Rostocker Studie belegt Folgen von angeordneten Zersetzungen in der DDR
Das Unrecht der SED-Diktatur und seine Folgen für Betroffene sind auch 34 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht vollständig aufgeklärt. Die Unimedizin Rostock hat nun Studienergebnisse über die gesundheitlichen Langzeitfolgen sogenannter Zersetzungsmaßnahmen veröffentlicht.
Es waren Strafen ohne Urteil: Ab Mitte der 70er-Jahre verfolgte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Strategie, politische Gegner und Ausreisewillige nicht zu verhaften, sondern psychisch mürbe zu machen. Die Teilnehmer der Rostocker Studie waren durchschnittlich 23 Jahre alt, als das MfS mit den Repressionen gegen sie begann. Mehr als die Hälfte der 63 Befragten leidet bis heute unter mindestens einer psychischen Störung.
Stasi inszenierte Misserfolge
Mit den Stasiakten der Studienteilnehmer lässt sich belegen, dass das MfS gezielt oft intime Informationen gesammelt hat, um sie damit systematisch zu zersetzen und praktisch unschädlich zu machen. Die damalige Richtlinie 1/76 gab einen Maßnahmenplan und eine Zielsetzung vor, um den Ruf der Betroffenen zu schädigen, persönliche Beziehungen zu zerstören oder Probleme im Beruf zu inszenieren. Das zeigt sich auch in den Studienergebnissen: Was die Teilnehmenden am häufigsten erlebten, war die Zerstörung ihres Privatlebens (95 Prozent). Mehrheitlich wurden bei ihnen berufliche Misserfolge inszeniert (82,5 Prozent) und ihr Ansehen systematisch diskreditiert (36,5 Prozent) - diese Maßnahmen zogen sich durchschnittlich über etwa sechs Jahre hinweg.
Zersetzung hat gesundheitliche Folgen
Die Forschung geht von einer vier- bis fünfstelligen Zahl "Zersetzungsbetroffener" aus. Viele wussten damals nicht, was mit ihnen passiert. Auch ein Drittel der Rostocker Studienteilnehmer erfuhr erst nach dem Mauerfall durch ihre Akten, dass die Stasi für ihr Unglück verantwortlich war. Die Zersetzung wirkt nach: Mehr als die Hälfte der Befragten leidet unter Depressionen oder Angststörungen, die vor Jahren begannen und bis heute andauern, erklärt der Studienleiter Carsten Spitzer: "Häufig treten auch körperliche Erkrankungen auf, bei denen die Organmedizin keine Ursache findet." Dazu komme, dass Betroffene bis heute kaum Vertrauen fassen können - vor allem nicht in staatliche Institutionen und auch nicht in die Medizin. Das sei auch die größte Herausforderung bei der Behandlung, so Spitzer.
Spitzer: "Medizin muss die historischen Hintergründe kennen"
Zwar können gängige Psychotherapien auch dieser Opfergruppe helfen, erklärt Carsten Spitzer, es sei aber wichtig, dass Medizinerinnen und Therapeutinnen die historischen Hintergründe kennen, damit die Betroffenen sich öffnen können. Das sei bei dem Thema Zersetzung allerdings noch schwierig: "Wir haben bei unserem Forschungsprojekt bemerkt, dass gerade die Zersetzung als zeithistorisches Thema außerordentlich umstritten ist und Betroffene im Unterschied zu anderen Opfergruppen eine viel geringere Lobby haben." Das mache sich auch bei der gesundheitlichen Versorgung bemerkbar. Das Team von Carsten Spitzer bemüht sich deshalb darum, das Thema in die Aus- und Fortbildungen einzubringen und bestehende Therapieangebote an die Betroffenengruppe anzupassen.