Politisch verfolgt in der DDR: "Hier ist niemand für mich da"

Stand: 09.11.2024 15:12 Uhr

Wie war es, in einem System zu leben, das jeden Schritt kontrollieren konnte? Was bedeutete es, wenn Angst ein ständiger Begleiter war? Ehemalige politische Häftlinge berichten darüber beim 20. Bützower Häftlingstreffen.

von Celine Schmock

Kurz vor dem Mauerfall plant May-Britt Krüger aus Rostock ihre Flucht aus der DDR. Der Versuch scheitert. Sie wird verraten und von der Staatssicherheit (Stasi) auf dem Weg nach Ungarn angehalten. Mit 22 Jahren kommt sie in die Untersuchungshaft der Stasi in Rostock.

"In diesem Moment wusste ich ganz klar: Hier ist niemand für mich da. Ich muss es alleine regeln." May-Britt Krüger, Verfolgte des SED-Regimes

May-Britt Krüger (r.) berichtet im Gespräch über ihre Erlebnisse in der Stasi-Haft. © NDR Screenshot Foto: NDR Screenshot
May-Britt Krüger (r.) berichtet im Gespräch über ihre Erlebnisse in der Stasi-Haft.

"Ich habe immer gedacht, ich kann gar keine Tränen mehr haben. Aber irgendwann fängt man an, für sich innerlich zu kämpfen oder versucht, ein Stückchen Stärke zu zeigen", fügt sie hinzu. Sie erzählt von den Folgen der Haft, unter anderem Haarausfall, das Ausbleiben ihrer Periode, und von dem Wunsch, den Himmel wieder ohne Stacheldraht zu sehen. May-Britt Krüger fand während ihrer Haftzeit Halt in der Verbundenheit mit ihrer Familie. "In den Briefen, die ich von meiner Mutter bekommen habe, war immer das Gefühl: Wir sind eins. Und das, was die Stasi erreichen wollte, so einen Bruch in die Familie reinzubringen, das haben sie nicht erreicht - im Gegenteil. Also wir sind in der Zeit sehr, sehr eng zusammengewachsen und das hat viel Halt gegeben."

Was bedeutet politische Haft?

Bis heute ist unklar, wie viele Menschen in der DDR genau aus politischen Gründen inhaftiert wurden. Schätzungen des Deutschen Bundestages gehen von bis zu 350.000 Betroffenen aus. Einer der häufigsten Gründe war dabei der "ungesetzliche Grenzübertritt". In den DDR-Haftanstalten saßen aber offiziell keine politischen, sondern nur kriminelle Gefangene ein. Und nicht alle der Inhaftierten sahen sich selbst als "Oppositionelle". Das galt zum Beispiel für die "Zeugen Jehovas", die häufig wegen Totalverweigerung des Wehrdienstes verurteilt wurden – aber auch für viele Menschen, die ausreisen wollten.

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DDR-Strafvollzug: Strenge Kontrolle und Willkür

Der Strafvollzug in der DDR war geprägt von strenger Kontrolle und oft willkürlichen Entscheidungen. Politische Haft wurde von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bewusst als Herrschaftsinstrument eingesetzt, um Oppositionelle und Andersdenkende zu unterdrücken. Viele der Zeitzeugen, auch beim Bützower Häftlingstreffen, haben ihre Erfahrungen bis heute nicht komplett verarbeitet. Das belegt auch die Wissenschaft: Die Erfahrungen in der politischen Haft hatten auch langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen, einschließlich psychischer Störungen wie posttraumatischer Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzuständen. Der Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt hat das in Auftrag gegeben.

Mit Flugblättern für die Freiheit protestiert - Dann kam die Stasi

Auch Uwe Kaspereit wollte die DDR verlassen und stellte 1983 einen Ausreiseantrag: "Ich wollte diesen Streit für mein Recht, was mir zusteht." Nachdem sein Antrag abgelehnt wurde, entschied er sich, seinen Protest öffentlich zu machen - durch Flugblätter. Die Staatssicherheit wurde auf ihn aufmerksam. Er landete zunächst in Untersuchungshaft und schließlich in Haft in Chemnitz. Jahre später kehrte er in seine ehemalige Zelle zurück.

"Ich bin dann reingegangen in dieses Hafthaus, hab meine Zelle sofort wiedergefunden, in der ich hauptsächlich war, hab mich dann aufs Bett gesetzt und war den ganzen Nachmittag da. Und habe gesehen, dass die Tür offen ist und dass ich wieder rausgehen kann. Ich wusste in dem Moment, die haben jetzt keine Macht mehr über dich." Uwe Kaspereit, Verfolgter des SED-Regimes

 

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Schüler: "Freiheit ist nicht selbstverständlich"

Das mittlerweile 20. Bützower Häftlingstreffen sollte ehemaligen politischen Gefangenen die Möglichkeit geben, ihre Erfahrungen zu teilen. Schüler vom Gymnasium in Sternberg haben gemeinsam mit Uwe Kaspereit und weiteren Zeitzeugen ein Projekt für das Treffen geplant. Die Schülerin Ruby Klan sagt, persönlich mit Zeitzeugen zu reden, sei etwas ganz anderes als nur in Geschichtsbüchern etwas über die DDR zu lesen. Das geht dem Schüler Jan Holländer ähnlich: "Man kann sich das einfach nicht vorstellen, wie sehr der Staat eingegriffen hat und wie wenig Freiheit man eigentlich hatte." In seiner Familie werde sonst eher selten über die DDR gesprochen. Gerade nach den Gesprächen mit den Zeitzeugen habe er bemerkt: Die Freiheit, die er heute hat, ist nicht selbstverständlich.

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 09.11.2024 | 19:30 Uhr

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