Volkswagen: So lief das damals mit der Vier-Tage-Woche
1993 drohten bei VW schon einmal Massenentlassungen. Die Rettung damals: Die Beschäftigten arbeiteten nur noch vier Tage pro Woche und verzichteten dafür auf Lohn. Ein Modell auch für die aktuelle Krise?
Walter Deterding ist ein Mann mit freundlichem Gesicht, festem Händedruck und klarer Sprache. Jahrzehntelang hat der 62-Jährige für die Interessen der VW-Belegschaft gekämpft. Als Betriebsrat und Gewerkschafter bei der IG Metall. Heute ist er in Altersteilzeit. 1993 war er dabei, als sich die IG Metall mit Volkswagen auf die Vier-Tage-Woche einigte. "Wir wollten Massenentlassungen verhindern", blickt Deterding zurück. "Wir wollten 30.000 Leute in Arbeit halten, das war unser Ziel." Es hat geklappt. Medien sprachen nach der Einigung vom "Wunder von Wolfsburg".
"Waschtage" für die VW-Beschäftigten
Deterding erinnert sich noch genau an die "Unmengen von Kaffee" und den wenigen Schlaf in den entscheidenden Tagen. Die letzte Verhandlungsrunde dauerte 16 Stunden. Dann gab es den Durchbruch. "Das war ein richtiges Ding", sagt der Gewerkschafter heute. Kern des Abschlusses: Ab 1994 galt bei Volkswagen eine Wochenarbeitszeit von nur noch 28,8 Stunden. Bekannt wurde dieses Modell schnell als Vier-Tage-Woche. Die Beschäftigten verzichteten auf bis zu 20 Prozent ihres Lohns und arbeiteten dafür weniger. Volkswagen produzierte weiter an fünf Tagen pro Woche Autos, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen blieben aber einen Tag zu Hause. "Die Kollegen haben das dann Waschtage genannt", schmunzelt Deterding.
Monatslohn bliebt trotz Vier-Tage-Woche gleich
Deterding arbeitete bei Volkswagen Nutzfahrzeuge in Hannover-Stöcken. Dort boomte die Bulli-Produktion trotz Krise, an anderen VW-Standorten herrschte Kurzarbeit. Es mussten also unterschiedliche Lösungen her. So entstanden unter der Überschrift Vier-Tage-Woche insgesamt rund 150 unterschiedliche Dienstplan-Modelle. Volkswagen und die IG Metall einigten sich damals auf ein Kunststück: Das Minus beim Lohn merkten die VW-Beschäftigten anfangs gar nicht. Der Monatslohn blieb nämlich gleich, obwohl die Mitarbeitenden weniger arbeiteten. Wie war das möglich? Es wurde beispielsweise beim Jahresbonus und beim Urlaubsgeld gestrichen, künftige Tarifsteigerungen wurden verrechnet. "Wir wollten, dass die Leute monatlich das gleiche Geld bekommen - auf Jahresbasis haben wir 20 Prozent runtergekürzt", sagt Walter Deterding.
Arbeitszeitmodell galt bis 2006
Der Lohnverzicht schmeckte damals nicht allen VW-Mitarbeitenden, aber die Jobs waren vorerst gerettet. Und aus einem Provisorium wurde mehr: Die Vier-Tage-Woche galt bis 2006. Heute ist die Lage bei Volkswagen zwar nicht vergleichbar, weil die Probleme vielschichtiger sind. Aber es gibt durchaus Parallelen: Auch heute hat Volkswagen zu viel Personal für zu wenig Arbeit. Und auch heute will die Gewerkschaft Massenentlassungen und Werkschließungen unbedingt verhindern. Könnte sich die Geschichte also wiederholen? Gibt es eine Wiederauflage der Vier-Tage-Woche? Oder zumindest von Teilen davon?
Wissenschaftler: "Keine Dauerlösung"
Professor Erk Piening ist Wirtschaftswissenschaftler an der Leibniz-Universität Hannover. Eines seiner Fachgebiete ist die strategische Personalplanung in Unternehmen. Er sieht in der Vier-Tage-Woche "keine Dauerlösung" für Volkswagen. Piening hält einen Personalabbau bei VW für unabdingbar. Denn die Autobranche befinde sich in der Transformation. Mit den Elektro-Autos werden weniger Teile und damit auch weniger Beschäftigte als heute gebraucht, argumentiert Piening. Und doch könnte die Vier-Tage-Woche aus seiner Sicht ein Teil der Lösung sein - als eine Art Brücke. Mit dem Modell könnte VW die Kosten durch den Lohnverzicht schnell drücken, um die Stellen dann "schonend" über die normale Fluktuation, über Frühverrentung oder Abfindungsprogramme abzubauen.
Experte: Vier-Tage-Woche kann Personalsuche schwierig machen
Wirtschaftsexperte Piening hat Sympathien für ein flexibles Vorgehen - ähnlich wie bei der damaligen Vier-Tage-Woche. Ein starres Modell "aus falsch verstandener Solidarität" unternehmensweit auszurollen, mache aber keinen Sinn, so Piening. Grundsätzlich sagt er: Allzu lange sollte ein Unternehmen nicht an geringerer Arbeitszeit festhalten. Denn durch den Lohnverzicht könne die Motivation der bestehenden Mitarbeitenden leiden - und neue könnten abgeschreckt werden. "Wenn man sich vorstellt, dass man 20 Prozent weniger Gehalt bekommt - und das dauerhaft - dann wird VW irgendwann das Problem haben, noch die richtigen Leute zu bekommen", so der Experte.
"Tiefe Gräben überwunden"
Der frühere Betriebsrat Walter Deterding ist überzeugt: Die aktuellen Probleme lassen sich lösen, wenn sich VW und Gewerkschaft an die Vier-Tage-Woche erinnern - oder zumindest an Teile davon. Auch 1993 seien die Gräben, wie heute, sehr tief gewesen, sagt Deterding. "Und trotzdem sind beide Seiten über ihren Schatten gesprungen und haben was richtig Gutes hingekriegt."