Hass im Netz: "Es ist wichtig, nicht wegzuschauen"
Wie können wir Hass im Netz begegnen, um zu einer konstruktiveren Diskussionskultur beizutragen? Wo finden Betroffene von digitaler Gewalt Hilfe? Und wann und wie können wir Hassbotschaften zur Anzeige bringen? Eine Expertin klärt auf.
Beleidigungen, Hetze, falsche Behauptungen: Wer sich in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke umschaut, kann schnell das Gefühl bekommen, dass es kaum Postings gibt, unter denen die Stimmung nicht kippt. Statt konstruktiv zu diskutieren, gehen einzelne Userinnen und User andere Menschen an, das eigentliche Thema des Beitrags wird häufig zur Nebensache.
Studie: Hass im Netz schreckt viele ab
Eine neue Studie mit dem Titel "Lauter Hass - leiser Rückzug" vom "Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz" zeigt: Jeder Zweite schränkt seine Internetnutzung wegen Hass im Netz ein. Besonders betroffen seien junge Frauen, die in sozialen Netzwerken sexuelle Übergriffe erführen, heißt es in der Untersuchung. Auch Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund und queere Menschen seien dort vermehrt Gewaltandrohungen und Beleidigungen ausgesetzt.
Laut der Studie wurde jede zweite Person schon online beleidigt. Ein Viertel der Befragten sei mit körperlicher Gewalt und 13 Prozent mit sexualisierter Gewalt konfrontiert worden. Mehr als die Hälfte der Befragten bekennt sich aus Angst im Netz seltener zur eigenen politischen Meinung (57 Prozent), beteiligt sich seltener an Diskussionen (55 Prozent) und formuliert Beiträge bewusst vorsichtiger (53 Prozent).
Hass im Netz: Don't feed the Troll?!
Doch wie begegnen wir der Situation eigentlich am besten, wenn eine Diskussion im Netz mal wieder eskaliert und wir nicht wegschauen wollen? Josephine Ballon von "HateAid" erklärt im N-JOY Interview, dass die Wege, mit digitalen Gewalterfahrungen umzugehen, sehr individuell sein können.
Grundsätzlich sollte man sich nicht als Ziel setzen, diejenigen, die dort Hass und Hetze verbreiten - und das auch offensichtlich strategisch und systematisch tun - umzustimmen. Denn das wird in den wenigsten Fällen gelingen. Josephine Ballon, Geschäftsführerin "HateAid"
Sie möchte das Feld aber nicht den Hatern überlassen - im Gegenteil: Ziehen sich Betroffene und Mitlesende aus dem Netz zurück, ist dies laut Ballon genau das, was Hater mit ihrem strategischen Hass bezwecken.
"Diejenigen, die Hass und Hetze verbreiten, sind in der Tat zahlenmäßig eher wenige, obwohl man den Eindruck hat, dass sie in der Mehrzahl sein könnten", erklärt sie. Ein Effekt, der sich logischerweise verstärkt, wenn ihnen kaum jemand Kontra bietet.
Daher findet Ballon es wichtig, dagegen zu halten - vor allem mit dem Ziel, Mitlesenden zu vermitteln, dass es ein differenziertes Meinungsbild gibt und nicht alles Schwarz und Weiß ist: "Diejenigen, die sich das anschauen, überlegen in Zukunft drei Mal, ob sie sich überhaupt an einer Diskussion in den sozialen Netzwerken beteiligen wollen, und haben zum Beispiel dann auch selber Angst, von Hass und Hetze betroffen zu sein."
"Ein Like oder eine Privatnachricht kann schon helfen"
Aus genau diesem Grund mag sich nicht jeder zutrauen, mit dem eigenen Namen in der Kommentarspalte aufzutauchen und sich dem Hass aktiv entgegen zu stellen. Laut Ballon kann trotzdem jeder diejenigen unterstützen, die den Hatern Kontra geben. So können wir zum Beispiel konstruktive Kommentare liken oder anderen per Privatnachricht zeigen, dass sie mit ihrer Meinung nicht allein sind. Dies sei besser, als gar nichts zu unternehmen: "Betroffene berichten uns immer wieder, dass es schon sehr hilfreich sein kann, wenn sie solche Art von Solidarität erfahren", erklärt Ballon.
In erster Linie ist es wichtig, nicht wegzuschauen, wenn andere Leute angegriffen werden. Es ist wichtig, den Leuten solidarisch beizustehen und ihnen den Zuspruch zu geben, der sie möglicherweise auch ermutigt, sich nicht zurückzuziehen. Josephine Ballon
#ichbinhier: Für eine sachlichere Debattenkultur
Wer nicht einschreiten mag, kann auch Unterstützung anfragen - zum Beispiel in der Facebook-Gruppe #ichbinhier. Die Gruppe wurde 2016 nach dem schwedischen Vorbild #jagärhär gegründet, um sich für eine bessere Diskussionskultur und digitale Zivilcourage einzusetzen. Mittlerweile zählt die Gruppe mehr als 40.000 Mitglieder, die den Hashtag #ichbinhier auf Seiten reichweitenstarker Nachrichtenmedien nutzen, um dem Hass etwas entgegenzusetzen.
