Lubmin: Verheißungen und Irrwege deutscher Energiepolitik
Kernkraftwerk-Rückbau, atomares Zwischenlager, Energiewende, Nord Stream: Wohl an kaum einem anderen Ort sind die Verheißungen und Irrwege der deutschen Energiepolitik der vergangenen 50 Jahre so deutlich sichtbar wie in Lubmin. Mit der Eröffnung des LNG-Terminals wurde nun ein neues Kapitel aufgeschlagen. Es soll nicht das letzte sein.
"Es war ein gutes Gefühl", sagte ein sichtlich zufriedener Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), als er gerade vor dem Regasifizierungsschiff "Neptune" im Lubminer Hafen symbolisch die Leitung des LNG-Terminals aufdrehte. "Wir kommen durch diesen Winter, die Gasversorgung ist nicht beeinträchtigt - ganz anders als lange Zeit viele befürchtet haben", sagte Scholz. Das innerhalb weniger Monate errichtete LNG-Terminal in Lubmin ist das zweite nach Wilhelmshaven. Weitere sollen in Kürze folgen. Mit den Flüssiggas-Terminals schlägt Deutschland eine neue Richtung ein bei der Gasversorgung - "mit einem neuen Deutschlandtempo", wie Scholz betonte.
Das Nord-Stream-Desaster vor Augen
Den Grund für den abrupten Kurswechsel hatten Scholz und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) deutlich vor Augen, als sie kurz vor ihren Reden auf der Kommandobrücke der "Neptune" standen und aus gut 40 Metern Höhe das weitläufige Areal jenseits des Hafenbeckens überblickten. Rechts neben der Kaimauer ragt hinter einem Kiefernstreifen das Leitungslabyrinth der Anlandestation von Nord Stream 1 hervor. Bis vor Kurzem wurden hier noch bis zu 60 Milliarden Kubikmeter russischen Erdgases pro Jahr in die großen Festlandleitungen OPAL, EUGAL und NEL des Gasnetzes eingespeist. Zum Vergleich: Das LNG-Terminal soll eine Jahreskapazität von rund 5 Milliarden Kubikmetern haben.
"Zeitenwende" auch in Lubmin
Und auf der gegenüberliegenden Seite des Hafenbeckens liegt verlassen die Baustelle der Anlandestation der mittlerweile durch Sabotage stark beschädigten Pipeline Nord Stream 2. Noch bis vor einem Jahr war Schwesig eine vehemente Befürworterin der Leitung - trotz der immer lauter werdenden Warnungen vor den schwerwiegenden Folgen der Abhängigkeit. Zeitweise deckte Deutschland 55 Prozent seines Gasbedarfs aus Russland. Mit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 und der Einstellung der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 endete die Ära des billigen russischen Gases abrupt. Eine "Zeitenwende" auch für Lubmin.
Größtes Kernkraftwerk der DDR in Lubmin
Doch das war nicht die erste in der rund 50-jährigen Geschichte des Energiestandorts, die Ende der 1960er-Jahre mit dem Bau des Kernkraftwerkes (KKW) "Bruno Leuschner" begann. Es galt als Vorzeigeprojekt der Energiewirtschaft der DDR und war das größere der beiden DDR-Kernkraftwerke. Herzstück waren vier Reaktorblöcke sowjetischer Bauart, später sollten noch vier weitere dazukommen. Bis zu 10.000 Menschen waren in Lubmin beschäftigt. In Greifswald wurde mit Schönwalde eigens ein neuer Stadtteil für die Beschäftigten aus dem Boden gestampft. Das Kraftwerk deckte zeitweilig 10 Prozents des gesamten Strombedarfs der DDR. Im Zuge der Schneekatastrophe 1979/80 spielte das KKW eine Schlüsselrolle. Es war das einzige große Kraftwerk der DDR, das noch verlässlich Strom produzierte - obwohl es zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten war.
Mit der Wende kam das Ende
In den 1970er-Jahren wurde eine Erweiterung um vier weitere Blöcke beschlossen, die nach 1980 in Betrieb gehen sollten. Doch die Lieferung der nötigen Komponenten stockte. Block 5 nahm erst 1989 den Probebetrieb auf, Block 6 wurde zwar 1990 fertiggestellt, ging aber gar nicht mehr in Betrieb. Das KKW wurde noch im selben Jahr wegen eklatanter Sicherheitsmängel abgeschaltet. Es war absehbar, dass die erforderlichen Investitionen für die Aufrüstung der maroden, in den 1960er-Jahre konzipierten Reaktor-Komponenten auf moderne Sicherheitsstandards zu hoch gewesen wären. 1995 wurde das Kernkraftwerk offiziell stillgelegt.
Vorreiter beim Kraftwerksrückbau - Lagerstätte für Atomabfälle
In den 1990er-Jahren begann der auf Jahrzehnte angelegte Rückbau. Lubmin ist dabei Vorreiter. Noch heute prägen die hoch aufragenden Bauten des Kraftwerks das Areal. Die rund 1.000 Meter lange Turbinenhalle zählt zu den längsten Industriebauten Deutschlands. Bis 2028 soll der Rückbau der radioaktiv belasteten Areale abgeschlossen sein. Ebenfalls auf dem Areal befindet sich seit den 1990er-Jahren das atomare Zwischenlager Nord. Das Becken des Industriehafens in Lubmin, in dem nun das schwimmende LNG-Terminal mit der "Neptune" liegt, war ursprünglich der Kühlwasserkanal des Kernkraftwerks. Anfang der 2000er-Jahre reiften Pläne, in Lubmin ein Kohlekraftwerk bestehend aus zwei Blöcken mit jeweils 800 Megawatt Leistung zu errichten. 2009 verzichtete der dänische Konzern Dong Energy jedoch auf das umstrittene Projekt, das Umweltschützer auf den Plan gerufen hatte. Später wurde dort ein Gaskraftwerk gebaut.
"Lubmin wird im Zuge der Transformation eine wichtige Rolle spielen"
Im Zuge des Atomausstiegs und der Energiewende spielte Lubmin wieder eine Rolle. Nach Angaben der Landesregierung stammen mittlerweile 85 Prozent des in Mecklenburg-Vorpommern produzierten Stroms aus Erneuerbaren Energien. Seekabel wie etwa "Ostwind 2" für den Offshore-Windstrom aus den Windparks "Arcadis Ost 1" und "Baltic Eagle" kommen in Lubmin an. "Lubmin wird im Zuge der Transformation der Energieversorgung eine wichtige Rolle spielen", ist sich Mecklenburg-Vorpommerns Umweltminister Till Backhaus (SPD) sicher.
LNG als Zwischenschritt - grüner Wasserstoff als Ziel
Das sieht auch Ministerpräsidentin Schwesig so. Lubmin sei eine "Drehscheibe" für die Energieversorgung in Deutschland, sagte Schwesig bei der Eröffnung des LNG-Terminals. "Unser Ziel ist, dass dieser Standort in naher Zukunft komplett aus Erneuerbaren Energien viele Teile von Deutschland und Europa versorgt." Denn Lubmin als LNG-Terminal soll keine Dauerlösung sein. Die Genehmigung läuft vorerst bis Ende 2031. Schwesig sieht die Zukunft des Standortes in grünem Wasserstoff. Die LNG-Infrastruktur soll auch für die neue Technologie nutzbar sein. Doch das ist noch Zukunftsmusik. "Bis dahin brauchen wir Gas", so Schwesig.