Zensus 2022: In diesen Städten wird die Mietpreisbremse umgangen
Ein Vergleich zeigt, dass die Mieten in Städten wie Hamburg oder Rostock, in denen die Mietpreisbremse gilt, besonders stark gestiegen sind. Woran liegt es, dass das Instrument, das Mieter eigentlich vor zu hohen Preisen schützen soll, gerade in den hochpreisigen Regionen versagt?
Die Rostocker Kinderkrankenschwester Susanne Belontschak verlangt nicht viel. Nur ein paar Quadratmeter mehr für sich, einen kleinen Raum, in den sie sich mal zurückziehen kann. Die 33-Jährige ist alleinerziehend und lebt mit ihren beiden Kindern, acht und 15 Jahre alt, auf gut 50 Quadratmetern in einem Plattenbau im Rostocker Stadtteil Evershagen. Was sie sich wünscht, ist im Moment für sie unerreichbar: eine etwas größere, bezahlbare Wohnung, nicht zu weit weg von ihrem Arbeitsplatz.
Bestands- und Angebotsmieten klaffen oft weit auseinander
So wie Susanne Belontschak geht es gerade vielen Menschen, die umziehen wollen oder müssen: Die neuen Mietpreise liegen fast im ganzen Land deutlich über den alten. Das zeigt ein Vergleich von Daten der Value AG, einem Analyseunternehmen für den Immobilienmarkt, und den Daten aus dem Zensus 2022. Verglichen wurden die Bestandsmieten mit den Angebotsmieten im Mai 2022. Also die Preise, die Mieter mit bereits bestehenden Verträgen zahlten, und die Preise, die auf Immobilienportalen für freie Wohnungen aufgerufen wurden.
Mietpreisbremse - ein zahnloser Tiger?
In Hamburg muss man für eine 60 Quadratmeter-Wohnung, wenn man sie jetzt mietet, knapp 800 Euro zahlen. Wer schon in einer 60 Quadratmeter-Wohnung lebt, zahlt durchschnittlich 550 Euro. Ein Aufpreis von 250 Euro, jeden Monat.
Eigentlich sollen Wohnungssuchende in Städten wie Hamburg oder Rostock, in denen der Mietmarkt besonders aufgeheizt ist, durch die sogenannte Mietpreisbremse geschützt werden. Beim Blick auf die Karte fällt jedoch auf, dass oftmals genau in den Ecken, in denen die Mietpreisbremse seit Jahren gilt, die Angebotsmieten besonders abheben, etwa in Hamburg, Berlin, Frankfurt am Main, Stuttgart oder München. Wie kann das sein? Laut Lukas Siebenkotten, dem Präsidenten des Deutschen Mieterbundes, werden hier gleich zwei Dinge sichtbar: Die enorme Dynamik, die in manchen Regionen herrscht, und die Tatsache, dass die Mietpreisbremse oft nicht zieht - weil sie vielfach umgangen oder schlichtweg nicht eingehalten wird.
Welche Viertel sind in Ihrer Gegend noch bezahlbar?
Mit den Buttons können Sie Städte auswählen und von da aus in die Karten hereinzoomen. So können Sie sehen, wie hoch die Miete in Ihrer Wohngegend ist.
Wohnungsnot erzeugt Druck
"Da, wo alte und neue Preise stark auseinandergehen, ist der Nachfragedruck besonders hoch", so Siebenkotten. "Es ist ganz einfach: Wo mehr Leute eine Wohnung suchen, als Wohnungen zur Verfügung stehen, gehen die Mieten in der Marktwirtschaft nach oben." 800.000 Wohnungen fehlen derzeit nach einer Schätzung des Pestel-Instituts in Deutschland, und der Fehlbestand wird mit jedem weiteren Jahr größer. Hohe Zinsen und Baukosten vereiteln die Pläne der Ampel-Koalition, gegen die Wohnungsnot anzubauen. Eine wirklich heikle Situation in einem Land, in dem über die Hälfte der Bevölkerung (2022 waren es 53,5 Prozent) zur Miete wohnt und das damit Mieterland Nummer eins ist in der EU.
