"Papiere bitte": Ein Jahr Kontrollen an deutsch-polnischer Grenze
Weniger unerlaubte Einreisen, mehr Zurückweisungen, bessere Bekämpfung der Schleuserkriminalität - dafür wurden im Oktober 2023 Kontrollen an der Grenze zu Polen eingerichtet. Ein Jahr danach stellt sich die Frage: Wie zielführend ist das?
Im Interview mit NDR Info zeigte sich Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) erfreut: Die zunächst für drei Monate eingeführten und mittlerweile auf 16 Monate verlängerten Kontrollen seien ein Erfolg. Der Sozialdemokrat sieht darin eine "minimalinvasive Maßnahme", die zu mehr Aufgriffen von unerlaubt Eingereisten und sinkenden Asylbewerberzahlen geführt habe. Auch deshalb habe er sich bei der Bundesregierung für die mehrfache Verlängerung der Grenzkontrollen stark gemacht.
Mehr Kontrollen, mehr Aufgriffe
Tatsächlich hat sich die Zahl der festgestellten unerlaubten Einreisen an Mecklenburg-Vorpommerns Außengrenze zu Polen deutlich erhöht. Von Januar bis August dieses Jahres gab es insgesamt 1.816 Fälle. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum waren es 749. Eine Steigerung um 142 Prozent. Das zeigen Zahlen aus dem Bereich der Bundespolizeiinspektion Pasewalk, die für den gesamten Grenzabschnitt Mecklenburg-Vorpommerns zu Polen zuständig ist. Die gestiegenen Fallzahlen stünden in direktem Zusammenhang mit den vermehrten Kontrollen, sagt Bundespolizei-Sprecher Wulf Winterhoff.
Ukrainer am häufigsten zurückgewiesen
Seit Einführung der Grenzkontrollen am 16. Oktober 2023 versuchten Personen aus insgesamt 57 Staaten illegal über den nordostdeutschen Grenzabschnitt einzureisen. Mehr als 1.000 wurde die Einreise verweigert. Das betraf vor allem Menschen aus der Ukraine, die mehr als 70 Prozent der Zurückweisungen ausmachen. Ein häufiger Grund: Sie sind bereits in Polen als Asylsuchende registriert und müssen nach den Dublin-Regeln der EU dort bleiben. Ob die intensiven Kontrollen an der EU-Binnengrenze aber die Ursache für die zuletzt sinkende Zahl der Asylanträge in Deutschland ist, wie Innenminister Pegel behauptet, ist umstritten. Auch in anderen EU-Staaten, die keine einseitigen Kontrollen an EU-Binnengrenzen eingeführt haben, sind die Zahlen rückläufig.
Sorge um Wirtschaft eher unbegründet
Vor Beginn der permanenten Kontrollen hatten Wirtschaftsvertreter vor negativen Folgen für die deutsch-polnische Metropolregion Stettin gewarnt. Lange Staus und Behinderungen für Pendler und den Warenverkehr wurden befürchtet. Dazu kam es nicht. Die Bundespolizei kontrolliert nur stichprobenartig. Schlagbaum rauf, Schlagbaum runter - das gibt es nicht. Unproblematisch sei es trotzdem nicht, sagt Torsten Haasch, Hauptgeschäftsführer der IHK Neubrandenburg. "Deutsche Unternehmen spiegeln uns, dass sie relativ wenig Einschränkungen spüren. Polnische Unternehmen signalisieren dagegen, dass die Kontrollen schwieriger geworden sind." Die Wirtschaftsbeziehungen zu Polen seien für Mecklenburg-Vorpommern enorm wichtig. Die jährliche Handelsbilanz liegt bei 1,8 Milliarden Euro.
Keine Zahlen zu Schleppern und Einsatzkosten
Ob kriminellen Schleuserbanden durch die Kontrollen Einhalt geboten wird, ist hingegen schwer zu beurteilen. Obwohl die Bundespolizei einige mutmaßliche Schlepper an der Grenze zu MV festgenommen hat, gibt es für MV keine Zahlen zu tatsächlich Verurteilten. Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg und auch das Justizministerium in Schwerin sahen sich auf NDR MV Anfrage nicht in der Lage, konkrete Zahlen zu nennen. Ebenso unklar sind die Einsatzkosten der Bundespolizei. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums sagte, die zusätzlichen Maßnahmen würden aus dem normalen Etat der Behörde bestritten und nicht gesondert erfasst. Allerdings sei im Haushalt des kommenden Jahres ein Extra-Topf in Höhe von rund 310 Millionen Euro vorgesehen.
Mehr als 100 Überstunden
Nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist das auch dringend nötig. Sie fordert seit langem mehr Personal, bessere Ausstattung und angemessene Finanzierung. Die Kolleginnen und Kollegen seien in den vergangenen Monaten stark gefordert gewesen, sagt GdP-Vorstandsmitglied Lars Wendland. "Wir wissen, dass sie weitaus mehr als 100 Überstunden teilweise vor sich her schieben." Mit Blick auf die im September zusätzlich eingeführten Kontrollen an den deutschen Westgrenzen warnt Wendland: "Wir gehen davon aus, dass wir mit dem Personal auf Dauer nicht hinkommen." Schon heute werden offenbar sicherheitsrelevante Orte wie Bahnhöfe, Flughäfen und Fußballstadien weniger stark durch die Bundespolizei überwacht.
Erneute Verlängerung über Februar hinaus?
Gewerkschafter Wendland bezweifelt zudem, dass die Kontrollen an der Grenze zu Polen im Februar enden: "Nächstes Jahr haben wir die Bundestagswahl. Und bei uns glaubt niemand, dass es vorher einen Rückzug gibt." Für den Neubrandenburger IHK-Chef Haasch keine guten Aussichten: "Unsere dringende Bitte: Möglichst schnell wieder auf den Zustand zurückkommen, dass Kontrollen nicht erforderlich sind, sondern die EU-Außengrenzen schützen. Das ist ja der eigentliche Sinn von Schengen."
"Papiere bitte - Ein Jahr Grenzkontrollen Deutschland-Polen“: Eine Zwischenbilanz zum Thema zieht die aktuelle Folge des Podcasts "MV im Fokus". Zu finden in der ARD Audiothek und der kostenlosen NDR MV App.