Neues Berufsbild Meeresförster: Hoffnung für die Ostseefischer
Die Zahl der Fischereibetriebe hat sich in den letzten 20 Jahren mehr als halbiert. Aber es gibt auch einen Lichtblick: Küstenfischer können sich jetzt zu sogenannten Meeresförstern weiterbilden lassen.
Die Ostseefischerei steht vor dem Aus: Strenge Fangquoten, sinkende Fischbestände und der miserable Zustand des Binnenmeeres sorgen dafür, dass viele Fischereibetriebe ihren Betrieb einstellen mussten oder nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können. Junge Fischer kommen kaum noch nach. Ein Hoffnungsschimmer ist die Weiterbildung zum Meeresförster. Damit sollen neue Aufgaben den uralten Beruf des Küstenfischers auch für junge Leute wieder attraktiv machen. Die ersten elf Fischer sind in Mecklenburg-Vorpommern schon dabei. Kai Dunkelmann ist einer von ihnen. Sein Kutter namens Günther, Baujahr 1948, liegt in Boltenhagen, einem Touristenort zwischen Lübeck und Wismar.
Vom Fischer zum Hüter der Meere
Kai Dunkelmann versucht, den Job des Meeresförsters zu umschreiben. Aus seiner Sicht gehört dazu auch ein bisschen Vermittlungsarbeit: "Wir nehmen morgens eine Familie mit auf unseren Kutter und zeigen denen, was wir hier machen, wie man Fische fängt, wie mein Uropa schon Fische gefangen hat - und auch, dass wir eben nicht so viel kaputtmachen, wie uns immer vorgeworfen wird." Kai Dunkelmann ist einer der ersten elf Fischer, die sich an einer Berufsschule auf Rügen zum sogenannten Meeresförster weiterbilden lassen. Der soll so etwas wie ein Hüter der Küstengewässer sein. Die Fischerei gehört weiterhin zu seinen Aufgaben, aber nebenbei soll er zum Beispiel Forschungsdaten sammeln oder Touristen mit auf den Kutter nehmen.
Klimawandel und Fangquoten hängen unmittelbar zusammen
Der angehende Meeresförster Dunkelmann zeigt, wie so ein Ausflug aussehen kann. Auf dem Meer dreht er den Motor ab, als er ein paar Seehunde sieht: "Guck mal, was das für große Dinger sind. Ich hätte nicht gedacht, dass die jetzt bei der Kälte auch da sind." Die Seehunde sonnen sich auf einer Sandbank. Die Idylle täuscht über den katastrophalen Zustand der Ostsee hinweg. Erderwärmung, Überfischung und Dünger aus der Landwirtschaft haben die Fischbestände massiv schrumpfen lassen - und mit ihnen die Fangquoten.
Handel mit importiertem Fisch
Was das für Dunkelmann bedeutet, zeigt sich, wenn man ihn in einem seiner zwei Fischläden in Boltenhagen besucht: "Unser Geld verdienen wir im Moment mit dem Handel von Fischbrötchen. Mit der Fischerei kann ich meine Familie nicht mehr ernähren." Nicht mal die Fische für die Fischbrötchen kommen aus den eigenen Netzen, sondern von überall her, aus dem Nordostatlantik, dem Pazifik und dem Indischen Ozean. Wer in Mecklenburg-Vorpommern ein Fischbrötchen isst, könne nicht damit rechnen, dass das Heringsfilet aus der Ostsee stammt, sagt er.
Kaum Nachwuchs für den Beruf
Hinter der Fischtheke hängen vier Porträts von Männern auf Booten. Da ist Uropa Adolf, Opa Günther, Vater Klaus - und Kai. Er könnte der letzte Fischer der Linie sein. Denn seinen Kindern könne er den Beruf nicht mehr empfehlen, sagt er. Schließlich haben sich in ganz Mecklenburg-Vorpommern 2023 nur zwei Menschen für die marine Fischerei ausbilden lassen. Keine guten Zukunftsaussichten. Dunkelmann sagt, er sehe, dass das Ökosystem Ostsee krank sei. Wenn er im Sommer aufs Meer fährt, sieht er große Algenteppiche, die später absinken, verfaulen und den Sauerstoff verbrauchen. Dunkelmann zieht dann tote Fische aus seinen Netzen.
