Der Staat zahlt: Hohe Mieten in Göttinger Problem-Immobilie
Verfall und Vermüllung, Kriminalität und tatenlose Vermieter: In der Groner Landstraße 9 in Göttingen gibt es viele Probleme. Zugleich zahlen Sozialbehörden teils viel für die hohen Mieten dort.
Schonungslos ist sie, die Anzeige für ein Apartment an der Groner Landstraße 9: Es gebe Probleme mit der Vermüllung des Geländes,dem hohen Leerstand in einigen Gebäudeteilen sowie mit Kriminalität und Vandalismus, schreibt der Inserent. Seine Preisvorstellung: 343 Euro für 17,5 Quadratmeter. Das entspricht fast 20 Euro pro Quadratmeter und ist mehr als doppelt so viel, wie der Göttinger Mietspiegel bei vergleichbaren Wohnungen vorsieht.
Hohe Mieten und prekäre Bedingungen
"Die Kaution wird vom Jobcenter übernommen", heißt es außerdem in der Anzeige. Ein Fingerzeig darauf, an wen sie sich richtet: An Bezieher von Sozialleistungen, die etwa die Hälfte der aktuell rund 300 belegten Wohnungen leben. Denn die Vermieter von Sozialleistungsbeziehern können sich darauf verlassen, dass der Staat die Miete zahlt. Auch, wenn die Mieten weit über dem örtlichen Durchschnitt liegen und die Bedingungen prekär sind, wie sich in der Groner Landstraße 9 zeigt.
Teils 22 Euro pro Quadratmeter
NDR Niedersachsen liegen mehrere Annoncen vor. Die Angebotsmieten klaffen auseinander - was darauf hindeutet, dass nicht alle Vermieter dabei mitmachen: Vergleichsweise moderate 15 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter verlangt ein Inserent, ein anderer besagte knapp 20 Euro. Ein Apartment wird gar für 22 Euro pro Quadratmeter angeboten. Zugleich hat das "Göttinger Tageblatt" mit Hilfe von Zensus-Daten unlängst rekonstruiert, dass Wohnungen in der Groner Landstraße 9 zu den teuersten Wohnungen der Stadt gehören.
Jährlich eine Million Euro
Weitere von NDR Niedersachsen erfragte Zahlen bestätigen den Eindruck: Stadt und Landkreis geben einschließlich Nebenkosten im Rahmen von Bürgergeld, Sozialhilfe und Leistungen für Asylbewerber 1,28 Millionen Euro jährlich für 174 Wohnungen aus. Das läuft bei Sozialleistungsbeziehern auf durchschnittlich gut 613 Euro pro Monat hinaus - für Wohnungen, die nur 17 bis 39 Quadratmeter groß sind.
Mieten in Göttingen hoch - aber nicht so hoch
Der Mieterbund ist alarmiert. "Die 19 bis 20 Euro sind schon sehr viel", sagt Vorstandsmitglied Rolf Becker mit Blick auf die Anzeigen. Dem Göttinger Mietspiegel, der 9,35 Euro für Wohnungen vergleichbarer Größe und Alters ausweist, traut Becker nicht. 13 bis 14 Euro pro Quadratmeter kämen bei ähnlichen Appartements in Göttingen manchmal vor. "Aber nicht diese Preise", sagt Becker.
Steckt dahinter ein Geschäftsmodell?
Beim Mieterbund glauben Becker und sein Kollege Cornelius Blessin, dass hinter den hohen Kaltmieten ein Geschäftsmodell steckt: Kleine Wohnungen würden systematisch aufgekauft, um sie dann an Bezieherinnen und Bezieher von Sozialleistungen zu vermieten. Lukrativ wird das, weil sich die maximal angemessenen Kosten der Unterkunft auf Wohnungen mit mindestens 50 Quadratmeter Fläche beziehen. Bei 511 Euro im Monat liegt diese Angemessenheitsgrenze in Göttingen derzeit - auch wenn eine Wohnung deutlich kleiner ist. "Die Rendite ist so hoch wie sonst nirgends mit Wohnungen", sagt Becker.
Hausverwaltung widerspricht Vorwürfen
Auf die hohen Kaltmieten angesprochen, bestreitet Dominik Fricke, Geschäftsführer der Hausverwaltung Coeles/Reimann, dass sich Wohnungseigentümer an der Groner Landstraße 9 bereichern würden. Die Wohnungen produzierten viel mehr "aufgrund ihres Mietklientels" Kosten in Höhe von 14 Euro pro Quadratmeter, so der Hausverwalter. Es gäbe überdurchschnittliche Ausgaben für Müll, Schädlingsbekämpfung und Vandalismus. Zum Teil sind das allerdings Posten, die in einer Kaltmiete gar nichts zu suchen haben, wie der Mietrechtler Niels Spörkel auf Nachfrage erklärt.
Anwalt widerspricht Verwaltung
Schlussendlich bleibt unklar, wie häufig die Sozialbehörden in der Groner Landstraße 9 sehr hohe Mieten bezahlen. Denn für die Behörden sind Quadratmeterpreise bei der Festsetzung von Sozialleistungen nicht maßgeblich, wie Landkreissprecher Florian Heinz erklärt. "Deshalb kann ich die Zahlen zu den Quadratmeterpreisen nicht bestätigen", sagt er. Ein weiterer Anwalt hat daran große Zweifel: "In allen Sozialleistungsakten sind Kopien der Mietverträge enthalten", meint der Verwaltungsrechtler Sven Adam und vermutet eher Unwille als Unvermögen.
Landkreis: Gesetzesänderung nötig
Doch laut Heinz sind dem Landkreis ohnehin die Hände gebunden: Werde die Angemessenheitsgrenze nicht überschritten, müssten die Wohnungkosten übernommen werden. "Das ist gesetzlich so geregelt, da können wir nichts machen", sagt der Landkreissprecher. "Die aktuelle Marktsituation sorgt dafür, dass auch vermeintlich kleiner Wohnraum für verhältnismäßig hohe Mieten angeboten werden kann", schildert Heinz. "Solange es nicht genug preiswerten Wohnraum gibt, werden diese Häuser weiter funktionieren", meint auch Becker.
Mietminderung als Druckmittel
Rechtsanwalt Adam sieht das anders, obgleich er den Wohnungsmangel nicht bestreitet: Ein Rechtshilfefonds könnte ihm zufolge die Bewohner vor Prozesskostenrisiken schützen. Insbesondere dank des Wohnraumschutzgesetzes könnten sie dann zur Mietminderung greifen. "Der Mieter mindert die Miete und die Nebenkosten um 100 Prozent und zahlt so lange nichts, bis die Aufzüge wieder funktionieren, Reinigungsteams durchgehen, Reparaturen erledigt sind und der Ungezieferbefall weg ist", schlägt Adam vor.
Problem besteht schon länger
Womöglich könnten Stadt und Landkreis so eine Stange Geld sparen: Sowohl Adam als auch Becker gehen davon aus, dass die Angemessenheitsgrenzen in der Groner Landstraße 9 schon länger ausgereizt werden. "Die Auseinandersetzungen um Unterkunftskosten im Landkreis Göttingen gibt es, seitdem es die Hartz 4 Regelungen gibt", sagt Anwalt Adam. Zugleich befürchtet Mieterschützer Becker, dass Vermieter in anderen Städten bei Wohnungen für Sozialleistungsbezieher teils ähnlich verfahren wie in Göttingen.
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