Streit um Container für Geflüchtete in Murchin

Stand: 02.01.2024 20:58 Uhr

Die Aufnahmezahlen von schutzsuchenden Menschen sind in Mecklenburg-Vorpommern so hoch wie noch nie. Ihre Unterbringung müssen die Landkreise prüfen und aushandeln - auch mit privaten Anbietern. Dass es viele Gründe gegen solche Unterkünfte geben kann, zeigt ein Fall aus der Nähe von Anklam.

von Carolin Kock

Seit eineinhalb Jahren stehen die drei Wohncontainer von Uwe Kuhnle leer. Auf seinem Grundstück bei Anklam hat er sie aufgestellt, damit darin und auch in den Gebäuden drumherum bis zu 350 Geflüchtete einziehen können. Wenn es nach ihm geht, ist alles Nötige da, um die Menschen gut und sicher unterzubringen: "Wir haben hier eine Unmenge an Hallen, in denen die Leute Fußball und Volleyball spielen können. Wir müssten noch die Räume einrichten, Strom und Heizung anschließen, aber das würden wir in sechs bis acht Wochen hinbekommen. Es liegt nicht an uns."

Landkreis zeigt zunächst Interesse

Das Gelände von Uwe Kuhnle liegt außerhalb der Gemeinde Murchin. Dort verdient er mit Solaranlagen und Recycling sein Geld. Er arbeitet auch mit Firmen im Ausland zusammen, zum Beispiel in der Ukraine. Kurz nach Ausbruch des Krieges bietet er dem Landkreis Vorpommern-Greifswald an, die Container auf seinem Gelände aufzustellen. Das Angebot geht durch verschiedene Abteilungen. Mehrere Mitarbeiter des Kreises besuchen Uwe Kuhnle und zeigen Interesse. Er bekommt einen Mustervertrag und die Mitteilung, dass er für die Container keine Baugenehmigung braucht. Uwe Kuhnle stellt deshalb im Juni 2022 die Container auf, kauft Betten und eine neue Kläranlage - investiert rund zwei Millionen Euro.

Weitere Informationen
Menschen stehen auf der Insel Lampedusa in einer Reihe. © Cecilia Fabiano/LaPresse/AP/dpa

Asylsystem in Deutschland: Fragen und Antworten

Abschiebung, Ausreisepflicht, Dublin-Abkommen - worüber reden die Politiker eigentlich genau? Hintergründe und Erklärungen zu aktuellen Debatten. mehr

Kuhnle bekommt keine offizielle Absage

Warum hier eineinhalb Jahre später noch niemand wohnen kann, weiß Uwe Kuhnle nicht: "Die Kommunikation ist irgendwann eingeschlafen. Man hat uns inoffiziell mal gesagt, dass wir zu weit weg sind, der nächste Supermarkt ist vier Kilometer entfernt in Anklam. Man sagte auch, dass es keine Bushaltestelle gibt. Doch das stimmt nicht, wir haben hier sogar unsere eigene Bushaltestelle." Uwe Kuhnle habe im Juni dieses Jahres zuletzt telefonisch mit dem Landkreis gesprochen. Dabei sei ihm gesagt worden, dass kein Bedarf für seine Container bestehe. Uwe Kuhnle kann das nicht nachvollziehen: "In ganz Deutschland ist Bedarf an Flüchtlingsunterkünften da. Für uns stand nicht im Vordergrund, dass wir Geld mit den Containern verdienen, sonst hätten wir sie schon längst irgendwo anders untergebracht. Aber wir wollten hier vor Ort helfen."

Landkreis beklagt zu hohe Flüchtlingszahlen

Tatsächlich zeichnet auch der Landkreis Vorpommern-Greifswald öffentlich ein anderes Bild: Der "Ostsee-Zeitung" beschrieb Landrat Michael Sack (CDU) noch am 25. November wie schwer es sei, Geflüchtete unterzubringen. Plätze für Neuankömmlinge seien rar, es seien "einfach zu viele". Im NDR Interview wiederholt er das: "Wir sind alle mit der Situation gnadenlos am Ende. Wir haben über 1.000 Wohnungen im Landkreis mit Geflüchteten gefüllt, der Markt ist quasi leer." Bedarf an Wohnraum gebe es also, doch Murchin komme trotzdem nicht als Standort in Frage. Dort gebe es keine genehmigungsfähige Kläranlage, sagt Michael Sack: "Für die Wohnung und die Anschlüsse ist natürlich auch immer der Eigentümer zuständig, nicht der Landkreis. […] Ich bedauere das außerordentlich, das wir das nicht nutzen können, aber da braucht es erstmal die Investitionen, die er vor Ort tun muss."

Weitere Informationen
In den Unterkünften der Erntehelfer in Karls Erlebnisdorf in Rövershagen werden Geflüchtete untergebracht. © NDR Foto: NDR

Eklat im Kreis Rostock: 800 Geflüchtete ab Januar ohne Unterbringung?