Finanzierung momentan noch unklar
Als Meeresförster könne er Naturschutz und Fischerei verbinden, sagt er: "Ich könnte mir auch einen Job als Hausmeister suchen, aber eigentlich gibt es keinen Plan B." Deswegen fährt der 44-Jährige rund zwei Wochen im Monat nach Rügen zur Berufsschule. Die Aussicht, als Meeresförster zu arbeiten sei für ihn der letzte Hoffnungsschimmer.
Die Idee für das Konzept dafür stammt von Oliver Greve, Geschäftsführer der Fischereigenossenschaft Wismarbucht. Er ist eigentlich Wirtschaftsingenieur, hat aber lange in der Industrie gearbeitet. Von seiner Idee ist er überzeugt: "Das ist die Küstenfischerei der Zukunft und ich glaube, dass wir das auf Schleswig-Holstein ausdehnen werden." Seine Vision: Es soll ein Ostsee-Thema werden. Die Meeresförster sollen sich auf Projekte bei Tourismus, Naturschutz oder Wissenschaft bewerben. Das Zusatzeinkommen soll ihnen ermöglichen, im Kern Fischer zu bleiben. Unklar ist aber noch, ob die Meeresförster nur von den Auftraggebern der Projekte oder auch vom Staat Geld bekommen und wie viel sie dabei verdienen.
Naturschutz und Fischerei rücken zusammen
Allerdings scheinen nicht alle Fischer begeistert, mit Naturschützern zusammenzuarbeiten oder Touristen auf den Kutter mitzunehmen. Oliver Greve hält dagegen: "Ich sage den kritischen Fischern immer, dass es nicht um sie geht, sondern um die jungen Menschen. Die kriegen wir nicht so einfach in den Beruf." Auch beteiligt an der Entwicklung war eine Leitbildkommission zur Zukunft der Ostseefischerei, in der Bund, Länder an der Küste, Universitäten und Umwelt- und Fischereiverbände vertreten waren. Nach langer Beratung empfahl die Kommission das Meeresförster-Konzept. Bislang gibt es das Projekt nur in Mecklenburg-Vorpommern. In der Weiterbildung unterrichten Naturschützer*innen und Wissenschaftler*innen die Fischer. Die Gruppen sind nicht gerade dafür bekannt, in der Vergangenheit bestens zusammengearbeitet zu haben. Das weiß auch Uwe Krumme, stellvertretender Leiter des Thünen-Instituts für Ostseefischerei: "Alle haben anfangs in ihren Gräben gesessen, aber durch die gemeinsame Zeit haben wir jetzt ein besseres gegenseitiges Verständnis."
Große Hoffnungen, aber Praxis-Test steht noch aus
Die Forschung könnte Hilfe von den Fischern durchaus gebrauchen, sagt Meeresbiologe Krumme. Zum Beispiel könnten sie helfen, den Fischbestand effizienter als bisher zu vermessen. Allerdings: Im Klassenzimmer miteinander sprechen und Pläne schmieden ist das eine. Ob das Konzept später trägt und die Fischer genug Aufträge bekommen, weiß aktuell noch niemand. Krumme sagt, man wisse noch nicht, wie es ausgeht: "Die eine Variante ist: Alles wird super. Wir haben da unser Lagerfeuer, grillen Fische und singen zusammen Lieder. Es könnte aber auch ein Strohfeuer sein und danach geht es einfach weiter wie bisher." Am Ende wird es auch an Fischern wie Kai Dunkelmann liegen, welche Geschichte sich durchsetzen wird.