Nicht kindgerecht: Studie kritisiert Personalsituation in Kitas in MV
Zu viele Kinder für eine Erzieherin bzw. einen Erzieher: Mecklenburg-Vorpommern ist in der jüngsten Bertelsmann-Studie bundesweit Schlusslicht, wenn es um den Betreuungsschlüssel in Kitas geht.
Seit elf Jahren arbeitet Claudia Köster als Erzieherin. Sie ist der Meinung: Das ist ein Job, der kaum noch machbar ist. "Wir sollen jedes Kind individuell sehen und dabei die Gruppe nicht außer Acht lassen. Ich müsste mich eigentlich zehnmal teilen, dann würde ich es vielleicht gemanagt kriegen." Die studierte Sozialpädagogin ist bei einem großen Träger in Rostock angestellt. Dort betreut sie 16 Kinder allein. Manchmal sind es auch 19, wenn Kollegen und Kolleginnen wegen Krankheit oder Urlaub ausfallen. "Ich habe immer das Gefühl, der Tag geht so schnell vorbei und am Ende habe ich ganz oft 'Nein' oder 'Warte mal, bitte' gesagt. Das ist eigentlich das frustrierende an dem Beruf, dass ich nicht mehr jedem Kind gerecht werden kann." Um, wie sie sagt, etwas an der Situation zu verändern, engagiert sich Claudia Köster seit etwa sieben Jahren bei der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). Dort steht sie im Austausch mit vielen Kollegen und Kolleginnen im Land. Etwa 90 Prozent, so schätzt Claudia Köster, gehe es wie ihr. Sie seien ständig am Limit und immer unter permanentem Druck - psychisch und physisch. "Wir können nicht mehr. Wir brauchen dringend mehr Geld für mehr Personal", fasst Claudia Köster zusammen.
Bertelsmann: Fast 96 Prozent der Kinder in MV nicht ausreichend betreut
Zu eben jenem Ergebnis kommt nun auch die Bertelsmann Stiftung - zum wiederholten Male. Die Stiftung erstellt regelmäßig bundesweite Vergleiche zur frühkindlichen Bildung. In den vergangenen Jahren erhielt Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig schlechte Noten in Sachen Betreuungsqualität - so auch jetzt wieder. Die Autorinnen der Studie rechnen vor: In Mecklenburg-Vorpommern kommen in Kindergartengruppen durchschnittlich 12,5 Kinder auf eine Fachkraft. In den westdeutschen Bundesländern liege der Wert bei 1 zu 7,7; wissenschaftlich empfohlen sei der Wert von 1 zu 7,5, heißt es in der Studie.
Expertin: Nachteil bei Entwicklung & Förderung für Kinder in MV
"Wenn eine Fachkraft für mehr Kinder verantwortlich ist als wissenschaftlich empfohlen, leidet darunter die Qualität der pädagogischen Praxis. Es ist davon auszugehen, dass die Kitas in Mecklenburg-Vorpommern aktuell ihren Bildungsauftrag für die Mehrheit der Kinder nicht erfüllen können", erklärt Kathrin Bock-Famulla, eine der Autorinnen der Bertelsmann Studie. Ein flächendeckendes Problem: In den Kitas in Mecklenburg-Vorpommern sind die Personalschlüssel für fast 96 Prozent Kinder nicht kindgerecht, so Bertelsmann. Nirgendwo sonst ist der Wert so hoch wie im Nordosten und das bedeute erhebliche Nachteile bei der Entwicklung und Förderung der Kinder im Land - beispielsweise ein Chancenungleichgewicht bei der Sprachentwicklung.
Land plant Änderung der Personalausstattung
Dass hier Handlungsbedarf besteht, hat auch die rot-rote Landesregierung bereits gemerkt. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und DIE LINKE schon vor zwei Jahren darauf verständigt, dass eine Erzieherin beziehungsweise ein Erzieher statt für 15 künftig nur noch für 14 Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren zuständig sein soll. Bisher war diese Gesetzes-Änderung lediglich angekündigt, nun deutet sich der Vollzug an. "Das ist ein finanzieller Kraftakt, der 11,8 Millionen Euro pro Jahr erfordert", sagte Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke) am Dienstag. Die Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung bezeichnete sie als "nur teilweise hilfreich für Kinder, Eltern, Erzieherinnen und Erzieher in Mecklenburg-Vorpommern", es dürfe nicht vergessen werden, "was wir in unserem Bundesland bereits erreicht haben“. Gleichwohl räumte sie ein, dass es in Mecklenburg-Vorpommerns Kitas die größten Gruppen und das schlechteste Fachkraft-Kind-Verhältnis gibt. Oldenburg: "Hier werden wir schrittweise besser. Jeder weitere Cent, den wir in die Kindertagesförderung investieren, fließt deshalb in die Qualität."
Bertelsmann: Wirkliche Verbesserung frühstens ab 2030 möglich
Die Experten für frühkindliche Bildung bei der Bertelsmann Stiftung sehen in den aktuellen Plänen des Landes keine wirkliche Entlastung. Sie meinen: Es brauche deutlich mehr Mittel und weitreichende Gesetzesänderungen. Eine zeitnahe Lösung ist ihrer Meinung nicht mehr umsetzbar, wie in der Veröffentlichung zu lesen ist: "Eine Anpassung der Personalschlüssel an die wissenschaftliche empfohlenen Personalschlüssel bis 2030 ist (…) in MV aufgrund der aktuell sehr ungünstigen Personalausstattung nicht möglich." Die Autorinnen der Studie empfehlen künftig die Zeit der eher geburtenschwachen Jahrgänge zu nutzen. Statt in dieser Zeit Personal abzubauen, sollte das Land ausreichend Mittel bereitstellen, damit die Träger die Fachkräfte weiter beschäftigten könnten. Die Autorinnen haben aber noch eine weitere Option kalkuliert: Würde die Betreuungszeit der Kinder auf sieben Stunden täglich reduziert werden, könnte Personal anders verteilt werden. So wäre es wohl bis 2025 möglich, alle Elternbedarfe zu erfüllen und die Personalschlüssel zumindest auf West-Niveau zu erreichen.