Nord-Stream-Sabotage: Politiker warnen vor voreiligen Schlüssen
Steckt eine pro-ukrainische Gruppe hinter der Zerstörung der Gaspipelines Nord Stream 1 und 2? Dafür gibt es bislang nur Indizien. Ermittelt wurde laut Bundesanwaltschaft schon vor Wochen ein verdächtiges Schiff.
Drei der insgesamt vier Stränge der Pipelines Nord Stream 1 und 2 waren Ende September 2022 auf dem Grund der Ostsee durch Explosionen zerstört worden. Ermittler wollen den Fall seitdem aufklären und fahnden nach möglichen Tätern und Drahtziehern. Unter Berufung auf geheimdienstliche Hinweise heißt es in den Recherchen von ARD, SWR und der "Zeit", eine pro-ukrainische Gruppe könnte für die Angriffe verantwortlich sein. An den Ermittlungen seien Behörden in Deutschland, Schweden, Dänemark, den Niederlanden und USA beteiligt gewesen.
Bundesanwaltschaft bestätigt Bootsdurchsuchung
Den Medienberichten zufolge fanden die Ermittler bislang zwar keine Beweise dafür, wer die Zerstörung in Auftrag gab. Sie machten demnach aber ein Boot aus, das für das Unterfangen in der Ostsee verwendet worden sein könnte. Die Bundesanwaltschaft bestätigte am Mittwoch, dass sie das Schiff im Januar hatte durchsuchen lassen. Es bestehe der Verdacht, dass es zum Transport von Sprengsätzen verwendet worden sein könnte, teilte die Karlsruher Behörde weiter mit. Die Auswertung der sichergestellten Spuren und Gegenstände dauere an. "Die Identität der Täter und deren Tatmotive sind Gegenstand der laufenden Ermittlungen", hieß es weiter.
Täter verwendeten falsche Pässe
Den Recherchen von ARD, SWR und der "Zeit" zufolge sei die fragliche Jacht von einer Firma mit Sitz in Polen angemietet worden, welche "offenbar zwei Ukrainern gehört". Zudem habe ein Team, bestehend aus einem Kapitän, zwei Tauchern, zwei Tauchassistenten und einer Ärztin, den Sprengstoff laut Ermittlungen zu den Tatorten gebracht. Welchen Nationalitäten die Beteiligten angehörten, sei unklar, hieß es weiter in dem Bericht. Sie hätten offenbar gefälschte Pässe verwendet.
Die Behörden hätten herausgefunden, dass das Boot wohl vor der Pipeline-Explosion am 6. September von Rostock aus in See gestochen sei. Die Behörden Mecklenburg-Vorpommerns seien allerdings Innenminister Christian Pegel (SPD) zufolge nicht aktiv an den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft beteiligt. Sie würden lediglich auf Anforderung Akten zuliefern. Er könne sich daher nicht weiter zu den Erkenntnissen äußern, sondern nur "das zur Kenntnis nehmen, was er selbst gelesen und gehört habe".
Zweifel an der ermittelten Route der Täter
Nach dem Start in Rostock hätten die Behörden dem Recherche-Team zufolge das Schiff noch in Wieck auf dem Darß, im Landkreis Vorpommern-Rügen und an der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm, ausfindig gemacht. Diese Route wirft bei Experten vor Ort Fragen auf. So sei etwa Wieck auf dem Darß mit einem großen Boot nur sehr umständlich über flaches Boddengewässer zu erreichen. Dem ehemaligen Hafenkapitän der Hansestadt Rostock, Gisbert Ruhnke, zufolge brauchten die Täter für die mehrtägige Aktion ein größeres Boot. Das sei "durch Tiefgang begrenzt, man kommt nicht überall hin, wie zum Beispiel Wieck - nicht machbar", sagte Ruhnke zu NDR Info. Auch das Recherche-Team sei über die Ortsmarke Wieck auf dem Darß "sehr irritiert" gewesen, so Teammitglied und Terrorismusexperte Michael Götschenberg. Dieser Punkt auf der Route ergebe "aus verschiedenen Gründen wenig Sinn", die Problematik des geringen Tiefgangs sei nur einer davon. Zweifel an den Ergebnissen der Ermittler seien daher durchaus berechtigt, so Götschenberg weiter.
