Die neu gemachte Fassade des Rathauses in Neubrandenburg  Foto: Bernd Wüstneck

Mobbing-Vorwurf ohne Beweis: Neubrandenburgs OB will Aufklärung

Stand: 26.10.2022 13:20 Uhr

Anonyme Mobbing-Vorwürfe, Verdächtigungen, Streit. Neubrandenburgs Oberbürgermeister Silvio Witt will einen Schlussstrich unter einen ungewöhnlichen Fall ziehen, der die Kommunalpolitik seit Monaten beschäftigt.

von Thomas Köhler, NDR 1 Radio MV

Hat Neubrandenburgs Oberbürgermeister Silvio Witt eine Kollegin im Rathaus gemobbt? Außer einem anonymen Vorwurf gibt es darauf keine Hinweise. Selbst die angeblich betroffene Kollegin sagt, sie fühle sich nicht gemobbt. Die Staatsanwaltschaft sieht keinen Anlass für ein Ermittlungsverfahren. Trotzdem schwelt das Thema weiter. Witt will nun die Stadtvertretung auffordern, einen Schlussstrich zu ziehen.

Schwerer Vorwurf: Mobbing im Rathaus

Silvio Witt © Stadt Neubrandenburg Foto: Stadt Neubrandenburg
Oberbürgermeister Witt (Parteilos) hat angekündigt, die angebliche „Mobbing-Affäre“ im Rathaus zur Diskussion zu stellen

Der Fall beginnt während der Stadtvertretersitzung im April 2022. Auf der Tagesordnung steht ein formaler Akt: Die Kommunalvertreter sollen Silvio Witt erneut zum Oberbürgermeister ernennen. Es ist der Start in die zweite Amtszeit für den parteilosen Verwaltungschef. Witt hatte die OB-Wahl in Neubrandenburg gewonnen. Bevor jedoch die Stadtvertreter Witt schließlich ernennen, zitiert Tagungsleiterin Renate Klopsch von der Fraktion „Die Linke“ aus einem anonymen Brief. Inhalt: Die Verwaltungsspitze in Neubrandenburg würde im Rathaus Mitarbeiter mobben. Klopsch machte deutlich, dass sie nur etwas vorlesen würde, was ihr Mitglieder der Stadtvertretung zugeschickt hätten.

Fraktionen und Mitarbeiter distanzieren sich

Die Sitzung entwickelt sich lebhaft. Die Fraktionen von SPD und Grünen distanzieren sich sofort von den Anschuldigungen, die CDU/FDP-Fraktion später. Außerdem bestätigten mehr als 20 leitende Mitarbeiter des Rathauses in Neubrandenburg schriftlich gegenüber der Stadtvertretung, dass ihnen nichts von Mobbing im Rathaus bekannt sei. Auch die nicht namentlich genannte Mitarbeiterin* des Rathauses, die betroffen gewesen sein soll, bestätigt den Ratsfrauen und -herren schriftlich, dass an den Vorwürfen nichts dran sei. Nachdem sich niemand zu den Vorwürfen bekannte, erstattete Witt Anzeige gegen Unbekannt.

Staatsanwaltschaft: Keine strafrechtlichen Ermittlungen

Auch der Staatsanwaltschaft fehlen aber wohl wesentliche Anhaltspunkte, die die Vorwürfe belegen würden. Sie werde kein Ermittlungsverfahren einleiten und hatte mitgeteilt, dass "in dem zum Nachteil von Oberbürgermeister Silvio Witt geführten Verfahren [...] von der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen abgesehen“ wurde.

Da es nun keine juristischen Konsequenzen geben wird, verlangt Witt diese zum wiederholten Male vom politischen Raum: "Offenheit und Ehrlichkeit sind gerade in der Kommunalpolitik wichtige Pfeiler der Auseinandersetzung. Es ist bedauerlich, dass der oder die Autor*in die gegen mich erhobenen Vorwürfe, diese Offenheit nicht an den Tag legt und sich nicht zu erkennen gibt. Dies ist feige, unaufrichtig und schadet dem Ansehen der Stadtvertretung Neubrandenburg und dem Amt des Oberbürgermeisters. Ich werde nunmehr die Stadtvertretung als Kollektivorgan darum bitten, Stellung zu den gegen mich erhobenen Vorwürfen zu beziehen.“ Das soll auf der Stadtvertretersitzung im Dezember geschehen.

