Psychiatrie Rostock: Ärztekammer versus Unimedizin
Auch wenn eigentlich die Sommerpause vor der Tür steht, in Sachen psychiatrische Uniklinik in Rostock-Gehlsdorf wird ein neues Kapitel aufgeschlagen: Ärzte der Universitätsmedizin und die Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern könnten sich möglicherweise vor Gericht treffen.
Anfang Juni hatte die Ärztekammer M-V Anzeige gegen leitende Ärzte der Psychiatrischen Klinik in Gehlsdorf gestellt. Im Kern geht es darum, dass laut Ärztekammer Unterbringungen, Fixierungen und Zwangsmedikationen von Patienten in der Klinik wiederholt nicht laut den gesetzlichen Vorgaben erfolgt seien. Doch die Vorgeschichte ist länger: Im November 2020 hatte die Kammer gemeinsam mit der Stadt Rostock eine unangekündigte Begehung in der Klinik initiiert, die im Nachgang für viel Wirbel sorgte. Die Universitätsmedizin Rostock sieht sich zu Unrecht beschuldigt und tut dies auch deutlich kund. Auch zu der vorliegenden Strafanzeige hat Unimedizin-Vorstand Christian Schmidt auf NDR Nachfrage eine klare Meinung: Die Vorwürfe und damit auch die Anzeige seien haltlos.
Alle Ärzte gesetzeskonform qualifiziert?
Fakt ist, nach wie vor gibt es keine öffentlich bekannte Belege, was genau bei der Kontrolle festgestellt wurde. Nur Stichworte wie Fixierungen, Kamera-Überwachungen und Medikamentengaben werden immer wieder allgemein genannt. In der Strafanzeige, die dem NDR vorliegt, gegen "die verantwortlich handelnden Ärzte" der psychiatrischen Klinik, geht es im Kern darum, dass laut Ärztekammer Unterbringungen, Fixierungen und Zwangsmedikationen von Patientinnen und Patienten in der Klinik wiederholt nicht laut den strikten Vorgaben des Psychisch-Kranken-Gesetzes M-V (PsychKG) erfolgt seien. Dabei argumentiert die Kammer damit, dass die "erforderliche berufsfachliche Qualifikation der handelnden Ärzte… , die entsprechende grundrechtsverletzende Maßnahmen veranlassen" essentiell sei. An eben dieser Qualifikation bestünden Zweifel.
Fixierung und Überwachung im Fokus
Zudem ist die Überwachung bei sogenannten 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierungen ein großes Thema der Anzeige: Die Ärztekammer will gerichtlich prüfen lassen, ob in der Rostocker Klinik die notwendige Eins-zu-Eins-Betreuung immer gesetzeskonform läuft. Laut dem Ärztlichen Vorstand der Unimedizin Schmidt müssten vor einer Fixierung alle anderen Maßnahmen der Deeskalation ausgeschöpft sein. Die richterliche Genehmigung für eine Fixierung werde umgehend eingeholt, doch wenn Gefahr in Verzug sei, stehe die medizinische Behandlung im Vordergrund. Im Zuge dessen kommen in der Strafanzeige der Kammer auch die Aufgaben des Rostocker Amtsgerichts zur Sprache: So seien dort im Jahr 2020 insgesamt 283 Anträge auf Unterbringung gestellt worden, in 144 Fällen hätten die Richter den Anträgen entsprochen. Auf NDR Nachfrage bestätigt ein Sprecher des Amtsgerichts diese Zahlen, alle seien in der Dienstzeit von 6 bis 21 Uhr beschieden worden. Weiter müsse sich das Gericht darauf verlassen können, dass die Ärztinnen und Ärzte der Klinik, die die Anträge stellen und Maßnahmen anordnen, qualifiziert dafür seien.