Die Mietpreisbremse soll Mondpreise verhindern - eigentlich
Die Mietpreisbremse, die seit 2015 im deutschen Mietrecht angewendet wird, sollte helfen und krasse Verteuerungen verhindern, durch eine einfache Regel: Bei Neuvermietungen darf die neue Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.
Ob und wo die Bremse gilt, bestimmen die Bundesländer. In Hamburg etwa gilt sie in der gesamten Stadt, in Bremen ebenso - Bremerhaven ausgenommen. In Mecklenburg-Vorpommern gilt sie in Rostock und Greifswald, in Niedersachsen in insgesamt 18 Kommunen: in Braunschweig, Buchholz in der Nordheide, Buxtehude, Göttingen, Hannover, Laatzen, Langenhagen, Lüneburg, Oldenburg, Osnabrück und Wolfsburg sowie auf allen ostfriesischen Inseln. Schleswig-Holstein verzichtet aktuell auf den Einsatz und gehört damit - neben dem Saarland und Sachsen-Anhalt - zu den drei deutschen Bundesländern ganz ohne Mietpreisbremse.
Ausnahmen von der Mietpreisbremse - mitunter ein Problem
Das Problem sind zum einen die Ausnahmen von der Mietpreisbremse. Für sich genommen sind sie sinnvoll, weil sonst Bauvorhaben und aufwendige Investitionen blockiert würden. Teurer als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete dürfen beispielsweise Neubauten sein, modernisierte Wohnungen, Wohnungen, für die zuvor schon ein höherer Preis bezahlt wurde, sowie möblierte Wohnungen, die auf Zeit vermietet werden. Allerdings nutzen einige Eigentümerinnen und Eigentümer nun genau diese Ausnahmen, um an der Mietpreisbremse vorbei Gewinn zu machen. Indem sie beispielsweise ihre Wohnungen mit Möbeln ausstatten und befristet vermieten - für deutlich mehr Geld als per Mietpreisbremse erlaubt wäre. In den vergangenen Jahren ist der Anteil dieser möblierten Wohnungen rasant gestiegen, besonders in großen Städten. Solche Wohnungen passen nun für viele Menschen nicht mehr ins Budget.
Mieterbund-Präsident fordert Kontrollstellen
Doch selbst, wenn eine angebotene Wohnung im Sinne der Mietpreisbremse gar keine Ausnahme bildet, kann sie meist teurer vermietet werden - weil die Wohnungsnot so groß ist, dass die Menschen nehmen, was sie kriegen. "Ich glaube, dass die große Mehrheit der Mieter die Mietpreisbremse gar nicht geltend macht", sagt Lukas Siebenkotten. Und das sei keine Schuldzuweisung, sondern ein verständliches Verhalten. "Wer mit 80 Bewerbern für eine Wohnung angestanden hat und dann tatsächlich ausgewählt wird, ist natürlich heilfroh und will es sich nicht gleich mit dem Vermieter verscherzen, indem er als erstes die Höhe der Miete beanstandet." Das Problem sei vielmehr, dass es keinerlei staatliche Überprüfung der Mietpreisbremse gebe, niemand kontrolliere das Ganze. So hätten Vermieter weitgehend freie Hand: Wo kein Kläger, da kein Richter. "Wir fordern daher die Einrichtung von Kontrollstellen bei den einzelnen Kommunen, in denen die Mietpreisbremse gilt. Es kann nicht sein, dass die Last, sich für angemessene Mietpreise einzusetzen und gegen zu hohe Preise zu wehren, auf den Schultern der Mieterinnen und Mieter liegt", so Siebenkotten.
Stadt Hamburg sieht keinen Kontroll-Bedarf
Mit den Forderungen des Mieterbundes konfrontiert, erklärt sich die die Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen für nicht zuständig. Die Mietpreisbremse sei gesetzlich geregelt, für eine Überprüfung durch die Behörde gebe es keine Grundlage. Betroffene Bürger hätten die Möglichkeit, Ihre Rechte vor Gericht einzuklagen. Die Stadt Hamburg biete in diesen Fällen eine kostengünstige Rechtsberatung für Menschen mit geringem Einkommen an. "Insofern sieht die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen derzeit keinen Bedarf, eine Kontrollstelle für die Mietpreisbremse einzurichten", heißt es in der Erklärung.
Grafiken: Alexander C. Mühlhausen und Michael Kreil