Spekulationen gehen weiter

Das politische Neubrandenburg spekuliert weiter, wer hinter den anonymen Anschuldigungen stecken könnte. Neben Renate Klopsch hat auch die Fraktionsvorsitzende der Bürger für Neubrandenburg, Diana Kukh (Mitglied der CDU), öffentlich zurückgewiesen, dass die Vorwürfe aus ihrer Feder stammen würden. Beide werden unter den Stadtvertreter*innen hinter vorgehaltener Hand als mögliche Verfasserinnen gehandelt. In Neubrandenburg ist noch ein weiterer Name im Spiel: Diese dritte mögliche Absenderin war dem Oberbürgermeister bereits 2020 in den Rücken gefallen, als es um die "Benischke Affäre“ ging, wie die Neubrandenburger Zeitung titelte.

Damals war Witts Vorhaben gescheitert, den Geschäftsführer der Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft Neuwoges, Frank Benischke, fristlos zu entlassen. Auf Antrag der Linken war das Thema mit Mehrheit von der Tagesordnung gestrichen worden. Der ehemalige SPD-Ratsherr Robert Northoff, jetzt Mitglied des Landtages, sprach danach von einer AfD-gestützten CDU-Linkskoalition. Inzwischen haben sich die Christdemokraten gespalten. Die Abtrünnigen gründeten die Fraktion Bürger für Neubrandenburg. Mit 24 von 43 Sitzen verfügen Linke gemeinsam mit den Fraktionen der AfD und Bürger für Neubrandenburg rein rechnerisch immer noch über ausreichend Stimmen für eine Neuauflage ihres vor zwei Jahren gezogenen "Jokers“.

Oberbürgermeister Witt hofft auf Schlussstrich

Witt beabsichtigt offenbar trotzdem, unter die "Mobbing-Affäre“ einen Schlussstrich ziehen zu wollen, ehe am 4. Januar Neubrandenburg sein 775. Gründungsjubliäum feiert. Im Jubiläumsjahr wird Neubrandenburg Gastgeber des MV-Tages sein. Eine zerstrittene Stadtvertretung und eine ungeklärte Mobbing-Affäre dürften kein gutes Licht auf die Gastgeberstadt werfen. Ob es Witt gelingt, diese Affäre zu einem versöhnlichen Ende zu bringen, dürfte vor allem von jenem Teil der Stadtvertretung abhängen, der ihm trotz seiner zuletzt mit rund 85 Prozent der Stimmen gewonnenen Wahl zum Oberbürgermeister sehr kritisch gegenübersteht. Die Demonstration dieser Macht bekam Witt bereits vor zwei Jahren zu spüren. Gegen Benischke hatte Witt damals Anzeige wegen Veruntreuung gestellt. Die Prüfung laufe noch, heißt es dazu von der Staatsanwaltschaft.

Rathaus verweist auf Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Was die nicht aufgenommenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Fall der üblen Nachrede betrifft, verweist das Büro des Neubrandenburger Oberbürgermeisters auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in der "Künast-Entscheidung, 1 BvR 1073/20“, im dem ausgeführt wurde:

"Gegenüber einer auf die Person abzielenden, insbesondere öffentlichen Verächtlichmachung oder Hetze setzt die Verfassung allen Personen gegenüber äußerungsrechtliche Grenzen und nimmt hiervon Personen des öffentlichen Lebens und Amtsträgerinnen und Amtsträger nicht aus.[…] Denn eine Bereitschaft zur Mitwirkung in Staat und Gesellschaft kann nur erwartet werden, wenn für diejenigen, die sich engagieren und öffentlich einbringen, ein hinreichender Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte gewährleistet ist.“ Genau diese sieht Witt im Fall der geäußerten, aber nicht belegten Mobbing-Vorwürfe verletzt.

*Name der Redaktion bekannt

 

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 26.10.2022 | 06:30 Uhr

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