Für die Zukunft von drei Flüchtlingsunterkünften im Landkreis ist bisher keine politische Einigung in Sicht. Damit stünden 800 Geflüchtete ohne Unterbringung da. mehr

Unternehmer Kuhnle: Kläranlage ist vorgeschobener Grund

Die Untere Wasserbehörde, also der Landkreis selbst, muss die Kläranlage genehmigen. Uwe Kuhnle habe alle Gutachten und Anträge dafür schon im August 2022 eingereicht und bis heute keine Rückmeldung erhalten. Sein Eindruck ist deshalb ein anderer: "Jetzt wird das als Grund vorgeschoben, warum hier keine Flüchtlinge untergebracht werden, das ist für mich komplett lächerlich und nicht nachvollziehbar." Auf eine erneute Nachfrage, warum die Kläranlage nicht genehmigt wird, erklärt der Landkreis: Es gebe sogar die komfortable Möglichkeit, das Abwasser der möglichen Flüchtlingsunterkunft von Murchin direkt nach Anklam zu leiten, aber: "Da es kein Verfahren zur Errichtung der Flüchtlingsunterkunft gab und gibt, wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass die Bearbeitung des Antrages zur Errichtung einer Kläranlage der Größenklasse 1 vorerst ruht." Das heißt: Da keine Geflüchteten nach Murchin kommen, gibt es auch keinen Bedarf für die Kläranlage.

Anders als noch vor einem Monat heißt es vom Landkreis außerdem, dass zum jetzigen Zeitpunkt eine Unterbringung in Wohncontainern nicht erforderlich sei. Dem Landkreis stünden noch dezentraler Wohnraum und Gemeinschaftsunterkünfte zur Verfügung. Ob nun Bürokratie oder fehlender Bedarf - die Container von Uwe Kuhnle bleiben vorerst leer.

Weitere Informationen
Polizeieinsatz in Schweriner Kirchgemeinde wegen eines eskalierten Abschiebeversuchs. © dpa-Bildfunk Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Kirchenasyl gebrochen: Innenministerium prüft Polizeieinsatz

Bei dem Versuch, eine Abschiebung zweier junger Männer durchzusetzen, kamen auch Spezialkräfte der Polizei zum Einsatz. mehr

Eine Lehrerin, zwei Schülerinnen und ein Schüler der Europaschule Rövershagen präsentieren ein Buch. © Nora Reinhardt Foto: Nora Reinhardt

Kriegsgräber-Schul-AG bringt Buch mit Fluchtgeschichten heraus

Jugendliche der Europaschule in Rövershagen haben neun Biografien ausgearbeitet über Menschen, die zwischen 1938 und heute ihre Heimat verlassen mussten. mehr

Bezahlkarte für Asylbewerber © givve®/obs

Statt Bargeld: Kreis Vorpommern-Rügen plant Bezahlkarte für Asylbewerber

Der Kreis Vorpommern-Rügen wäre der erste Kreis, der in Mecklenburg-Vorpommern das System einführt. mehr

Blick auf den Marktplatz und das Rathaus von Bützow. Mehrere Dutzend Menschen haben sich dort versammelt. © NDR Foto: Bernd Kalauch

Bützow stellt Landkreis keine Fläche für Flüchtlingsunterkunft

Landrat Constien kündigte an, nun die Baupläne für eine Gemeinschaftsunterkunft neben einer Schule weiter zu verfolgen. mehr

Teilnehmer eines Integrationskurses sitzen im Rostocker Waldemarhof an Tischen und unterhalten sich © NDR Screenshot Foto: NDR Screenshot

Rostock international: Migranten und Geflüchtete in der Hansestadt

Einheimische, Migranten und Geflüchtete in Rostock - wie kann das Miteinander gelingen? Unser Thema im neuen Podcast "Dorf Stadt Kreis". mehr

Insgesamt 45 zufällig ausgewählte Bürger aus Greifswald sitzen im Foyer der Erwin-Fischer-Schule vor einer Leinwand, auf der eine Präsentation gezeigt wird. © NDR Foto: Robert Schubert

Bürger in Greifswald entwickeln Strategien zu Integration

Auf Anfrage der Hansestadt haben sich 45 zufällig ausgewählte Einwohner zu einem Forum in der Erwin-Fischer-Schule getroffen. mehr

Sitzung des Landtags in Schwerin. © Jens Büttner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ Foto: Jens Büttner/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Hitzige Debatte um Asylpolitik im Landtag

In seiner Sitzung hat der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern über Flüchtlings- und Asylpolitik diskutiert. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 02.01.2024 | 19:30 Uhr

Mehr Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern

Finanzminister Christian Lindner (M.), Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.) und Bundeskanzler Olaf Scholz auf ihren Plätzen im Bundestag. © dpa bildfunk Foto: Kay Nietfeld

Koalitionsstreit: Parteien in MV fordern Ende der Konflikte im Bund

Vertreter von SPD, Grünen und FDP im Land schließen Neuwahlen auf Bundesebene allerdings nicht mehr aus. mehr

Die Applikation App WhatsApp ist auf dem Display eines Smartphones zu sehen. © picture alliance/dpa Foto: Silas Stein

Im Handy abonnieren: Die NDR MV Nachrichten bei Whatsapp

Im NDR MV Whatsapp-Kanal gibts die wichtigsten Themen für Mecklenburg-Vorpommern kompakt und schnell zusammengefasst. extern