein Ziel sei es, die Menschen zum umdenken zu bewegen und andere nicht so schnell in Schubladen zu stecken: "Ich finde, eine pluralistische, bunte Gesellschaft in Deutschland ist eine echte Bereicherung. Und das heißt, wir dürfen Menschen nicht allein auf ihre Herkunft reduzieren."

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