Studie zu Pilotprojekt: Wie wirkt sich die Vier-Tage-Woche aus?
Für fünf Tage bezahlt werden, aber nur vier arbeiten. Ob sich dadurch der Stresslevel senken und die Produktivität steigern lässt, wird gerade in einer Pilotstudie in Deutschland untersucht. 45 Unternehmen machen mit, NDR Info begleitet zwei davon: eine Kita und eine Bäckerei in Niedersachsen.
Als die Personalabteilung der Bäckerei Göing Cherif Dzaka und seinen Kollegen aus der Konditorei eröffnet, dass sie - bei gleichem Gehalt - zukünftig einen Tag weniger die Woche arbeiten sollen, sind die Reaktionen eher verhalten. "Das konnte man sich gar nicht vorstellen“, sagt Dzaka. Die ersten Gedanken seien gewesen: "zu wenig Personal" und "Wie soll man das alles in der Zeit schaffen?"
Bäckerei Göing will als Arbeitgeber attraktiver werden
Damit sie in Zukunft mehr Personal hat, will die Bäckerei Göing als Arbeitgeber attraktiver werden. Zahlreiche Stellen sind unbesetzt, allein in der Konditorei fehlen eine Leitung und zwei Gesellen. Deswegen nimmt der mehr als 100 Jahre alte Familienbetrieb mit den 30 Filialen in Hannover und Umgebung an der deutschen Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche teil.
Konditoren wählen flexibles Modell
Zunächst allerdings nur mit der Konditorei - Bäckerei, Verkauf und Verwaltung sind erst mal ausgeklammert. Und auch für die Konditoren ist nicht jede Arbeitswoche vier Tage lang. Sie haben gemeinsam mit der Personalabteilung entschieden, das flexibel zu handhaben: "Wir haben uns für die Vier-bis-Fünf-Tage-Woche entschieden, weil das am ehesten zu uns passen könnte", erklärt Konditor Dzaka. "Kommt drauf an, was zu tun ist."
Zu tun ist eigentlich immer jede Menge: Tortenböden vorbereiten, Cremes herstellen, Kekse und Kuchen backen - manchmal auch Spezialanfertigungen auf Kundenwunsch. In der großen Produktionshalle im Gewerbegebiet geht es Schlag auf Schlag.
In Bäckereien bislang Sechs-Tage-Woche die Regel
Einen von drei Schichtdiensten musste die Bäckerei trotzdem streichen - zu oft konnte er nicht besetzt werden. Und nun sollen Dzaka und seine Kollegen auch noch einen Tag weniger arbeiten, nur an vier oder fünf Tagen pro Woche. Immer anders, je nach Bedarf - verrechnet wird das bei Göing über ein Jahresstundenkonto. Die Reduktion der Arbeitszeit bei gleichem Gehalt beäugt der pflichtbewusste 24-jährige Konditor noch etwas skeptisch. Denn für Mitarbeiter von Bäckereien ist bislang eine Sechs-Tage-Woche die Regel. Schließlich erwarten die Kunden täglich frische Brötchen und frischen Kuchen. Und auch bei Göing sollen die Filialen weiterhin jeden Tag geöffnet haben.
Begeisterung für Vier-Tage-Woche in Kita Wiesenland
Mehr Begeisterung löst die Vier-Tage-Woche bei den Mitarbeitern der Kita Wiesenland im niedersächsischen Brackel aus. Obwohl die Personalprobleme hier ähnliche sind. Kitas haben für gewöhnlich zwar nur an Werktagen geöffnet, aber auch das können viele häufig nicht mehr gewährleisten: Wird eine Erzieherin krank, gibt es oft keinen Ersatz und ihre Gruppe muss geschlossen werden.
Deswegen will Koryna Flemming, seit 20 Jahren Leiterin der Agilo-Kita Wiesenland, ein bisschen Druck rausnehmen: "Einfach mal einen entspannten Tag mit der Familie zu haben, die Body-Batterie aufladen und nicht die ganze Woche durchziehen und am Wochenende sagen 'Gott sei Dank'", sagt Flemming.
