Hate Speech: Was ist der Unterschied zu einer Beleidigung?
Die Philosophin Inga Bones forscht zu Hate Speech beziehungsweise Hassrede. Im Podcast Tee mit Warum spricht sie darüber, wie sich Hate Speech von der Beleidigung unterscheidet und wie man damit umgehen sollte.
Die Philosophin Inga Bones ist in Folge 6 des Podcasts Tee mit Warum zu Gast. Einen Auszug des Interviews lesen Sie hier. Die ganze Folge finden Sie in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
Was ist gemeint, wenn wir von Hate Speech sprechen?
Inga Bones: Wenn man das grob formulieren möchte, dann ist Hate Speech etwas, das wir mithilfe von sprachlichen und nonverbalen symbolischen Mitteln tun. Was wir damit tun, das ist, zum Hass aufstacheln, zu Gewalt aufrufen - herabwürdigen und Verachtung ausdrücken. Es ist eine bestimmte Form von Sprachhandeln, die sich in vielen Fällen bestimmter Ausdrücke und Symbole bedient, aber das ist nicht immer notwendig der Fall.
Was ist der Unterschied zwischen Hate Speech und einer Beleidigung?
Bones: Es gibt alle möglichen Schimpfwörter, die verwendet werden, um Einzelpersonen zu beleidigen. Aber nicht jede Beleidigung und jedes Schimpfwort ist gleich so problematisch, dass man es als Hate Speech bezeichnen würde. Bei Hate Speech kommt der Aspekt hinzu, dass eine ganze Gruppe von Personen herabgewürdigt wird. Typischerweise aufgrund von bestimmten Merkmalen wie Ethnie, Religion oder sexueller Orientierung. Hetze gegen ganze Gruppen auf der Basis bestimmter Merkmale.
Können wir überhaupt allgemein für alle Perspektiven und Lebensrealitäten bestimmen, wann es sich um Hate Speech handelt?
Bones: Der Begriff Hate Speech ist ein unscharfer Begriff. Es gibt einige paradigmatische Fälle, wo auch sehr unterschiedliche Personen zustimmen würden, dass das Hate Speech ist. Es gibt da einen Aufsatz von Lynne Tirrell, die die sprachliche Kommunikation vor dem Genozid in Ruanda analysiert hat. Da wurde Hass gegen die Tutsi in Radioprogrammen analysiert, indem sie beispielsweise mit Kakerlaken oder mit Schlangen verglichen worden. Das wurde ganz systematisch betrieben. Das ist so ein Fall, wo vermutlich die meisten Menschen zustimmen würden, dass das Hate Speech ist.
Es gibt aber auch viele Fälle, die umstritten sind. Ein umstrittener Fall ist das Misgendering - also das absichtliche Verwenden von falschen oder unerwünschten Pronomen für bestimmte Personen. Also jemand möchte gerne, dass das Pronomen 'Sie' verwendet wird und dann sagt aber jemand absichtlich 'Er'. Da ist die Frage, ob das schon Hate Speech ist, wenn das absichtlich passiert oder nicht. Ich glaube, dass da die Meinungen stark auseinandergehen. Ich würde sagen, das ist respektlos und auch eine Form der Herabwürdigung. Aber ich würde nicht so weit gehen, es als Hassrede zu bezeichnen. Mit dem Begriff der Hassrede sind auch bestimmte Forderungen verknüpft.
Richtet sich Hate Speech nur gegen Minderheiten?
Bones: Ich glaube, dass es Unterschiede in der Schwere von solchen gruppenverachtenden, herabwürdigen Äußerungen gibt. Deswegen sind manche Ausdrücke belasteter als andere. Das hat auch etwas mit der Geschichte zu tun. Das N-Wort ist historisch gesehen unglaublich belastet - und deswegen auch eine schwerwiegende Herabwürdigung. Wenn wir nochmal zum Genozid in Ruanda gehen: Die Bevölkerungsgruppe der Tutsi hatte gesellschaftlich gar nicht so wenig Macht.
Aber es wurde dann systematisch gegen diese Gruppe gehetzt - und es kam zum Völkermord an dieser in vielen Hinsichten nicht benachteiligten Gruppe. Durch die Hetze wurde diese Gruppe erst ausgesondert und zum Ziel von Gewalt. Deswegen würde ich nicht so weit gehen, dass Hate Speech immer nur gegen Gruppen eingesetzt wird, die bereits in einer untergeordneten Position sind. Sie kann auch gezielt eingesetzt werden, um Gruppen, die noch nicht in einer marginalisierten Position sind, zu marginalisieren.
Gibt es eine Pflicht, als Unbeteiligte einzuschreiten?
Bones: Wenn ich als Zuhörerin mitbekomme, wie eine Person ethnisch beleidigt wird, habe ich dann eine Verantwortung einzuschreiten oder darf ich mich auch zurückhalten? Da gibt es bestimmte Ansätze, die davon ausgehen, dass ich in der Pflicht bin, etwas zu sagen. Weil ich, wenn ich nichts sage, gewissermaßen stillschweigend die Autorität des Sprechers akzeptiere und damit die Herabwürdigung indirekt billige.
Wie kann man Hate Speech entgegentreten?
Bones: Man kann versuchen zu widersprechen oder man kann versuchen, positive Erzählungen dagegenzusetzen. Beim Ersten lasse ich mir von den Hassrednern vorgeben, wie ich zu reagieren habe und bin immer in der Verteidigung. Bei der anderen Variante bin ich nicht so sehr in der Defensive, sondern versuche, offensiv positive Aspekte hervorzuheben. Dadurch kann man versuchen, auf eine andere Art Raum einzunehmen.
In der digitalen Welt kommt Hate Speech viel öfter vor als in der analogen. Warum ist das so?
Bones: Ich denke, dass die Anonymität im Netz sicherlich dazu beiträgt, Hemmungen abzubauen. Es erfordert deutlich mehr Mut und vielleicht auch Wut, einer Person eine Beleidigung ins Gesicht zu rufen. Am Bildschirm ist klar, dass man die andere Person nicht sieht, man bekommt die Reaktion nicht richtig mit. Häufig wird man für das, was man da schreibt, auch nicht zur Verantwortung gezogen.
Das Gespräch führten Denise M’Baye und Sebastian Friedrich im neuen Philosophie-Podcast Tee mit Warum. Die ganze Folge finden Sie in der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.