Vorreiter: Wedel führt Vier-Tage-Woche ein
Wie schafft es eine Verwaltung für Mitarbeitende und Bewerber attraktiv zu sein und zu bleiben? Die Stadt Wedel (Kreis Pinneberg) geht jetzt neue Wege und bietet als erste Kommune Deutschlands eine Vier-Tage-Woche an.
Er zerbricht sich schon seit Monaten den Kopf darüber, wie die Wedeler Verwaltung junge und qualifizierte Mitarbeitende finden kann. Und er überlegt, wie er und sein Team die, die schon da sind, daran hindern können, die Verwaltung zu verlassen: Jörg Amelung, Fachbereichsleiter Innerer Service und damit auch zuständig für die Personalplanung und -entwicklung. "Man braucht es nicht schön zu reden: Der öffentliche Dienst zahlt nicht so gut, wie die freie Wirtschaft. Wir müssen an anderen Stellen punkten."
Riesiger Personalbedarf im öffentlichen Dienst
Zu viele Mitarbeitende verlassen die Verwaltung oder scheiden aus, weil sie in Rente gehen, beklagt Jörg Amelung und sagt: "Deutschlandweit werden wir in den nächsten acht bis zehn Jahren 1,3 Millionen Beschäftigte im Öffentlichen Dienst verlieren. Das heißt, wir haben einen riesigen Personalbedarf und gleichzeitig gibt es etwa 30 Prozent weniger potentielle Bewerber." In Wedel gab es im vergangenen Jahr 119 Stellenausschreibungen. "Wir mussten Stellen teilweise auch doppelt oder dreifach ausschreiben", berichtet Amelung. "Der Spitzenwert sind sechs Ausschreibungen für eine Planstelle."
Wenn er sich dann auch noch die "Bleibebarometer"-Studie von 2022 anschaue, "könnte ich Angst bekommen": Sie besagt, dass sich 80 Prozent der Beschäftigten im öffentlichen Dienst vorstellen können, den Arbeitgeber zu wechseln. Deswegen müsse die Stadtverwaltung als Arbeitgeberin attraktiver werden. "Wir wollen zeigen, dass wir modern sind und neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen und dass wir hier alles machen, was irgendwie möglich ist, damit wir zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben." Aus Studien wisse er: Das Wichtigste für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Flexibel sein - schon lange das Credo der Stadt Wedel
Wedel setzt seit Jahren auf mehr Flexibilität für die Mitarbeitenden. Die Vier-Tage-Woche ist neben der Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, ein weiterer Schritt, um zu verhindern, dass sich der Fachkräftemangel noch weiter zuspitzt. Jörg Amelung hatte schon vor einem halben Jahr alle Fachbereichsleiterinnen und -leiter im Haus zu der Idee befragt. "Alle waren begeistert", sagt er. Wer von den Beschäftigten das neue Angebot nutzen wird, ist noch völlig offen. Das sei aber kein Problem, so Amelung. Schließlich sei der Wechsel zum neuen Modell freiwillig. Die Idee, die Vier-Tage-Woche in der Kommunalverwaltung möglich zu machen, hat er kurz vor Ostern dem Stadtrat vorgestellt. Es gab keine Einwände.
Bezahlung und Arbeitszeit bleibt gleich
"Schon in zwei bis drei Monaten wollen wir die Vier-Tage-Woche für alle möglich machen, ohne dass sich das Arbeitsentgelt ändert", sagt Jörg Amelung. Die volle wöchentliche Arbeitszeit, egal ob 20, 35 oder 41 Stunden, wird sich auf vier Tage verteilen, da wo es dienstlich möglich und gewollt ist. Britta Wünsch ist Personal-Sachbearbeiterin und hat sich längst entschieden. "Für mich ist das nichts. Ich müsste dann bis zu elf Stunden am Tag arbeiten. Das ist mir zu lang. Und was mache ich dann mit meinen Überstunden?" Ihr Kollege Philipp Körner will das neue Arbeitszeitmodell hingegen unbedingt ausprobieren. Er ist Teamleiter im Einwohnermeldeamt. Er will testen, ob sein Team einen Tag in der Woche auf ihn verzichten kann. Ihm ist die Work-Life-Balance wichtig. Einen weiteren freien Tag pro Woche zu haben, findet er extrem reizvoll.
Laut Jörg Amelung passt die Vier-Tage-Woche zu fast allen Stellen. "Außer natürlich bei den Erzieherinnen an der städtischen KiTa. Das ist klar." Auch müsse in der Verwaltung gewährleistet sein, dass die Bürgerinnen und Bürger das Amt jeden Tag erreichen können. Aber das ließe sich durch eine flexible und faire Dienstplanung leicht regeln. Dann könne die eine Mitarbeiterin beispielsweise jeden Dienstag frei bekommen, ihr Kollege jeden Freitag, oder man wechsle sich ab. Lösungen werden sich finden, da ist sich Jörg Amelung sicher.
Studie aus Großbritannien zeigt Vorteile
Der Personalplaner hat sich bei seinen Überlegungen an der Wirtschaft orientiert. Viele Handwerksbetriebe in Deutschland böten die Vier-Tage-Woche ja bereits an, sagt er. In Großbritannien wurde bereits eine Studie zur Vier-Tage-Wochedurchgeführt. Das Ergebnis: Der Umsatz der teilnehmenden Unternehmen stieg um 1,4 Prozent, die Fluktuation unter den Beschäftigten sank um 57 Prozent.
Offensichtlich ist ein Mehr an Freizeit extrem attraktiv. Während der sechs Monate mit vier Arbeitstagen pro Woche sind sogar die Krankmeldungen um 65 Prozent zurückgegangen. 56 von 61 beteiligten Firmen wollen bei der Vier-Tage-Woche bleiben. Aber auch die Angestellten sind offensichtlich begeistert, denn mit der Vier-Tage-Woche geht es ihnen besser. 39 Prozent gaben an, weniger gestresst zu sein, 71 Prozent haben ein reduziertes Burnout-Empfinden, jeder Zweite erlebte eine Verbesserung seiner Work-Life-Balance. Viele gaben an, mehr Sport zu machen. "Wenn sich diese Effekte auch für die Mitarbeitenden unserer Verwaltung ergäben, wäre das ein großer Erfolg," so Jörg Amelung. Und mehr noch: "Wenn durch die Vier-Tage-Woche die Zahl der Bewerbungen steigen würden, hätten wir unser Ziel erreicht."
Wedel Vorbild für Verwaltungen bundesweit?
Bürgermeister Gernot Kaser (parteilos) ist erleichtert, dass der Rat keine Einwände gegen die Vier-Tage-Woche hatte. Er ist auch ein bisschen stolz auf das neue Arbeitszeitmodell der Stadt. "Es gibt meines Wissens noch keine öffentliche Verwaltung in Deutschland, die die Vier-Tage-Woche schon hat." Und die Hoffnung ist groß, dass die Verwaltung als Arbeitgeberin durch die Vier-Tage-Woche attraktiver wird und sich ab sofort mehr Menschen auf die vielen offenen Stellen bewerben werden.