Kriegsgräber-Schul-AG bringt Buch mit Fluchtgeschichten heraus
Gemeinsam haben Schülerinnen und Schüler der Europaschule Rövershagen (Landkreis Rostock) ein Jahr lang an neun Biografien gearbeitet. Es sind Geschichten über Menschen, die zwischen 1938 und heute ihre Heimat verlassen mussten.
Als Khadija gerade sieben Jahre alt ist, bricht der Krieg aus. Bomben fallen auf die Häuser ihrer Heimatstadt Homs in Syrien. Mit elf Jahren flüchtet sie mit ihren Eltern und Geschwistern mit dem Schlauchboot übers Meer, ohne Rettungswesten - und voller Angst. Das ist eine der neun Geschichten, die Schülerinnen und Schüler der Kriegsgräber AG der Europaschule Rövershagen (Landkreis Rostock) erforscht haben. Schülerin Alana Gerlach hat diese Geschichte besonders bewegt. "Das zu realisieren, dass sie mit einem Schlauchboot gekommen sind und auf dem Wasser gelebt haben, um überhaupt wieder an Land zu kommen - das hat sich bei mir eingebrannt“, erzählt die 17-Jährige.
Fluchtgeschichten aus 85 Jahren
Eine andere Biografie ist die der Jüdin Paula Löwenthal, die 1938 vor den Nationalsozialisten nach Shanghai fliehen musste. Oder die von Harald Gallert, der knapp 30 Jahren alt ist, als er einen Weg aus der DDR in die Bundesrepublik findet - trotz Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl. Maryna Menkova wiederum kommt 2022 mit ihrem Sohn nach Deutschland, weil der Krieg in der Ukraine ihre Heimat zerstört.
Ein anderes Gefühl von Geschichte
Die knapp 20 Jugendlichen haben recherchiert, Zeitzeugen interviewt und in Erinnerungsberichten gelesen. Der 15-jährige Franz Spaans schätzt die AG sehr: "Das ist schon ein ganz anderes Gefühl von Geschichte. Man guckt nicht einfach ins Geschichtsbuch, sondern kann wirklich mit den Zeitzeugen reden." Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben die Schüler und Schülerinnen in einem Buch festgehalten und außerdem im Internet veröffentlicht. Jede Geschichte ist einzigartig und doch eint sie die Suche nach einer neuen Heimat. Darum auch der Titel: "Gehen oder Bleiben - Wege in eine neue Heimat".
Thema Flucht ist immer aktuell
Die Idee zu dem Projekt lag für die Geschichtslehrerin Petra Klawitter auf der Hand. Durch frühere Projekte der Kriegsgräber AG gab es bereits Aufzeichnungen von Zeitzeugen-Gesprächen, doch durch die politische Weltlage sei das Thema Flucht wieder in den Fokus gerückt, so Petra Klawitter. So haben sich die Jugendlichen wöchentlich in der AG getroffen.
Einmal im Jahr fährt die AG gemeinsam in sogenannte Workcamps. Dort pflegen sie Kriegsgräber und sprechen mit Zeitzeugen. Viele Jahre ist Petra Klawitter mit ihren Schülerinnen und Schülern nach Israel gefahren, doch nun ist Krieg im Nahen Osten. Die Workcamps fallen dennoch nicht aus. Gemeinsam mit den Jugendlichen möchte die Lehrerin im kommenden Jahr nach Auschwitz fahren.
Eine Bereicherung fürs Leben
Franz Spaans und Alana Gerlach sind sich einig, dass die AG ihren Schulalltag bereichert. Franz Spaans zum Beispiel möchte nach seinem Abitur Geschichte und Politik studieren. Eines seiner Lieblingszitate stammt von Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU): "Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten." Die Kriegsgräber AG wurde in diesem Jahr mit dem "Denk Mal!"-Preis für Kinder und Jugendliche und dem Förderpreis beim Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ausgezeichnet. Gefördert wurde das Projekt durch die Landeszentrale für politische Bildung, den Landkreis Rostock und "Demokratie Leben".