Die wahre Stimmung bei VW: Zu Gast in der "Tunnel Schänke"
Die Stimmung unter den VW-Mitarbeitenden ist zurzeit mehr als angespannt. Das zeigt sich auch in der Kneipe "Tunnel Schänke" in Wolfsburg, in der viele von ihnen vor ihrer Schicht vorbeischauen.
Um 12 Uhr schließt Bruno Corigliano seine Kneipe immer auf. Schon nach kurzer Zeit kommen die ersten Gäste. Bruno kennt sie fast alle persönlich. "Stefan, wie ist's bei der Arbeit?" fragt der 72-Jährige. Zurück kommt nur ein knappes "Beschissen." Seit 28 Jahren betreibt der gebürtige Italiener die "Tunnel Schänke". Er hat schon viele Krisen bei VW erlebt. Die Schmiergeldaffäre, den Diesel-Abgasskandal und jetzt die Androhung von Massenentlassungen. "Aber dieses Mal haben die Mitarbeiter richtig Angst", sagt er mit ernstem Gesicht und man merkt ihm an, dass auch an ihm die derzeitige Situation nicht spurlos vorbei geht.
Bei VW könnten Tausende Stellen wegfallen
Für die Mitarbeitenden von VW gab es in den vergangenen Wochen und Monaten eigentlich nur Hiobsbotschaften. Von drei Werksschließungen war da plötzlich die Rede. Und bereits im September hat der Vorstand die seit mehr als 30 Jahren geltende Beschäftigungssicherung aufgekündigt. Das heißt: Ab Mitte des kommenden Jahres könnten bei VW Tausende Stellen gestrichen werden. Ein Gefühl von Unsicherheit macht sich breit. Ein Gefühl, das viele VW-Mitarbeitende gar nicht kennen. Denn wer bei VW arbeitet, der hatte eigentlich immer die Gewissheit, einen sicheren Job zu haben und verdiente gut.
4,5 Milliarden Euro an Dividende ausgezahlt
"Letztes Jahr haben die noch 4,5 Milliarden Euro an Dividende an die Aktionäre ausgeschüttet", ruft ein anderer Gast empört, der gerade an der Theke Platz genommen hat. "Jetzt will VW fünf Milliarden sparen! Das passt doch vorne und hinten nicht zusammen!" Konzernchef Oliver Blume will mit den drastischen Spar-Maßnahmen den Abwärtstrend stoppen, denn der Absatz wichtiger VW-Modelle stockt und der erhoffte E-Auto-Boom bleibt auch irgendwie aus. "Daran sind aber nicht wir Mitarbeiter schuld", sagt einer, der ebenfalls seinen Namen nicht nennen will.
Viele arbeiten seit mehr als 30 Jahren bei VW
Die meisten, die an diesem Tag in Brunos "Tunnel Schänke" vorbeischauen, arbeiten seit mehr als 30 Jahren bei dem Autobauer und sind überrascht von dem - wie sie sagen - scharfen Ton, der nun vom Management angeschlagen wird. Auch Kneipenwirt Bruno Corigliano hat dafür kein Verständnis: "VW ist immer wie eine große Familie gewesen", sagt er fast wehmütig. In der Region Braunschweig-Wolfsburg-Salzgitter kenne außerdem jeder jemanden, der bei VW oder bei einem Zulieferer arbeitet. "Alle sind vom Erfolg des großen Arbeitgebers mittel- oder unmittelbar abhängig", sagt er. Allein im Stammwerk Wolfsburg arbeiten 70.000 Menschen.
Ganze Familien arbeiten bei VW
"Ich mache mir vor allem Sorgen um die jüngeren Menschen", sagt ein älterer VW-Mitarbeiter mit grauen Haaren, der nach seiner Schicht noch auf ein Bier vorbeikommt. "Um mich geht es gar nicht mehr", sagt er. "Ich bin durch!" In wenigen Monaten gehe er in Rente. "Aber was ist mit denen, die gerade Familie gegründet haben?", sagt er regelrecht verzweifelt. "Die hängen jetzt richtig in der Luft." Seine Tochter arbeite bei VW in Emden, sein Sohn bei einem Zulieferer von VW. Ihm mache vor allem zu schaffen, dass es von der VW-Führung keine genaueren Informationen gebe.
"Fehler werden oben, nicht unten gemacht"
"Die Fehler machen nicht die kleinen Leute!", pflichtet ihm Kneipenwirt Bruno mit vorwurfsvoller Miene bei. "Die Fehler, die werden oben gemacht." So sei es eine Fehlentscheidung gewesen, nur große E-Autos auf den Markt zu bringen, sagt ein anderer Gast. "Ich kann mir so ein Auto nicht leisten!" Überhaupt das Thema E-Auto. Es ist ein Reizwort in Brunos "Tunnel Schänke". Kaum einer seiner Gäste fährt eines.
E-Auto: Das Thema kommt nicht gut an in der Tunnel Schänke
Doch man gewinnt an diesem Tag auch den Eindruck, dass nicht nur der Preis ein Gegenargument ist. Dem einen oder anderen scheint ein großer, lauter Motor noch immer wichtig zu sein: "Ich fahre einen Audi A8 mit 400 PS", sagt ein Mann mit Mitte 50 stolz, während der Rauch seiner Zigarette in die Luft steigt. Und man kann sich den muskelbepackten Mann mit langem, zotteligen Bart und den martialischen Tattoos auch wirklich nur schwer in einem doch vergleichsweise leisen E-Auto vorstellen.
"Vielleicht kriegt VW noch die Kurve"
Und dennoch: So richtig aufgeben will hier keiner die Hoffnung, dass am Ende doch alles wieder gut wird, so, wie auch schon in den vergangenen 30 Jahren. Am Ende habe VW doch immer wieder die Kurve gekriegt, sagt ein Gast noch beim Rausgehen.