Hoffen auf geringeren Krankenstand
Als sie bei einer Führungstagung des Kita-Trägers Agilo nach ihren Wünschen gefragt wurde, hatte sie gesagt: "Eine Vier-Tage-Woche, das wär' was". Kurz darauf fragte die Geschäftsführerin, ob sie mit ihrem Team an der Pilotstudie teilnehmen wolle. "Wir erhoffen uns auch, dass die Mitarbeiter weniger krank sind", sagt Flemming. "Je schwächer das Immunsystem, desto schneller bricht man zusammen - auch psychisch."
Zurück zur Bäckerei Göing: Wie fand Konditor Dzaka sein erstes langes Wochenende? "Ungewöhnlich. Was man noch so alles machen kann", sagt er lachend. "Zum Beispiel die Wohnung sauber machen." Vorher habe er das am Wochenende gemacht, jetzt einen Tag vorher. Die zusätzliche Zeit habe er anders genutzt: "Da konnte man sich mit Freunden treffen."
Projekt wird wissenschaftlich von Uni Münster begleitet
Aber lässt so ein zusätzlicher freier Tag in der Woche tatsächlich den Stress sinken, sodass weniger Arbeitnehmer krank werden? Und lässt sich die Produktivität steigern und damit in weniger Zeit wirklich genauso viel schaffen? Das soll die Pilotstudie zeigen. Dazu wird das Projekt von der Universität Münster wissenschaftlich begleitet.
Haaranalyse und Fitnesstracker
Die Forschenden besuchen die Betriebe auch vor Ort, berichtet Alix Haltermann aus der Personalabteilung der Bäckerei Göing. Neben Gesprächen mit den Mitarbeitern zur Vier-Tage-Woche seien bei diesen auch Haarproben genommen worden, um den Wert des Stresshormons Cortisol zu messen. Die Messungen vor, während und nach der Studie sollen dann miteinander verglichen werden.
Daten werden auch in der Kita Wiesenland erhoben. Dort wurden auch Fitnesstracker zur Pulsmessung verteilt. Mehrere Teilzeitkräfte haben angesichts der Vier-Tage-Woche vorübergehend ihre Stunden aufgestockt, auch um eine leichtere Arbeitszeitorganisation zu ermöglichen.
Mehr Personal nötig für Vier-Tage-Woche
Langfristig ist aber klar: Wenn die Kita und die Bäckerei die Vier-Tage-Woche beibehalten wollen, dann brauchen sie mehr Personal. Deswegen werben beide offensiv mit dem geschenkten freien Tag. Die Konditorei hat so bereits eine neue Mitarbeiterin gefunden.
Auch bei der Kita Wiesenland wirkt das Lockmittel bereits. Das zeigt ein Bewerbungsgespräch mit Nikolai, der als Erzieher eine begehrte Fachkraft ist. Er studiert gerade parallel noch Sozialpädagogik. "Man findet als Erzieher eigentlich überall was", berichtet er. "Die Vier-Tage Woche für mich ist im Moment klasse. Als Student, der einen Tag die Woche frei braucht, passt es perfekt."
Ob es wirklich perfekt passt, werden sie sehen. Nikolai kommt jetzt erst mal zum Probearbeiten. Klappt das, dann bekommt er einen festen Vertrag. Die Pilotstudie zur Vier-Tage-Woche läuft aber nur ein halbes Jahr, dann müssen die Unternehmen entscheiden, ob sie bei dem Arbeitszeitmodell bleiben wollen.
Ergebnisse der Studie mit Spannung erwartet
Kita-Leiterin Flemming ist selbst gespannt, wie das Fazit ausfallen wird: "Erst mal ein halbes Jahr gucken: Sind die Leute wirklich entspannter, sind die Krankheitstage zurückgegangen, kommen die Leute mit mehr Elan zu Arbeit - bleibt alles abzuwarten." Ihr Stellvertreter Julian Weidner ist vor allem auf die wissenschaftliche Auswertung gespannt - und er ist zuversichtlich: "Damit hat man Handwerkszeug zur Hand, um auch der Politik mal zu zeigen: So kann es gehen, auch in unserer Branche."