Beschwerden von Patienten und Angehörigen
Auf die Frage, warum die Kammer jetzt die Strafzeige gestellt gestellt hat, sagt eine Sprecherin der Ärztekammer, Grundlage seien Beschwerden, zu denen nach der ungekündigten Begehung der Psychiatrie im November 2020 weitere dreizehn Beschwerden hinzugekommen seien. Beschwerden gäbe es von Patienten, Angehörigen, ehemaligen Mitarbeitenden und weiteren Kennern der Klinik. Die Sprecherin betont: Die Verdachtsmomente hätten sich erhärtet, in denen in der Klinik "systematisch gegen das PsychKG" verstoßen werde. Deshalb wolle der Vorstand nun Aufklärung von strafrechtlicher Seite.
Von Seiten der Hansestadt sollte eigentlich längst eine extra Kommission zur Aufklärung der November-Begehung einberufen worden sein. Auf NDR Nachfrage, ob diese Kommission mittlerweile einberufen sei, gibt es bis dato keine Antwort. Die Ärztekammer ihrerseits hofft, dass diese Kommission möglichst schnell mit ihrer Arbeit beginne.
Uniklinik hält Vorwürfe für haltlos
Der Ärztliche Vorstand der Unimedizin Schmidt nennt die Vorwürfe haltlos, sie seien unfair und belastend für alle Ärzte und Pflegekräfte der Klinik. Der Vorstand der Unimedizin prüfe aktuell, "ob gegen die Strafanzeige juristisch vorgegangen wird". Eine Reaktion darauf gibt es auf Nachfrage auch vom Aufsichtsratsvorsitzenden der Uniklinik Rostock, Mathias Brodkorb. Er habe "nach Angaben der Stadt bisher keinen Anhaltspunkt dafür, dass die jüngst erhobenen Vorwürfe zutreffend" seien. Er gehe davon aus, dass in einem Verfahren die Unterstellungen nicht bestätigt würden und wünscht sich dann eine öffentliche Entschuldigung der Kammer bei den von der Anzeige Betroffenen.
Kommt ein Verfahren?
Nun muss die Rostocker Staatsanwaltschaft Klarheit schaffen, ob überhaupt gegen die Ärzte ermittelt wird oder ob das Verfahren eingestellt wird. Die inhaltliche Bewertung der Strafanzeige stehe noch aus, betont der Sprecher der Staatanwaltschaft, Harald Nowack. Momentan läge die Anzeige zur Prüfung vor, allerdings seien davor noch etliche andere Verfahren auf dem Tisch.
Unangekündigter Besuch weiter in der Diskussion
Landtagsabgeordnete hatten im zuständigen Wirtschaftsausschuss das Thema der Begehung in der Klinik vom November 2020 mehrfach auf der Tagesordnung. Im Ausschuss haben zuletzt Anfang Juni Ärztekammer-Präsident, Andreas Crusius, Klinikdirektor Johannes Thome, Rostocks Sozialsenator Steffen Bockhahn (Die Linke) und Universitätsvorstand Schmidt nicht-öffentlich jeweils ihre Sicht der Dinge dargelegt. Die Arbeit des Ausschusses endet mit dieser Legislaturperiode. Ob sich Mitglieder des im September neu zu wählenden Landtags mit der Causa Begehung Gehlsdorfer Psychiatrie weiter beschäftigen werden, ist unklar.
Landesdatenschützer prüft noch
Als oberste Fachaufsichtsbehörde hatte das Gesundheitsministerium die "unangemeldete fachaufsichtliche Begehung aus verschiedenen Gründen beanstandet", bestätigte ein Sprecher im März. Der Landesdatenschützer hat sich noch nicht abschließend geäußert. Die Universitätsmedizin Rostock hatte die Begehung bei Datenschützer angezeigt, um prüfen zu lassen, ob bei der Kontrolle etwas rechtswidrig war beziehungsweise wie Hansestadt und Ärztekammer vor Ort in der Klinik welche Informationen und Daten erhoben haben. In einem Zwischenbericht der Behörde im April hieß es laut Informationen von NDR 1 Radio MV, dass die Begehung an sich durch die Stadt rechtens gewesen sei.