Europawahl: Kathrin Langensiepen führt Grüne in Niedersachsen an

Stand: 05.06.2024 07:17 Uhr

Aus der hannoverschen Kommunalpolitik ins Europaparlament: Kathrin Langensiepen war 2019 die erste Frau mit sichtbarer Behinderung im EU-Parlament. Jetzt will sie erneut ins EU-Parlament einziehen.

von Christina Harland

Kathrin Langensiepen fällt sofort auf: wilde Locken, lautes Lachen und zwei Arme, die kürzer sind als bei den meisten Menschen. Das liegt an einer Erbkrankheit mit dem Namen TAR-Syndrom. Deshalb fehlen ihr die Speichen an den Unterarmen. Als Kind war sie viel im Krankenhaus. Auch heute noch muss sie mit ihren Kräften haushalten. Aber es geht ihr so gut, dass sie sich politisch einmischen und mitgestalten kann. Und das ist genau ihr Ding.

Grünen Kandidatin setzt sich für Behindertenrechte ein

Fünf Jahre lang saß sie bereits für die Grünen im Europaparlament. Und sie will es wieder wissen. Mit Listenplatz sieben ist ihr der Einzug so gut wie sicher. Inzwischen ist sie eine einflussreiche Stimme, wenn es um die Rechte von Menschen mit Einschränkungen geht. Sie selbst benutzt das Wort nicht gerne, auch nicht den englischen Begriff "Handicap". "Nennen wir doch die Behinderung beim Namen." Sie zeigt sich gerne streitlustig und unbequem - im Parlament genauso wie im direkten Austausch mit den Menschen auf der Straße.

Straßenwahlkampf für Europa in Hannover

In ihrem früheren Kiez Hannover-Linden will das aber nicht recht gelingen. Beim Straßenwahlkampf steuert sie die Chefin eines Döner-Imbisses an und stellt sich vor. Langsam entwickelt sich ein Gespräch. Bei den Menschen, die vorbeigehen, hat sie weniger Erfolg. Kaum jemand will mit ihr über die EU-Wahl reden. Dabei haben hier bei der jüngsten EU-Wahl fast 45 Prozent für die Grünen gestimmt.

Langensiepen: Vom Stadtparlament in die EU

Auf der politischen Bühne hat sie sich ihr Recht zu sprechen genommen. Den Einzug in das hannoversche Stadtparlament, den Anfang ihrer politischen Arbeit, hatte sie dem plötzlichen Wahlerfolg der Grünen zu verdanken - und ihrer eigenen Unerschrockenheit. "Die Grünen haben aufgerufen, wir brauchen Menschen, die in den Stadtrat wollen. Da habe ich die Chance ergriffen und bin eingezogen, 2011." Schließlich kandidierte sie sogar für das Europaparlament: "Ich habe mir gesagt, wer nicht den Mund aufmacht, kriegt auch nichts."

Politische Karriere nach Jahren in Armut

"Ich habe mit meinem Einzug ins Europaparlament die Goldmedaille im Hürdenlauf gewonnen", resümiert Langensiepen ironisch. Ihr Weg war eine steile politische Karriere nach harten Jahren, in denen die behinderte Fremdsprachenkorrespondentin keinen Job fand. Diese Erfahrung, sagt sie, habe ihren Blick für die Probleme von armen Menschen geschärft. "Ich weiß, wie es ist, wenn man in Sozialleistungen steckt. Das sitzt mir in den Klamotten. Das schüttelst du nicht raus." Sie betreibe alles andere als Nischenpolitik, betont Langensiepen. Es ginge um 100 Millionen behinderter Menschen in der EU und um Millionen von Menschen in Armut.

Eine Schüssel mit Suppe wird überreicht. © fotolia.com Foto: highwaystarz
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Energische Debatten im EU-Parlament

In Brüssel mischt Katrin Langensiepen kräftig mit. Sie ist sichtbar. Nicht nur als eine von inzwischen gerade mal sechs Abgeordneten mit Behinderungen. Auch weil sie kein Blatt vor den Mund nimmt. Das Parlament diskutiert mittlerweile selbstverständlich über Rechte von Behinderten, über Armut und Obdachlosigkeit. Langensiepen ist stolz, dass sie dabei Akzente setzen konnte. "Das ganze Thema Obdachlosigkeit haben wir sichtbarer gemacht für die Kommunen, indem wir sagen: Die Mitgliedstaaten müssen Obdachlosigkeit beenden." Das soll nach Beschluss des Parlaments bis 2030 gelingen.

Ziel von einem inklusiven Europa noch weit entfernt

Auch die Anliegen von Behinderten finden zunehmend Gehör im Parlament. Doch noch immer dominiere in der EU der Gedanke, dass Menschen mit Behinderungen "geschützt und abgeschottet werden müssen", schimpft Langensiepen. 15 Jahre nach der Ratifzierung der UN-Behindertenrechtskonvention "sind wir immer noch weit entfernt von einem inklusiven Europa". Sie kämpft, sagt sie, für die, denen niemand zuhört. Dafür hat am Nachmittag im verregneten Hannover selbst in der Innenstadt kaum jemand ein Ohr. Das sind die Niederungen des EU-Wahlkampfs in der Heimat.

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