Mit der Nutzung des Hashtags wollen wir Menschen ermutigen, sich zu äußern, zeigen, dass wir für eine sachlichere Debattenkultur stehen und bei Beleidigungen, Angriffen, Drohungen etc. nicht klein beigeben oder uns den Mund verbieten lassen. Sarah Gassenmann, Trainerin für digitale Zivilcourage bei "ichbinhier"
Was tun, wenn ich selbst zum Ziel der Hater geworden bin?
Wer in einer Kommentarspalte in den Fokus von Hatern gerät oder sogar Beleidigungen oder Drohungen per Privatnachricht erhält, kann sich der Situation schnell hilflos ausgeliefert fühlen. Auch für diesen Fall appelliert Josephine Ballon von HateAid: "Es ist wichtig, dass Betroffene das nicht so stehen lassen, sondern sich dagegen wehren."
Wer es sich zutraue, könne selbst das Zepter in die Hand nehmen. Wer sich nicht traut, dem Hass aktiv etwas entgegenzusetzen, kann sich alternativ an Hilfsstellen wie "HateAid" wenden. Die Expertinnen und Experten bieten Beratung, wie Betroffene in solchen Situationen reagieren können und prüfen auch, ob man gegen die betreffenden Kommentare oder Nachrichten rechtlich vorgehen kann.
Das Internet ist kein straffreier Raum
Auch wenn es uns manchmal so vorkommen mag, als sei das Internet ein rechtsfreier Raum, findet Ballon es wichtig, dass Recht durchgesetzt wird. Wer auf (potentiell) illegale Inhalte stößt, solle das nicht einfach abtun. Zum einen könne man Kommentare bei den Social-Media-Plattformen melden, damit sie gelöscht und nicht weiterverbreitet werden. Auf der anderen Seite könne man auch Strafanzeige erstatten.
Auch im Internet sind solche Äußerungen in der Regel strafbar. Das scheint leider bei vielen Menschen noch nicht ganz angekommen zu sein. Viele messen mit zweierlei Maß.
Bei strafbaren Aussagen können sich Täter laut Ballon auch nicht auf den Ruf nach Meinungsfreiheit zurückziehen: "Man muss nicht hinnehmen, dass man im Netz diffarmiert und wüst beschimpft oder bedroht wird, nur weil wir Meinungsfreiheit haben. Die Meinungsfreiheit endet dort, wo die Rechte der anderen anfangen."
Hass im Netz: Was ist strafbar, was nicht?
Bleibt die Frage: Ab wann ist ein Kommentar oder eine Nachricht strafbar? Pauschalisieren lässt sich die Antwort nicht, da diese Einschätzung auch vom Kontext abhängig ist. Ballon nennt jedoch folgende Beispiele und Straftatbestände, die wir besonders im Blick haben können:
- Beleidigung - Schimpfwörter und andere Herabwürdigungen ohne sachlichen Bezug zum Thema
- Verleumdung, üble Nachrede - Verbreitung von Lügen über Personen
- Bedrohung - Morddrohungen oder andere Drohungen mit Straftaten
- Verbreitung verfassungsfeindlicher Symbole - zum Beispiel Hakenkreuze
- Billigung, Verharmlosung oder Leugnung des Holocaust
- Volksverhetzung - Inhalte, die sich zum Beispiel gegen bestimmte nationale oder religiöse Gruppen richten
Die Strafumfänge für Hasskommentare und -Nachrichten reichen von Geldstrafen bis hin zu Haftstrafen.
Strafanzeige stellen - aber wie?
"Jeder, der sich durch einen Kommentar persönlich beleidigt fühlt, kann zur Polizei gehen und Strafanzeige erstatten", erklärt die Hamburger Oberstaatsanwältin Nana Frombach. Nicht jede Unhöflichkeit oder Distanzlosigkeit reiche aus, um die Strafbarkeitshürde zu überwinden. Sind Beschimpfungen im Spiel, sieht die Sache anders aus: "Erforderlich ist, dass es eine Ehrverletzung und Herabwürdigung des Adressaten gibt", so Frombach.
Auch wer bedroht wird oder beobachtet, dass andere bedroht werden, kann zur Polizei gehen. Auch hier plädiert Josephine Ballon für ein hartes Vorgehen:
Man sollte auch in solchen Fällen Strafanzeige stellen, wo man denkt, das ist jetzt vielleicht nicht die schlimmste Straftat, die man je gesehen hat, und vielleicht wird sie nicht in einer Gefängnisstrafe enden.
Natürlich darf man Menschen nicht öffentlich einer Straftat bezichtigen, wenn sie keine Straftat begangen haben oder man sich nicht sicher ist. "Aber wenn man einen Kommentar sieht und sich nicht zu 100 Prozent sicher ist, ob das strafbar oder noch nicht strafbar ist, ist es nicht die Aufgabe der Bürger*innen zu entscheiden, ob das verfolgt werden kann", erklärt Ballon.
Sie rät: Screenshots mit zur Polizei nehmen und es zur Anzeige bringen. "Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass es aussortiert wird", so die Juristin.