Anmerkung der Redaktion: Die Information, dass die Jacht Zwischenstation in Wieck auf dem Darß gemacht hat, ist inzwischen (09.03.23, 14 Uhr) überholt. Neueren Erkenntnissen zufolge handelte es sich bei dem Ort um Wiek auf Rügen.
Pistorius: Absichtlich falsche Spur gelegt?
Die Bundesregierung hat sich bislang sehr zurückhaltend zu den Berichten geäußert. "Der Generalbundesanwalt ermittelt seit Anfang Oktober 2022 in der Sache", erklärte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Zuletzt hätten Schweden, Dänemark und Deutschland den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nur darüber informiert, dass die Untersuchungen noch laufen und es keine neuen Ergebnisse gebe.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) warnten vor voreiligen Schlüssen. Pistorius nehme die Rechercheergebnisse mit großem Interesse zur Kenntnis, sagte er am Mittwoch im Deutschlandfunk. "Aber wir müssen jetzt mal abwarten, was sich davon wirklich bestätigt. Jetzt hypothetisch zu kommentieren, was wäre wenn, halte ich jetzt für nicht zielführend", so der Minister weiter. Am Rande eines EU-Verteidigungsministertreffens in Schweden sagte Pistorius, nach Meinung von Experten könnte es sich auch um eine sogenannte False-Flag-Operation gehandelt haben. Das bedeutet, dass Täter absichtlich falsche Spuren legen, die auf andere Urheber hindeuten. Und: "Wir müssen deutlich unterscheiden, ob es eine ukrainische Gruppe war - also im ukrainischen Auftrag gewesen sein könnte - oder eine pro-ukrainische ohne Wissen der Regierung."
Ukraine streitet Beteiligung entschieden ab
Die Ukraine hat eine Verantwortung für den mutmaßlichen Sabotageakt bestritten. "Wir stehen nicht hinter dieser Tat", sagte Verteidigungsminister Oleksij Resnikow am Mittwoch vor einem Treffen mit seinen EU-Kollegen in Stockholm. Der Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, twitterte bereits einen Tag zuvor: Die Ukraine habe nichts mit dem Unfall in der Ostsee zu tun und keine Informationen über pro-ukrainische Sabotage-Gruppen.
Russland hat in einer ersten Reaktion die Berichte über die Sabotage-Untersuchungen als Versuch gewertet, von den wahren Drahtziehern abzulenken. Die russische Botschaft in den USA schrieb auf Telegram, es sei einfach ein Mittel, um den Verdacht von denjenigen, die in offiziellen Regierungspositionen die Angriffe in der Ostsee angeordnet haben, auf irgendwelche abstrakten Personen zu lenken.
USA und Schweden vermuten Sabotageakt
Von US-Seite verwies der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der US-Regierung, John Kirby, auf die laufenden Ermittlungen in Deutschland und Skandinavien. "Wir glauben, dass es ein Sabotageakt war", betonte er. Zunächst müssten aber die Ermittlungen beendet werden. Erst dann lasse sich über das weitere Vorgehen sprechen. Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson sagte auf einer Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, er habe keine weiteren Kommentare dazu. Stoltenberg erklärte, man wisse, dass es ein Angriff, eine Sabotage war. Es wäre jedoch falsch, vor Abschluss der Untersuchungen darüber zu spekulieren, wer dahinter stecke.
Hinweis der Redaktion: In bisherigen Berichten über die Anschläge auf die Nordstream-Pipelines hieß es, dass die Jacht Zwischenstation in Wieck auf dem Darß gemacht habe. Inzwischen haben weitere Recherchen ergeben, dass es sich um Wiek auf Rügen handelte.